22. An Otto Bassermann

[20] 22. An Otto Bassermann


München 20/11 1860.


Verdenke es mir nicht, lieber Otto, daß ich Deinen lieben Brief Dir so gar spät beantworte. Seit dem Tage Deiner Abreise hat mich das Schleimfieber. Anfangs habe ich mich stark dagegen gesträubt, ich ging aus während ein paar schöner Tage, aber plötzlich warf es mich unwiderstehlich nieder; einige Zeit glaubte ich, es sei aus mit mir. Nachdem ich nun drei Wochen ununterbrochen das Bett gehüthet, kann ich seit etwa 8 Tagen wieder auf sein, worin ich es jetzt fast bis auf einen ganzen Tag gebracht habe. Mein Apetit hat sich vortrefflich wieder eingefunden, so daß ich von Tag zu Tage meine Kräfte wachsen fühle und wieder etwas Fleisch sammle. Es war auch gar zu erbärmlich. Freilich auch jetzt schlottert mir noch die Hose an den Gebeinen; Popo und Bauch sind wie weggeblasen; nun! ich gräme mich nicht darum; nur kostet es doch etwas viel Geld, besonders, wenn ich das mitrechne, was in der Zeit hätte verdient werden können. Aber nur Muth! wie unser struppiger Rögge sagt.

Im Verein –

Mitwoch d. 21t. Nov.

Hier unterbrach mich der Docter und erlaubte mir zu meiner größten Freude zum ersten Mal ein wenig auszugehen. Es macht sich. Bei meiner Rückkehr überraschte mich dein lieber Brief. Die Genesungsgratulation nehme ich mit Dank an, obgleich sie sich wohl auf den ersten Theil meiner Krankheit, das Vorspiel zum Schleimfieber bezieht. Gleich nach Empfang deines Briefes bekam ich Besuch; daher erst heut die Beendigung der wenigen Zeilen; ausführliche Antwort, besonders auf deinen letzten Brief, verspare ich mir auf spätere gesunde Zeit. Der Brief an deinen Vetter ist besorgt; der Todesfall seiner Schwester hat mir deinet= wie seinetwegen recht leid gethan.

Im Verein war ich seit deinem Abschiedsabend ein einzig Mal und nur auf ganz kurze Zeit; es bekam mir aber sehr schlecht, denn am andern Tage fing ich an krumm zu liegen. Vom Hörensagen weiß ich Dies:[20] Es regt sich wieder ein frischeres Leben. Für jeden Samstag ist das vordere Lokal mit hinzugezogen; p. Abend 1 fl. Miethe. Mit dem Wirth ist man in bestem Einvernehmen; seit man ihm einige schmeichelhafte Redensarten an den Hals wirft, ist er vor Gefälligkeit ganz kurz u. klein. – Dein Vetter glänzt durchs Cello und macht sich sehr beliebt. – Bei der letzten Generalversammlung fielen zwei durch; Watter und Meißel. Es wurde ein Vorschlag angenommen, wonach bis auf Weiteres Niemand mehr vorgeschlagen wer den darf: Eine Finte, um die Mißliebigen fern zu halten! Die Beliebten Leute werden doch aufgenommen z.B.p. Acclamation. – Björksteen hatte zwei hübsche Bronzelampen geschenkt. Eines Abends wirft der Deibel eine davon in die Ecke, daß sie in Stücken fliegt. Man hält ihn für besoffen; es zeigt sich aber, daß er in demselben Augenblicke wahnsinnig geworden; am andern Tage hält er unter der Feldherrnhalle politische Reden an das Volk etc.; man bringt ihn tobsüchtig ins Krankenhaus, von wo man ihn indeß schon nach wenigen Tagen entläßt; er ist jetzt nach Nürnberg abgereist. Traurig! aber beim Deibel nicht überraschend –. Krempelsetzer hat einen Operntext von Obwecker componirt; die Musik soll sehr schön sein; man studirt sie jetzt ein. – Heinrich Lang hat müßen plötzlich Soldat werden, nachdem er eben von Ungarn zurück und ein Bild angefangen; man sagt, sein Vater habe banquerott gemacht. – Heut Abend ist Tanzunterhaltung in der Tonhalle; man wird nichts Größeres aufführen; dein Vetter spielt Violoncello. – Krüger hat eine sehr schöne Wohnung mit Atelier, Elisenstr. No 2 über 2 Stiegen. – Sei doch so gut und adreßire deine Briefe an mich nicht zu Braun u. Schneider, sondern direkt in meine Wohnung: Heustr. No 4 über 2 Stiegen. – In Betreff meiner Reise nach Wien muß ich, besonders seit die Krankheit dazwischen gekommen, noch mit den Achseln zucken, so sehnlich [ich] auch wünschte, dich, lieber Freund, in meiner Nähe zu wißen. – So sei mein herzlicher Gruß dir vorläufig noch in die Ferne geschickt mit der Versicherung daß ich ewig bin dein getr.

Wilh. B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 20-21.
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