1127. An Grete Meyer

[95] 1127. An Grete Meyer


Wiedensahl 29. April 1897.


Liebe Grete!

Heut früh, als wir recht still beim Kaffee saßen, weil Frl. K.s Abreise zu Mittag bevorstand, kam ganz unvermuthet ein Telegramm, woraus wir zu unserer Freude ersahn, daß Du in Hunteburg zum zweiten mal Tantchen geworden bist und zwar diesmal vermittelst der glücklichen Ankunft eines kleinen Mädchens. Ich gratulire! Werde aber, bitte, nun nicht parteiisch auf Martin seine Kosten. Eigentlich war es, arglos wie ich bin, meine Ab-[95] sicht, euch in diesen Tagen zu besuchen; ich wurde jedoch von achtbarer Seite gebührend in Kenntniß gesetzt von dem, was vermuthlich paßiren könnte. Und richtig, so kam's. Deine häuslichen Regierungssorgen erlauben dir jetzt nicht, herum zu bummeln. Also komm ich später mal, wenn ich gewiß weiß, daß ich die Merkwürdigkeiten Münsters unter deiner kunstverständigen Anleitung besichtigen kann.

Seit vorgestern war es, nach der bisdahinigen Kälte, ganz schwulig warm allhier; heute kam Regen und Donnerwetter. Das Gemüse wächst eifrig. Rhabarber entfaltet mächtige Kolben; Maiglöckchen wollen blühn; selbst die weißen Narzißen, sonst immer taub, kriegen Knospen, gewiß nur, weil ich sie neulich, deinem einstmaligen Winke gemäß, unter den Bäumen weg hinter der Laube in den Rasen verpflanzte. Der Hopfen schlängelt sich schon. Am schönsten machen sich grad jetzt die Farrn; an den Stielen sitzt noch der weiche, gelbbräunliche Winterpelz; oben sind sie gebogen wie Bischofsstäbe, und die Biegung ist zierlich ausgefüllt von den werdenden Blättchen, alle mit den Spitzen nach innen gerichtet.

Daß ich drei Sperlingsnester, noch im Bau begriffen, unter dem Dach an der Südseite, vernichtet habe, verzeihst du mir wohl. Nämlich, eins saß grad über der Regentonne, zwei saßen über Tante ihren Fenstern, und drunter liegt das Beet mit dem ersten Spinat. Sonst hab ich ja allen Respekt vor diesen Vögeln wegen ihrer Schlauheit und großen Betriebsamkeit, aber sie laßen fallen, was sie wollen, und so was geht denn doch nicht unter anständigen Leuten. –

Für Sonnabend nachmittag hat sich die neue Tante angemeldet.

Mach dein Sach gut, liebe Grete! Hast du den Kopf nicht zu voll in der Küch von Kraut und Rüben, so schreib an mich.

Tausend Grüße von deinem

Onkel Wilhelm,


von Tante auch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 95-96.
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