1108. An Nanda Keßler

[86] 1108. An Nanda Keßler


Wiedensahl 6. Jan. 97.


Meine liebe Nanda!

Da's nun fast hundert Jahr her ist, seit ich Deinen letzten Brief erhielt, so scheint mir's allnachgerade an der Zeit zu sein, mal anzufragen, wie es Dir geht. – Zwar hoff ich und nehme fast zuversichtlich an, daß die Sach wieder völlig in Richtigkeit ist; daß du ausfährst, in die Stadt spatzierst, deine Bekannten bei Dir siehst, alles wie ehedem, und daß Du eben drum nicht dazu kommen kontest, dem alten Jungen über dein Wohlergehn zu berichten. Aber man möchte doch, was man hofft und vermuthet, auch gern noch ausdrücklich bestätigt haben. Daher diese sanfte Ermunterung zum Ergreifen der Feder.

Wo hast du denn deine Sylvesterbowle getrunken? – Ich für meine Person pflegte mich bisher zu solchem Zwecke regelmäßig in Wolfenbüttel einzufinden. Für diesmal, weil ich eben erst aus der Fremde zurückgekehrt war, hab ich es bleiben laßen und bin zuhaus hinterm Ofen geblieben. Wir tranken in äußerster Stille einen leichten bekömmlichen Glühwein (wovon ich das Meiste kriegte) und sagten uns Prostneujahr und Gutenacht, bevor es noch Zwölfe schlug.[86]

Gegen Ende dieses Monats denk ich als braver Großohm in Hunteburg zu sein, um Martin den kleinen, der inzwischen laufen gelernt hat, mit gebührendem Intereße zu besichtigen.

Leb wohl, meine liebe Nanda! – Und, wie gesagt, vergiß nicht, mal bald von dir was Gutes zu schreiben an deinen

Onkel Wilhelm


der dich tausendmal grüßen thut. –

7ten Jan.


Grad, als ich die vorstehenden Zeilen an dich abschicken wollte, erhielt ich deinen liebenswürdigen Brief aus dem Taunus.

Das frische Winterwetter da draußen im Freien wird dir sicherlich immer mehr wohlthun. Vorläufich freilich, auf den glatten Wegen, ist's wohl am besten, die hübschen Beinchen nur mit Moderation zu gebrauchen und lieber sänftlich dahin zu gleiten im Schlitten bei lustigem Schellengeklingel. Ihr habt ja Schnee, während bei uns die graue Erde ganz nackt daliegt trotz dem pustenden Ostwind. –

Wie befinden sich denn, nach dem heftigen Knubbs, die allerwerthesten Körpertheile? – – Wie ich halb vernehme, halb ahne, wird das "Pro blem" für's erste mal Ruhe haben; ist auch mehr geeignet für mündliche Erörterung. Eine schriftliche, selbst eine kilometerlange, wäre wenig ersprießlich, besonders jetzt, wo du "etwas anderes zu ergründen hast, was dir näher liegt." Nur, bitte, kein "Purzelbäumchen"! Denn das macht sich nicht schön für ein sittsames Mädchen.

Nochmals tausend Grüße von deinem guten

Onkel W.


P.S. Vom 18ten dieses Monats an bin ich bei

Pastor Nöldeke

Hunteburg im Osnabrück'schen.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 86-87.
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