Erster Streich

[344] Mancher gibt sich viele Müh'

Mit dem lieben Federvieh;

Einesteils der Eier wegen,

Welche diese Vögel legen,

Zweitens: weil man dann und wann

Einen Braten essen kann;

Drittens aber nimmt man auch

Ihre Federn zum Gebrauch

In die Kissen und die Pfühle,

Denn man liegt nicht gerne kühle. –


Erster Streich

Seht, da ist die Witwe Bolte,

Die das auch nicht gerne wollte.


Erster Streich

Ihrer Hühner waren drei

Und ein stolzer Hahn dabei. –[344]

Max und Moritz dachten nun:

Was ist hier jetzt wohl zu tun? –

– Ganz geschwinde, eins, zwei, drei,

Schneiden sie sich Brot entzwei,


Erster Streich

In vier Teile, jedes Stück

Wie ein kleiner Finger dick.

Diese binden sie an Fäden,

Übers Kreuz, ein Stück an jeden,

Und verlegen sie genau

In den Hof der guten Frau. –

Erster Streich

Kaum hat dies der Hahn gesehen,

Fängt er auch schon an zu krähen:

Kikeriki! Kikikerikih!! –

Tak tak tak! – da kommen sie.


Erster Streich

[345] Hahn und Hühner schlucken munter

Jedes ein Stück Brot hinunter;


Erster Streich

Aber als sie sich besinnen,

Konnte keines recht von hinnen.


Erster Streich

In die Kreuz und in die Quer

Reißen sie sich hin und her,
[346]

Erster Streich

Flattern auf und in die Höh',

Ach herrje, herrjemine!


Erster Streich

Ach, sie bleiben an dem langen

Dürren Ast des Baumes hangen. –


– Und ihr Hals wird lang und länger,

Ihr Gesang wird bang und bänger;


Erster Streich

Jedes legt noch schnell ein Ei,

Und dann kommt der Tod herbei. –


Erster Streich

[347] Witwe Bolte, in der Kammer,


Hört im Bette diesen Jammer;


Erster Streich

Ahnungsvoll tritt sie heraus:

Ach, was war das für ein Graus!


Erster Streich

»Fließet aus dem Aug', ihr Tränen!

All mein Hoffen, all mein Sehnen,


Meines Lebens schönster Traum

Hängt an diesem Apfelbaum!!«
[348]

Erster Streich

Tiefbetrübt und sorgenschwer

Kriegt sie jetzt das Messer her;


Nimmt die Toten von den Strängen,

Daß sie so nicht länger hängen,


Erster Streich

Und mit stummem Trauerblick

Kehrt sie in ihr Haus zurück. –


Dieses war der erste Streich,

Doch der zweite folgt sogleich.
[349]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 1, Hamburg 1959, S. 344-350.
Lizenz:
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