1170. An Grete Meyer

[117] 1170. An Grete Meyer


Wiedensahl 4. Jan. 1898.


Liebe Grete!

Die Ferienzeit in Münster und Hunteburg wird dir schnell genug vergangen sein. Du bist nun wieder in Köln, entlockst dem polierten Kasten die reizendsten Töne und hast den Kopf voller Noten, wie im Sommer der Teich voller Kulquabben sitzt, die drin krimmeln und wimmeln. Du kennst sie ja, die kleinen schwarzen Thierlein mit dicken Köpfchen und dünnen Schwänzchen. Sie sehen genau aus wie Viertelnoten. Und wie aus Noten Töne werden und sich Töne zu Musik verbinden, so verwandeln sich die Kulquabben in Frösche, und die Frösche, wenn ihrer genug beisammen sind, geben dann die beliebten ländlichen Abendkonzerte. – Aber nein! Ganz proppende voll wird der Kopf doch nicht sein von lauter Noten. Zu einem netten Teiche gehören ja nicht bloß Kulquabben, sondern auch Waßerrosen, weiß und gelb, und am Rand hübsch blaue Vergißmeinnicht.[117]

In meinem eigenen Schädel krabbelt jetzt grad fast nichts wie Englisch herum; denn mich ergötzt Boswell, der unwillkührliche Komiker, der in drei dicken Bänden den alten Johnson schriftlich abphotographirt hat und sich selbst zugleich mit, vor länger als hundert Jahren, und zwar so scharf, daß die zwei Kerls ganz deutlich weiter leben.

Bei dem angenehmen Frühlingswinterwetter lustwandle ich täglich im Garten. Die Schneeglöcken gucken keck aus der Erde hervor. Eine Schwarzdroßel, die vom Sommer her hierblieb, stochert eifrig und erfolgreich im dürren Laube herum. Sie ist blank und fett. Wenn's nur nicht bald anderster wird. Bis Ostern hat Frau Holle noch Zeit genug, ihre Betten auszuklopfen. –

Weißt du wol noch, wie du im vorigen Januar den Muff verlorst, als wir zusammen von Bohmte nach Hunteburg fuhren. Zum Glück merktest du bald was. Kutscher Heinrich, der Verschämte, hielt stille; du krochst heraus, und richtig! nicht weit zurück, da lag er, dein hochgeschätzter Handcalefactor. Damals war's kälter, als jetzt.

Leb wohl, mein liebs Gredel! Viele herzliche Grüße an dich und auch an Annchen von Tante Fanny und deinem alten

Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 117-118.
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