1283. An Grete Meyer

[168] 1283. An Grete Meyer


Mechtshausen 20. Oct. 1900


Liebe Grete!

Dein Brief hat mich gefreut. – Unter den alten Kirschbäumen muß ich nun leider allein spatziern gehn. Auch die Sonne, seit du fort bist, läßt sich selten mehr blicken. Kühl bläst der Wind, dem Heber hängen die Wolken bis über die Ohren herab, und die Regentonnen sind übergelaufen. Immerhin ist es ein günstiges Vorzeichen, daß Wäsche eingesteckt wird für nächste Woche, – unberufen! denkt Else und äußert sich demüthig über ihr beständiges Glück in dieser Beziehung aus Furcht vor dem Neide der Götter.

Von den sechs Hähnchen im Stall wurden gestern die letzten gebraten, nur einer ist laufen gelaßen, um von nun an Herr zu sein auf dem Hofe. Die Gänse sitzen fest, damit sie in Ruhe sich mästen können. Die Enten freuen sich des Regens, während die Hühner, denen Trockenheit lieber ist, dröpsteertig herum steigen. Das zierliche Bantamchen, wenn es auch manchen Seitenhieb abkriegt von den großen Flegeln, weiß doch geschickt seine Nahrung zu erpicken. Abends geht es traulich mit den drei Enten zu Bette.

Neulich wollte Otto mit Herrn Kantor und einigen Schulkindern zum Kaiserbesuche nach Hildesheim, aber die Majestäten ließen absagen. Ein Trost wenigstens war es, daß an dem Tage ein grundgreuliges Wetter herrschte; denn selbst der beste Patriot mag nicht gern auf der Gaße stehn[168] und sich durch waschen laßen bis auf die Schwarte – hab ich mir sagen laßen.

Deine Musikschenke sollte eigentlich ungestört in der besten Stube bleiben, bis der Trubel in Hildesheim vorüber wäre. Da vorläufig alles still blieb, so wurde das gewichtige Hausgeräth sofort ohne weiters von starken Männern ergriffen, auf den Wagen gehoben, mit einem alten Teppich bedeckt und unter Segenswünschen schon wieder dahin geschickt, woher es erst kürzlich gekommen war.

Uns hier geht es ja gut bislang. Abends nach Tisch werden herrliche Birnen gegeßen. Zwetschenmus ist auch beliebt, besonders bei den Kindern und mir. Ein Topf ist leer bereits.

Leb wohl, liebe Grete! Von uns allen die herzlichsten Grüße!

Stets dein getreuer alter

Onkel

Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 168-169.
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