1128. An Grete Meyer

[96] 1128. An Grete Meyer


Wiedensahl 17. Mai 1897.


Liebe Grete!

Bei feinstem Wetter fuhr ich Montag vor acht Tagen nach Hattorf, wo alles wohlauf war: Hühner, Küken, Menschen, Karnickel, zwei Meckerziegen, zwei Zicklämmchen und ein schwarzer wohlerzogener Spitz. Hermann war dabei, neuen Rasen zu machen, sowohl vor wie hinter dem Haus. Natürlich fing es gleich Dienstag zu pladdern an und dann zu hageln und dann zu schneien und immer so weiter bis letzten Donnerstag, an dem mich abends Vater Leitner auf das pünktlichste wieder der Heimath entgegenkutschierte.

Tante hatte sich inzwischen mit der neuen Gehülfin bis soweit ganz erfreulich zurechtegekramt; wir hoffen, daß es so weiter geht.

Im Garten war vonwegen der Kälte das Grünzeug nur mäßig in die Höhe gekommen; Gurken, noch unsichtbar, wurden vorsichtshalber flink nachgelegt; aber der erste Spinat konnte gleich freitags gegeßen werden.

Hinter Tante ihren Fenstern, weißt du wol, im Epheubaum über dem Maiglöckchenbeet, hat, während ich weg war, ein wohltönendes Schwarzdroßelmännchen mit seinem Weiblein ein Nest gebaut, in dem anscheinend bereits Junge sitzen. Die Alten kennen mich noch nicht; wenn sie mich von weitem sehen, geht's leise ängstlich tacktack! und wenn ich näher komme, schelten sie mich aus. Besonders besorgt und entrüstet sind sie, wenn ich es wage, mir in ihrer Gegenwart die Nase zu putzen. Allmählich werden sie ja wohl einsehn, daß ich kein Anarchist, sondern harmlos und friedlich bin.

Des kleinen Nichtchens Name Ruth ist gewiß Dieser und Der zuerst ungewohnt vorgekommen; nur Schwester Tante Marie hat ihn sofort höchst löblich gefunden. Auch uns hier gefällt die alttestamentliche Gevatterin sehr gut. – Oder hättest Du lieber Jochebet gewollt?

In Hunteburg sind sie ja gesund, wie deine Mutter berichtete, und Spaß paßirt auch daselbst, wie denn z.B. dieser Martin sich eigenhändig ein[96] kaltes Wannenbad zurechtgemacht und sich hinein gesetzt hat in voller Montur. Junge Junge, was haste da gemacht!!

Ade! liebe Grete! Sei bedankt für deinen hübschen Brief, den du mir schriebst, als ich in Hattorf war, und vergiß nicht, daß ich grad so gern auch in Wiedensahl einen kriegen möchte.

Die herzlichsten Grüße von Tante und deinem getreuen

Onkel Wilhelm.


P.S. – Hm! – "Drömmelig?" Mit kurzem ö und g am End? Das Wort hat was an sich. Dahingegen plattd. drōm – hochd. Traum und drömeln – träumeln und drömlich – träumerisch darf man dreist in der besten Gesellschaft gebrauchen. – Nichts für ungut!

Anna B. hat uns gestern ihre Hochzeit definitiv für den elften Juni angesagt.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 96-97.
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