1258. An Nanda Keßler

[157] 1258. An Nanda Keßler


Mechtshausen 21. Febr. 1900.


Meine liebe Nanda!

Sei bedankt für deinen Brief! – Du bist fürs Begraben und nicht fürs Verbrennen. Mir wär's einerlei; denn so oder so: Zu Staub werden wir alle. Vermuthlich wird aber doch das Verbrennen die Bestattung der Zukunft sein. Es geht schneller, ist sauberer und nimmt weniger Platz weg. Auch braucht dann Keiner mehr bange zu sein, daß er lebendig begraben wird. Übrigens dürften Leichensteine, die du zu lieben scheinst, überhaupt alle noch so schlaue Vorrichtungen, um den werthen Leichnam in pietätvoller Erinnerung zu erhalten, auf die Dauer vergeblich sein. Sogar die egyptischen Konserven, die Mumien, die man tief in Felsen, unter Tempeln und[157] Pyramiden beisetzte, wurden, mir nichts dir nichts, wieder ausgewühlt und vor nicht gar langer Zeit noch pulverisirt in den Apotheken verkauft. Jetzt stellt man sie aus in öffentlichen Gebäuden, wo sie Hans und Kunz und Urschel dummlächelnd begafft, und gratuliren dürfen sich diese alten Könige und Königinnen, wenn sie nicht gar noch mit Röntgenstrahlen durchleuchtet werden. So neckisch und ironisch behandelt die Zeit alle menschlichen Eitelkeiten.

Französisch hab ich lang nicht gelesen. Das Letzte war "Lourdes", was mir gefiel, weil's so aussieht, als wärs der Wirklichkeit nachgeschrieben.

Wir saßen hier bislang gar schön im Schnee. Allmählig verliert er sich aber, so daß das Gartentheater hoffentlich bald wieder eröffnet wird.

Leb wohl! Sei herzlich gegrüßt mit deinen Kindern, und bitte, sag auch an Mutter, Schwester und Brüder einen recht freundlichen Gruß von deinem

Onkel Wilhelm.


1258. An Nanda Keßler: Faksimile Seite 1
1258. An Nanda Keßler: Faksimile Seite 1
Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 157-159.
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