1212. An Grete Meyer

[137] 1212. An Grete Meyer


Mechtshausen 24. Nov. 1898.


Liebe Grete!

Ich danke Dir für deinen Brief. – Du bist gesund, du hast Arbeit, die Dir gefällt, also geht's Dir gut. Obendrein sahst du noch eine franciskanische Vision von Murillo, dem Vortrefflichen, der durch seine vielen Mondmarien schon früh das Wunder von Lourdes mit dichten half, der aber, gottlob, unter anderm auch die Betteljungen und die Alte mit dem Lausbuben und dem Hündchen für uns so lustig verfertigt hat. – Die stolzen Spanier sind ja beweinenswerth dran. Was hilft's? Kriegen wir bei der Gelegenheit schöne Bilder von ihnen, dann, förcht ich, werden wir lächeln durch Thränen. Holt wisse wat'e hast un nümm wat'e kriegen konnst – sagt der Bauer. Und so wären wir denn, über den heiligen Franziskus hinweg, mal wieder angelangt bei der neusten Philosophie, oder der ältesten vielmehr, denn Luzifer ist ihr erster Erfinder. Einen gescheidten Förderer derselben, schon aus den 40er Jahren, "Der Einzige und sein Eigenthum" hab ich kürzlich mit Vergnügen gelesen. Sonderbar, daß man für nöthig hält, so begeistert zu demonstriren, was alle Welt schon von selber weiß. Eine anmuthige junge Dame, die ich kenne, sprach sogar von Pflichten gegen sich selbst – denke dir man bloß. War das nicht überflüßig? –

An der Südseite des Hauses hat's Luft gegeben; die Wildniß ist weg; mehre alte Kirschbäume liegen streckelangs da. Das that Herr Bieling, ein mächtiger Wühler und Wurzler. – Den engeren Hühnerstall hat Nachbar Probst, der Tischler, zurechte gemacht. Otto mußte jeden einzelnen Quäkevogel fangen und hineinsperren, mehrmals, abends, bis sie sich nunmehro gewöhnt haben. Leider werden keine Eier gelegt. Wer kann das auch bei der ewigen Unruhe? – Derselbe Herr Probst kloppt eben jetzo im Keller, um aus der Wiedensahler Zeugrolle ein ewigdauerndes Weingestell herzurichten. – Zugleich geht an der Nordwestecke ein kleines verschämtes Sallettel, (Eintritt von der Konfirmandenstube) seiner allmähligen Vollendung entgegen. Wenn du hier bist, liebs Kind, darfst du auch mal drin sitzen.

Solche Bauten dienen dem Neffen Martin natürlich zu andächtiger Betrachtung. – Ruth, im Gedrängel des Haushalts, muß viel im Stühlchen sitzen, am liebsten in der Küche, wo der beste Theaterplatz ist. Seit ein paar Tagen läuft sie alleinealleine! Sehr hübsch und drollig zu sehn.

Es ist sehr gut allhier. Damit aber die Menschen nicht aus der Kiepe hucken – weiste wol – so geht auch dieses und jenes verqueer. Minna, das[137] Mädchen aus Ringelheim kriegte erst Diphteritis, dann was anderes; der Docter befürchtete Langwierigkeit; Otto bestellte einen Wagen aus Seesen; gestern ist sie mit ihrer Schwester wohlverpackt in Betten nach Haus gefahren. – Else ist bei alledem immer munter, muthig und musterhaft. –

Wir alle, liebe Grete, grüßen dich tausend Mal! – Stets dein

getreuer Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 137-138.
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