1255. An Grete Meyer

[156] 1255. An Grete Meyer


Mechtshausen 15. Jan. 1900.


Liebe Grete!

Sei bedankt für die schleunige Antwort.

Der fragende Geist ist doch noch reger, als ich gedacht hatte. Nur zu tatterig. Na, Diensteifer ziert den Onkel.

Wie dir bekannt ist, will das Christenthum eine neue Welt bauen, unter göttlichem Beistande, durch Verleugnung der alten. Hierauf beziehen sich die üblichen Begriffe von gut und böse.

Mit dem Entsagen hapert's aber. Um inzwischen etwas Ordnung zu schaffen, haben sich Staat und Moral zusammen gethan, und so können sich denn, ohne es zu sehr mit der geliebten Natur zu verderben, Heid, Jüd, Törk, Atheist und Christ in gleicher Art "nüdlich" und nützlich machen.

Und dann allen gemeinsam ist das Gewißen, der uralte Wecker – vermuthlich eine warnende Erinnerung an ein früheres Leben, an die schmerzlichen Folgen von dem, was man damals verübt hat. Sofort, wenn was im Herzen nicht richtig ist, geräth der Lebenssaft in ängstlichen Aufruhr und steigt in den Kopf. – Wohl dem, der noch erröthen kann! Dies so genannte böse Gewißen sollte eigentlich das gute heißen, weil's ehrlich die Wahrheit sagt.

Den gelungenen Alten, nach dem du fragst, kann ich dir vorläufig für die Lektüre nicht empfehlen. Er ist viel zu "weitsichtig" zu Gunsten seiner eigenen Meinung. Die neuen Mythologen suchen den Volksglauben psychologisch zu erklären; sie gehen aus von der Thatsache des Träumens, besonders des Alpdrückens. Ist auch, so viel ich sehe, die Begründung noch nicht klar und tief genug, so scheint mir der neue Weg doch viel beßer zu sein, als der alte. –

Otto und Else sind nach Goslar. Wir haben Frost und Schnee. Es blitzt und blänkert nur so. Nachts beim freundlichen Lichte des Mondes freßen die Hasen den Rosenkohl. Uns war er nicht gut genug.

Leb wohl, liebs Gredel! Mach's gut. Ich bin überzeugt, der kritische Klimpertag geht glücklich vorüber. Schreib's, bitte.

Sei herzlich gegrüßt von uns Allen!

Dein getr. Onkel

Wilhelm.


N.B. Wem's gruselt vor hypnotischen Dingen, der müßte sich, mein ich, genauer instruiren. Es geht alles natürlich zu.

Was die "Gehirngymnastik" betrifft – ja – Macht man einem nützlichen Pferdchen nicht auch Bewegung, damit es gelenkig bleibt?[156]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 156-157.
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