1245. An Grete Meyer

[151] 1245. An Grete Meyer


Mechtshausen 24. Oct. 1899.


Liebe Grete!

Sei bedankt für deinen nüdlichen Brief.

Du tippst an die religiöse Saite. Ja, da muß ich sagen, was ich schon oft gesagt habe: Der Glaube ist so was wie Liebe; er beruht nicht auf Gründen, sondern auf Ursachen. Deshalb ist mit dem Verstande nicht viel zu machen dabei, weder für noch wider, und darum überlaßen wir den Rationalismuß wohl am besten den aufgeklärten Hausknechten und Gemüsefrauen. Zunächst ist der Verstand für die Bedürftigkeiten des Lebens bestimmt.[151]

Wer dann noch welchen über hat, nun gut, der mag ihn anwenden, um sich die verzwickten Dinge dieser Welt ein wenig zurecht zu legen. Gelegentlich, ohne Zeit und Arbeit, gehts freilich nicht. Trotzdem, gefällig wie ich bin, werd ich dir gern Rede und Antwort stehn, wenn du nur deine Fragen nicht bunt, sondern bündig zu stellen beliebst. Der Bildungsdrang der Frauenzimmer ist doch nicht mehr aufzuhalten, und wer möcht's ihnen auch verdenken, daß sie endlich heraus hucken möchten aus der zwängenden Kiepe. Schlau genug und betriebsam und hartnäckig sind sie dazu, und durchdringende Stimmmittel für öffentliche Beredsamkeit finden sich ebenfalls. Drollig! Fast in jeder Geschichte, die ich letzther zur Hand nahm, fand ich ein keckes Tantchen, das einem im Althergebrachten versimpelten Mannsbilde überlegen die Meinung sagt. Geht sie aber zu freien Thaten über, dann giebt's in der Regel einen schmerzlichen Knacks. Die alte Moral scheint doch am End im tiefsten Boden der Welt zu wurzeln, und Rücksicht wird lange noch rathsam sein, so lästig sie ist.

Die Nachrichten aus Verden lauten günstig im Ganzen. Wohnung und geselliger Umgang werden gelobt. Aber Rika, die gute, ist plötzlich bockbeinig geworden. Ihre Nachfolgerin ist bereits angeworben.

Auch der sonst so freundliche Herbst macht ein grämlich Gesicht. Schad! Denn der Garten wird umgegraben. Else und Otto legten 3 Krokus- und Tulpenbeete im Rasen an für den kommenden Frühling. Vorläufig fangen erst mal die Blätter an, ganz sutjen von den Bäumen zu rieseln.

Martin ist seit gestern nicht ganz wohl. Der Docter hält es für leichte Erkältung.

Vor dem Bodenfenster baumelt ein Hase; zu Mittag gab's Rehziemer. Ätsch!

Leb wohl! Glückliche Reise! Mit herzlichen Grüßen von uns Allen dein

alter Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 151-152.
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