1246. An Johanna Keßler

[152] 1246. An Johanna Keßler


Mechtshausen 17. Nov. 1899.


Liebste Tante!

Recht betriebsame Briefsteller sind wir ja beide nicht von Natur, und meine Reisescheu wird immer schlimmer mit den Jahren. So muß ich denn wohl, um nach so langer Zeit mal wieder was von Ihnen zu lesen, meinerseits mit einer kleinen Epistel den Anfang machen.

Schwester und Nichte, denen es im Winter und Frühling so traurig erging, befinden sich gut seitdem. Hernach kam der schöne Sommer, gefolgt von dem prächtigen Herbst. Wir hatten fortwährend Besuch: Bruder Hermann aus Celle; Neffe Adolf aus Norden (jetzt Oberlehrer am Gymnasium in Verden) mit Frau und Töchterchen; die Hattorfer, und zuletzt aus Münster in Westfalen die Eltern und noch länger die beiden netten Schwestern meiner Nichte allhier. Das Pfarrhaus war voll und mannichfaltig besetzt. Viel hielt man sich im Garten auf, der sehr geräumig ist. Er senkt sich südlich nach einer schmalen Wiese hin, von wo man in 5 – 10 Minuten rechts ab nach dem langgestreckten Waldberge, genannt "Heber", gelangt.

Zwischen ihm und den Feldern ist ein breiter Rasen, sehr bequem drauf zu wandeln, besonders nachmittags, wenn die Sonne hinter den Berg geht. Dann sieht man von dem schattigen Wege aus die Dörflein Mechtshausen, Rhüden, Bornhausen und das Städtchen Seesen unten im Sonnenschein liegen und dahinter die Berge. Dies Stückchen Welt und die lieben Leute, mit denen ich lebe, find ich immer mehr angenehm und paßend für mich.

Wohin spatzieren denn Sie und Letty jetzt, nachdem die Ginheimer Höhe in anderm Besitz ist? Ich denke mir, Sie fahren nun noch häufiger vor die Stadt hinaus, als Sie das früher gethan.

Leben Sie wohl, liebste Tante, samt all den Ihrigen.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr alter

Onkel Wilhelm.[152]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 152-153.
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