Die Bekehrung.

[203] Es war neun Uhr vorüber, als Rosa im Gasthofe aus dem Wagen stieg, und von ihrer Dienerschaft vernahm, daß der uns wohlbekannte Rittergutsbesitzer bereits seit einer halben Stunde im Audienzsalon sie erwarte, und auf Befragen erklärt habe, er könne die Ursache seines späten Besuches nur der holden Gebieterin selbst anvertrauen.

Rosa trat in vollem Glanze in den Salon. Mancherlei freudige Gefühle gossen die Glorie der reinsten Heiterkeit über ihr Madonnenantlitz aus; sie war in diesem Augenblicke liebenswürdiger als jemals.

Der Rittergutsbesitzer, ein Mann von vierzig Jahren, hübsch gebaut, von einnehmenden Zügen, reinlich doch nicht nach der neuesten Mode gekleidet, wodurch der Bewohner der Provinz sich verrieth, ließ sich mit altherkömmlicher Galanterie auf ein Knie vor ihr nieder, und sprach mit unverkennbar schüchternem Tone:

»Holder Engel, haben Sie unter den erhaltenen Geschenken nicht auch ein aus zwei großen Diamantflächen gebildetes Herzchen gefunden, und darin ein Papierchen in der Größe eines Hellers, worauf mit schwarzer Tusche die fünf Worte geschrieben standen: ›Ich bitte um zwei Stunden?‹«

»Sie also waren der Sender dieses schönen Geschenkes?[204] Ich danke Ihnen dafür mit dem einzigen Wunsche, daß Ihr eigenes Herz nicht von jenem harten Stoffe seyn möge, wie das gesendete!«

»Gewiß nicht, liebenswürdige Rosa! gewiß nicht dafür bürgt Ihnen ja meine Bitte!«

»Also ist's Ihnen wirklich Ernst mit dieser Bitte?«

»Sie können noch zweifeln? Bei Gott, um Ihren Besitz gäbe ich freudig mein Leben hin!«

»Stehen Sie auf, mein Herr, und folgen Sie inzwischen meiner Betty in das Gemach, welches ich zu solchen Zusammenkünften bestimmt habe. Sie werden es freilich sehr einfach, und nicht dem hohen Eintrittspreise angemessen finden; allein Sie werden mich entschuldigen, da ich erst seit gestern in diesem Gasthofe mich befinde, und nur in meinem eigenen Hause, das ich nächstens zu beziehen gedenke, und worin kein Wechsel der Miethe mich stören kann, zu bedeutenden Auslagen für diesen Zweck mich entschließen kann; zu Ihrem Troste verspreche ich Ihnen jedoch, Sie für den Mangel der äußern Ausstattung durch mein Benehmen gewiß vollkommen zu entschädigen. In einigen Minuten bin ich wieder bei Ihnen!«

Rosa schellte zweimal; Betty trat im niedlichsten Anzuge in den Salon, und leuchtete mit einem großen silbernen Armleuchter dem Ritterguts besitzer voran in das geheime Kabinet der Liebe, das sie sogleich wieder verließ.[205]

Die Wände dieses Kabinets waren mit rosafarbenem Seidenstoffe ausgeschlagen; den Boden deckte ein einfacher, dunkelgrüner Teppich; vom Plafond hingen an Metallketten drei lazurblaue, drei milchweiße und drei purpurrothe Astrallampen herab, die ihr sonnenhelles aber mildes Licht auf ein langes und breites Ruhebett von schwarzem Sammt hinstrahlten, auf dessen tiefdunklem Grunde das Inkarnat jugendlicher Leiber in blendender Lebensfrische zu locken verhieß.

Mitten im Kabinete stand ein gewaltiger Blumentisch, dessen exotische Gewächse überaus liebliche und doch nicht betäubende Düfte hauchten, und aus dem Schooße derselben stieg ein lustiger Springquell empor, dessen flüssige Säule mit den drei Farben der Lampen ein gaukelndes Spiel trieb; den Kamin zierte eine zärtliche Liebesgruppe aus cararischem Marmor, und nach jeder Viertelstunde ertönten die süßschmachtenden Melodien einer verborgenen Flötenuhr. Der breite Rücken eines aus Bronce gegossenen, sich bückenden Faunes diente als Seitentischchen.

Rosa's Entschuldigung war nicht ohne Grund; denn alles, was der Rittergutsbesitzer hier sah, war nur der Schatten eines Schattens im Vergleiche mit jenem Liebestempel, den sie in Paris dem schelmischen Gotte Amor geweiht hatte, und wovon in: »Rosa's Gardinenseufzer,« eine Schilderung zu finden ist, welche die kühnste Phantasie übersteigt, und die ich meinen verehrten Leser[206] und Leserinnen gelegenheitlich mitzutheilen gedenke; das berühmte Bett der Himmelswonnen des Dr. Graham in London war seiner Zeit nur eine harte Ofenbank dagegen.

Ihm schien jedoch diese Ausschmückung schon etwas Ausserordentliches und Wunderbares. Neugierig besah er Alles in der Nähe, roch an den Blumen, strich mit der Hand dem Faune über den Rücken, hielt einen Finger über den Springquell, lachte herzlich über die steinerne Liebesgruppe, schaukelte sich auf den kräftigen Stahlfedern des Ruhebettes, die ihn stets emporhoben, wie fest er auch seine Füße gegen den Boden stemmte, und glaubte vor Sehnsucht nach Rosa fast vergehen zu müssen.

Endlich hörte er Tritte; die Thüre öffnete sich, und zwischen den zwei schönen Mädchen, Fanny und Betty, ähnlich zwei freundlichen, reizenden Grazien, trat Rosa in das Gemach, doch nicht wie eine Venus, in durchsichtigen Flor gekleidet, sondern angethan mit einem weiten, faltigen Vestagewande von blendend weißem Linnen, das sie vom Halse bis zur Ferse verhüllte, und ihre zauberischen Formen nur errathen, aber nicht schauen ließ.

Die Mädchen entfernten sich.

»Liebenswürdige Rosa,« – begann der Rittergutsbesitzer, und lag schon wieder auf einem Knie, – »verzögern Sie nicht länger mein Glück; Sie haben mir die Stunden von 9 bis 11 Uhr bewilliget, und jede verlorene[207] Minute ist ein verlorenes Paradies. Hier ist die Summe von 40,000 Franken in holländischen Dukaten; man hat mir gesagt, es sey Ihnen in dieser Beziehung jede Ziererei ganz fremd, sonst würde ich eine schicklichere Weise gewählt haben, Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeugen.«

»Nehmen Sie an meiner Seite Platz, – mein Herr,« – versetzte Rosa, – »und schenken Sie mir einige Augenblicke ein geneigtes Gehör.«

Beide setzten sich auf das Ruhebette; der Anbeter legte die Goldrollen auf des Faunes Rücken.

»Bei dem gütigen Empfange,« – fuhr Rosa fort, – »womit mich gestern die kunstsinnigen Bewohner der Hauptstadt so angenehm und so ehrenvoll überraschten, hab' ich mit wahrem Vergnügen bemerkt, daß Sie, mein Herr, enthusiastisch für mich eingenommen sind.«

»Bei Gott, das ist wahr!«

»Diese Ihre theilnehmenden Gesinnungen verdienen meine volle Anerkennung, die ich Ihnen nur durch redliche Offenheit zu bethätigen vermag. Allein Offenheit gegen Offenheit! Ich bitte um Ihr Ehrenwort, daß Sie mir jene Fragen, die ich jetzt an Sie zu stellen für nöthig finde, mit reiner Wahrheit beantworten wollen!«

»So sonderbar mir auch diese Einleitung, und jenem Benehmen, das Sie mir als entschädigend andeuteten, entgegengesetzt scheinet, so gebe ich Ihnen dennoch mein heiliges Ehrenwort, wofür Sie es verlangt haben.«[208]

»Sind Sie verheirathet? – Sie stocken? Finden Sie diese Frage so schwer zu beantworten? – Sind Sie verheirathet?«

»Ja!«

»Glücklich?«

»Gott weiß es, recht glücklich!«

»Haben Sie auch Kinder?«

»Vier holde Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen!«

»Wie groß ist Ihr reines Vermögen?«

»160,000 Franken!«

»Mein Herr! Sie sind verheirathet, glücklich verheirathet, Sie lieben und werden geliebt, Sie haben theure Kinder, sind also auch ein glücklicher Vater, und wollen dennoch für den flüchtigen Genuß von zwei Stunden den vierten Theil Ihres Vermögens, bedenken Sie, den vierten Theil, hingeben, und Ihrer lieben Frau, Ihren guten Kindern, und dem Betriebe ihrer Besitzungen entziehen? Ist es möglich, ich frage Sie als Ihre beste Freundin, ist es möglich, daß Sie ein solches Verfahren vor Gott, Ihre Gewissen, und Ihrer guten Familie verantworten können?«

Der Rittergutsbesitzer war über diese Anrede ganz verblüfft; er wußte nicht, ob er wache oder träume; diese Gesinnungen hatte er von einer Rosa nicht erwartet, deren Gunstbezeugungen durch eigene Taxen bestimmt waren.[209]

Nur mit großer Mühe vermochte er sich zu sammeln, und sprach: »Entweder Sie scherzen, schöne Rosa, oder es ist Ihr voller Ernst. Im erstern Falle trüben Sie meine Hoffnung, im zweiten Falle rauben Sie mir sie ganz, und eben so unvermuthet als schmerzlich. Im Zweifel über Ihre wirkliche Gesinnung genüge ich der Pflicht, über mein Benehmen mich zu entschuldigen. Der Gesandte Graf L**** hat mich gelernt, das Beglücken zu verschweigen; mehr bedarf es wohl nicht zu meiner Rechtfertigung. Hat mich sein Wort getäuscht, so bitte ich um Vergebung.«

»Was Ihnen auch der Gesandte rücksichtlich einer vertrauten Zusammenkunft mit mir gesagt haben mag, so kann ich bei meiner Ehre versichern, daß er weder die Wahrheit noch eine Lüge gesagt hat; so räthselhaft dieß auch scheinen mag, so ist es dennoch so, und nicht anders. Er besitzt ein unermeßliches Vermögen, das selbst seine zahllosen Ausschweifungen nicht erschöpfen können, und ich würde bei meinen Grundsätzen unklug handeln, einen Antheil daran auszuschlagen, der sonst auf eine andere Weise vergeudet würde. Sie aber, mein Herr, verzeihen Sie mir meine Offenheit, Sie sind von einer leidenschaftlichen Liebe zu mir förmlich verblendet, und wollen die Gegenliebe mit einem Opfer erkaufen, mit einem Aufwande, der ausser allem Verhältnisse mit Ihrem Vermögen steht. Gegenliebe kann nie erkauft werden, und der Genuß ohne [210] Liebe wird Ihnen um so weniger genügen, als Sie mich wahrhaft zu lieben scheinen, und nur den rechten Weg zu meinem Herzen verfehlt haben. Nicht wahr, Sie lieben mich?«

»Gewiß, so wahr mir Gott helfe!«

»Könnten Sie mir eine Bitte wohl versagen?«

»Keine, und sollte die Gewährung mein Leben kosten!«

»Nun so bitte ich Sie, Ihr Gold wieder zu nehmen, und mein Freund zu bleiben. Sie zaudern? Liegt Ihnen so wenig an meiner Freundschaft?«

»Alles, alles! Aber wie schwer ist die Aufgabe, von der Liebe zur Freundschaft überzugehen!«

»Keine Rose ohne Dorn, kein Sieg ohne Streit! Um so herrlicher ist der Triumph Ihres Bewußtseyns, und Sie kehren dann mit reinem Gemüthe, mit unverletzter Pflicht in den Schooß Ihrer liebenswürdigen Familie zurück, und kein Scorpion wird fort und fort an Ihrem Herzen nagen, wenn die Reue nicht einkehret in Ihre schuldlose Seele. Noch einmal bitte ich Sie, Sie gaben mir Ihr Wort, – nehmen Sie das Gold zurück!«

Der Rittergutsbesitzer nahm es mit feuchten Augen, und rief mit gerührtem Herzen aus: »Wahrlich, so viel Tugend wäre wohl eines bessern Rufes werth!«

»Wohl mag es sich fügen, daß die Zukunft noch diesen schönen Wunsch erfüllet; bis dahin genügt es mir, wenn so achtungswürdige Männer, wie Sie, mein Freund, mich[211] nicht ganz verkennen. Das Herzchen von Diamant, das Sie mir sendeten, behalte ich, wenn Sie es erlauben, als ein Andenken von Ihnen; es wird mich stets erinnern, daß mein neuer Freund kein so hartes Herz, aber doch ein so reines besitzt, wie Diamant. Nehmen Sie nun als ein kleines Gegengeschenk, dessen Werth für Sie jedoch nur darin liegen kann, daß es von mir kommt, mein Portrait, und gedenken Sie manchmal meiner und dieser Stunde, wenn Sie ferne von mir, und doch meinem Herzen nahe sind. Sie müssen bei meinem Abendmahle mein Gast seyn; Fanny und Betty sollen uns ein Stündchen Gesellschaft leisten, und mit Musik und Gesang uns ergötzen. So lange Sie hier sich aufhalten, mein Freund, liegt täglich ein Gedeck für Sie auf meiner Tafel.«

Während Rosa dieß sprach, überreichte sie dem Rittergutsbesitzer, der in Freudenthränen zu ihren Füßen lag, ihr reich mit Edelsteinen garnirtes Portrait, und wandelte am Arme des Glücklichen zur reichbesetzten Tafel.

Unter Rosa's zahllosen und kostbaren Juwelen strahlet wohl keines himmlisch-reiner, als dieser edle Zug aus ihrem Leben!

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 203-212.
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