Zweites Kapitel

Zweites Kapitel

[11] Ein guter Mensch, der Bählamm hieß

Und Schreiber war, durchschaute dies.

Nicht, daß es ihm an Nahrung fehlt.

Er hat ein Amt, er ist vermählt.

Und nicht bloß dieses ist und hat er;

Er ist bereits auch viermal Vater.

Und dennoch zwingt ihn tiefes Sehnen,

Sein Glück noch weiter auszudehnen.

Er möchte dichten, möchte singen,

Er möchte was zuwege bringen

Zur Freude sich und jedermannes;

Er fühlt, er muß und also kann es.
[11]

Zweites Kapitel

Der Muße froh, im Paletot,

Verläßt er abends sein Bureau.

Er eilt zum Park, um hier im Freien

Den holden Musen sich zu weihen.


Natürlich einer, der wie er

Gefühlvoll und gedankenschwer,

Mag sich an weihevollen Plätzen

Beim Dichten gern auch niedersetzen.
[12]

Zweites Kapitel

Doch schon besetzt ist jeder Platz

Von Leuten mit und ohne Schatz.


Da lenkt er doch die Schritte lieber

Zum Keller, der nicht fern, hinüber.
[13]

Zweites Kapitel

Er wählt sich unter vielen Bänken

Die Bank, die angenehm zum Denken.


Zweites Kapitel

Zwar erst verwirrte seinen Sinn

Das Nahgefühl der Kellnerin;
[14]

Zweites Kapitel

Doch führt ihn bald ein tiefer Zug

Zu höherem Gedankenflug.


Zweites Kapitel

Schon brennt der Kopf, schon glüht der Sitz,

Schon sprüht ein heller Geistesblitz;

Schon will der Griffel ihn notieren;

Allein es ist nicht auszuführen,
[15]

Zweites Kapitel

Der Hut, als Dämpfer der Ekstase,

Sinkt plötzlich tief auf Ohr und Nase.

Ein Freund, der viel Humor besaß,

Macht sich von hinten diesen Spaß.


Zweites Kapitel

Empört geht Bählamm fort nach Haus.

Der Freund trinkt seinen Maßkrug aus.
[16]

Zweites Kapitel

Zu Hause hängt er Hut und Rock

An den gewohnten Kleiderstock

Und schmückt in seinem Kabinett

Mit Joppe sich und Samtbarett,

Die, wie die Dichtung Vers und Reim,

Den Dichter zieren, der daheim.


Zweites Kapitel

[17] Scharf sinnend geht er hin und wider,

Bald schaut er auf, bald schaut er nieder.


Zweites Kapitel

Jetzt steht er still und ruft: »Aha!«

Denn schon ist ein Gedanke da.
[18]

Zweites Kapitel

Schnell tritt Frau Bählamm in die Tür,

Sie hält in Händen ein Papier.

Sie ruft: »Geliebter Balduin!

Du mußt wohl mal den Beutel ziehn.

Siehst du die Rechnung breit und lang?

Der Schuster wartet auf dem Gang.«


Besonders tief und voll Empörung

Fühlt man die pekuniäre Störung.
[19]

Zweites Kapitel

's ist abgetan. – Das Haupt gesenkt,

Steht er schon wieder da und denkt.


Zweites Kapitel

Begeistert blickt er in die Höh:

»Willkommen, herrliche Idee!«[20]

Auf springt die Tür. – An Bein und Arm

Geräuschvoll hängt der Kinderschwarm. –


Zweites Kapitel

»Ho!« – ruft der Franzel – »Kinder hört!

Jetzt spielen wir mal Droschkenpferd!

Papa ist Gaul und Kutscher ich.«

»Ja!« – ruft die Gustel – »Fahre mich!«

»Ich« – ruft der Fritz – »will hinten auf!

Hopp hopp, du altes Pferdchen, lauf!«


Zweites Kapitel

»Hüh!« – ruft der kleine Balduin –

»Will er nicht ziehn, so hau ich ihn!« –
[21]

Wer kann bei so bewandten Dingen

Ein Dichterwerk zustande bringen? –


Nun meint man freilich, sei die Nacht,

Um nachzudenken, wie gemacht.

Doch oh! wie sehr kann man sich täuschen!

Es fehlt auch ihr nicht an Geräuschen.


Der Papa hat sich ausgestreckt,

Gewissenhaft sich zugedeckt;

Warm wird der Fuß, der Kopf denkt nach;

Da geht es Bäh! vielleicht nur schwach.

Doch dieses Bäh erweckt ein zweites,


Zweites Kapitel

Dann Bäh aus jeder Kehle schreit es.

Aus Mamas Mund ein scharfes Zischen,

Bedrohlich schwellend, tönt dazwischen,

Und Papas Baß, der grad noch fehlte,

Verstärkt zuletzt das Tongemälde.


Wie peinlich dies, ach, das ermißt

Nur der, der selber Vater ist.
[22]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 4, Hamburg 1959, S. 11-23.
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