Erstes Kapitel

[82] Das Reden tut dem Menschen gut;

Wenn man es nämlich selber tut;

Von Angstprodukten abgesehn,

Denn so etwas bekommt nicht schön.


Die Segelflotte der Gedanken,

Wie fröhlich fährt sie durch die Schranken

Der aufgesperrten Mundesschleuse

Bei gutem Winde auf die Reise

Und steuert auf des Schalles Wellen

Nach den bekannten offnen Stellen

Am Kopfe in des Ohres Hafen

Der Menschen, die mitunter schlafen.


Vor allen der Politikus

Gönnt sich der Rede Vollgenuß;

Und wenn er von was sagt, so sei's,

Ist man auch sicher, daß er's weiß.


Doch andern, darin mehr zurück,

Fehlt dieser unfehlbare Blick.

Sie lockt das zartere Gemüt

Ins anmutreiche Kunstgebiet,

Wo grade, wenn man nichts versteht,

Der Schnabel um so leichter geht.


Fern liegt es mir, den Freund zu rügen,

Dem Tee zu kriegen ein Vergnügen

Und im Salon mit geistverwandten

Ästhetisch durchgeglühten Tanten

Durch Reden bald und bald durch Lauschen

Die Seelen säuselnd auszutauschen.

Auch tadl' ich keinen, wenn's ihn gibt,

Der diese Seligkeit nicht liebt,

Der keinen Tee mag, selbst von Engeln,

Dem's da erst wohl, wo Menschen drängeln.

Ihn fährt die Droschke, zieht das Herz

Zu schönen Opern und Konzerts,[82]

Die auch im Grund, was nicht zu leugnen,

Zum Zwiegespräch sich trefflich eignen.

Man sitzt gesellig unter vielen

So innig nah auf Polsterstühlen,

Man ist so voll humaner Wärme,

Doch ewig stört uns das Gelärme,

Das Grunzen, Plärren und Gegirre

Der musikalischen Geschirre,

Die eine Schar im schwarzen Fracke

Mit krummen Fingern, voller Backe,

Von Meister Zappelmann gehetzt,

Hartnäckig in Bewegung setzt.

So kommt die rechte Unterhaltung

Nur ungenügend zur Entfaltung.


Ich bin daher, statt des Gewinsels,

Mehr für die stille Welt des Pinsels;

Und, was auch einer sagen mag,

Genußreich ist der Nachmittag,

Den ich inmitten schöner Dinge

Im lieben Kunstverein verbringe;

Natürlich meistenteils mit Damen.

Hier ist das Reich der goldnen Rahmen,

Hier herrschen Schönheit und Geschmack,

Hier riecht es angenehm nach Lack;

Hier gibt die Wand sich keine Blöße,

Denn Prachtgemälde jeder Größe

Bekleiden sie und warten ruhig,

Bis man sie würdigt, und das tu ich.

Mit scharfem Blick, nach Kennerweise,

Seh ich zunächst mal nach dem Preise,

Und bei genauerer Betrachtung

Steigt mit dem Preise auch die Achtung.

Ich blicke durch die hohle Hand,

Ich blinzle, nicke: »Ah, scharmant!

Das Kolorit, die Pinselführung,

Die Farbentöne, die Gruppierung,

Dies Lüster, diese Harmonie,

Ein Meisterwerk der Phantasie.

Ach, bitte, sehn Sie nur, Komteß!«

Und die Komteß, sich unterdeß

Im duftigen Batiste schneuzend,

Erwidert schwärmrisch: »Oh, wie reizend!«[83]

Und wahrlich! Preis und Dank gebührt

Der Kunst, die diese Welt verziert.


Der Architekt ist hochverehrlich,

(Obschon die Kosten oft beschwerlich)

Weil er uns unsre Erdenkruste,

Die alte, rauhe und berußte,

Mit saubern Baulichkeiten schmückt,

Mit Türmen und Kasernen spickt.


Der Plastiker, der uns ergötzt,

Weil er die großen Männer setzt,

Grauschwärzlich, grünlich oder weißlich,

Schon darum ist er löb- und preislich,

Daß jeder, der z.B. fremd

Soeben erst vom Bahnhof kömmt,

In der ihm unbekannten Stadt

Gleich den bekannten Schiller hat.


Doch größern Ruhm wird der verdienen,

Der Farben kauft und malt mit ihnen.


Wer weiß die Hallen und dergleichen

So welthistorisch zu bestreichen?

Al fresco und für ewig fast,

Wenn's mittlerweile nicht verblaßt.

Wer liefert uns die Genresachen,

So rührend oder auch zum Lachen?

Wer schuf die grünen Landschaftsbilder,

Die Wirtshaus- und die Wappenschilder?

Wer hat die Reihe deiner Väter

Seit tausend Jahren oder später

So meisterlich in Öl gesetzt?

Wer wird vor allen hochgeschätzt?

Der Farbenkünstler! Und mit Grund!

Er macht uns diese Welt so bunt.


Darum, o Jüngling, fasse Mut;

Setz auf den hohen Künstlerhut

Und wirf dich auf die Malerei;

Vielleicht verdienst du was dabei!


Nach diesem ermunterungsvollen Vermerke

Fahren wir fort im löblichen Werke.
[84]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 4, Hamburg 1959, S. 82-85.
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