1254. An Grete Meyer

[155] 1254. An Grete Meyer


Mechtshausen 8. Jan. 1900.


Liebe Grete!

Ich wünsche Dir, wenn auch etwas voreilig, ein fröhliches neues Jahrhundert!

Meinen Dank für den Brief und das Bild, das mir gefällt. Die alltägliche "Glorie" um's Haupt ist freilich wegfrisirt, aber das macht nix, ich kenne sie butewennig.

Der Christabend in diesem letzten Jahr war gottlob heiterer, als der vorhergehende. Der Baum, so musterhaft gewachsen und fein geschmückt er war, fand zunächst wenig Beachtung bei den Kindern im Verhältniß zu dem greifbaren Eigenthum, wie Pferd, Schlitten u. Puppen. Erst als er später wieder angesteckt wurde, kam auch "die Schönheit an sich" zu ihrem Recht. So geht's mehr in der Welt.

Vor dem Fest war ich 14 Tage in Hattorf, kam aber kaum vor die Thür, denn sofort nach meiner Ankunft fing's tüchtig an zu schneien und das Thermometer fiel auf -17° R. – Hermann's langgehegte Baupläne scheinen sich zu verwirklichen. Die Scheune, die so viel Platz und Sonne wegnimmt, wird verkauft; die Stallräume, auch die Waschküche, kommen hinten an's Haus, so daß dann alles unter demselben Dache ist. Fast wäre der Verkauf nicht nöthig gewesen. Am Donnerstag abend vor Weihnachten sind die beiden Bauerhäuser dicht daneben abgebrannt. Die Gefahr auch für das Pfarrhaus lag nahe. Die Angst und Aufregung sind groß gewesen.

Heute wollten Otto und ich eigentlich mal nach Verden. Es wurde aber unwirrsches Wetter. So kommen wir wohl erst in übernächster Woche hin, da Otto inzwischen nach Goslar möchte, wo ein Vortrag gehalten wird, den er hören will.

Unser Befinden ist gut bis jetzt. Die Gartensämereien werden bereits ausgewählt und aufnotirt. Mehre abgehauene alte Kirschbäume warten auf hartgefrorenen Boden, daß sie der Drechsler wegholen kann. Bleibt's gelind, so werden flugs Rillen gemacht und mit Dünger gefüllt für die kommenden Gurken. Auch hat Otto sich noch viel vorgenommen mit der Baumsäge.

Vorläufig kommen die Meisen noch gern in den Futterkasten, worin sich Knochen befinden und Speckplocken und Wurstpelle und sonstige Herrlichkeiten. Vor dem Kasten her sind weiße Fäden gezogen zum Schrecken[155] der Spatzen, von denen man annimmt, daß sie schlau genug sind, um auch sonstwo ihre Nahrung zu finden. Sie kennen ja alle Löcher in den Scheunen der Bauern.

Übrigens seh ich im Garten schon allerlei, wenn auch schüchtern, aus Borke und Boden spitzen. Ein Zeichen, daß Mutter Erde im Herzen noch munter ist.

Leb wohl, liebes Gredel! Klein und Groß allhier aus dem Pfarrhaus laßen dich villemals grüßen, nicht zum wenigsten dein

getreuer alter Onkel

Wilhelm.


Wegen folklore, dacht ich, wird sie schon weiter fragen, nämlich nicht weiter vor, sondern weiter zurück, bis wo's so hübsch mystisch und deuster wird in der hintersten Boden- und Polterkammer des Gehirns. Aber nein! – Na, Genügsamkeit im Denken ist eine Tugend, die man nicht stören soll in dieser sonst so hastig durchwühlten Welt.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 155-156.
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