1654. An Franz von Lenbach

1654. An Franz von Lenbach


Wiedensahl 3. Jan. 89


Dein Besuch, liebster Lenbach, noch vor dem letzten Jahresschluß, beim großen Kalendermacher, hat mich im allgemeinen beruhigt, da ich vertrauensvoll annehme, daß ihr Blitz, Donner und Hagelschlag einstweilen notiert habt für die Schwarzen in Afrika. Im Besonderen reitet ja Jeder in's neue Jahr, wie ein Ritter in den verdächtigen Märchenwald, wo er nicht weiß, ob er von wohlmeinenden Feen geliebkost und bewohlthätigt, oder von schlechtdenkenden Spukedingern potzgründlich versudelt wird; von Tod und Teufel ganz abgesehn. – Scharf ging's her im verwichenen Zeitbezirk. Infolgedeßen trank ich die Sylvestersuppe nicht, wie bislang, ahnungslos lustig zu Wolfenbüttel, sondern allhier bei ländlicher Lampe, stillbedenklich, mit Schwester und Neffen. –

Um nicht ganz ohne neuerdingsliche Bildung 89 zu schreiben, las ich zuvor noch schnell von unsern nordischen Nachbarn zwei Dramen und einen Roman, die, wie alles, was an der Natur gewärmt, und wie vermuthlich auch die damit verschwägerten Graubilder, ihren theilweis eindringlichen Reiz haben. Zur Steuer der Wahrheit und zur Aufklärung der Mitspieler wird schließlich in beiden Theatergeschichten des Breiteren erörtert, was der Beschauer schon kennt, den also nichts hindert, derweil ruhig zur Garderobe zu schreiten. Im Roman geht's natürlich dem Guten definitiv kümmerlich, dem Schlechten unabsehbar vorzüglich. Allerdings, auch auf der für uns sehr beengten Bildfläche der Wirklichkeit stehen links die Nasen hervor von denen, die kommen, und rechts die Stiefel derer, welche davonlaufen. Aber, wenn wir in der leibhaftigen Welt den sich drückenden Hallunken der ewig wartenden Gerechtigkeit getrost überlaßen können, so möchten wir altfränkischen Leute doch, daß so ein abgefeimter Schlingel, der aus der Hinterthür eines Buches entwischen will und dem die Ewigkeit nicht gewiß ist, von den Herrn Poeten lieber gleich geziemend vermöbelt würde, derweil wir noch alle beisammen sind.

An Kaulbach, falls er nicht grad auf einen Hasen zielt, an Günther, wenn er nicht seine Burgbrücke hinter sich aufgezogen, an Levi, sobald er unter dem Haufen neuer Lorbeeren wieder hervorgekrabbelt, meinen Gruß.

Daß es Dir, liebster Freund, nebst Deiner Anmuthigen ganz ausnehmend gut gehen möge, das wünscht Dir schlechtweg von Herzen Dein getreuer

W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968.
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