356. An Johanna Keßler

[169] 356. An Johanna Keßler


Wiedensahl 28. Juli 76.


Liebste Tante!

Ihren Brief bekam ich in Borkum, wohin ich den Neffen Hermann begleitet hatte. Ich ging mit einigem Widerstreben dahin; und der Weg durch Oldenburg und Ostfriesland bei Hitze und unglaublichem Sand und Staub war auch unerfreulich genug. Aber schon die Seefahrt von Emden aus machte mir das größte Vergnügen. Drei Hüte flogen fort auf ewig. Ein stattliches Kalb, welches ein Schlachter mit überführte, richtete vermittelst seiner Wind- und Wetterseite ergötzliches Unheil an. Ein paar junge Damen wurden seekrank; die eine in meiner Nähe so geschickt, daß ich mit dem Winde eine Art von Pastetenfüllung in's linke Ohr bekam, worauf ich mich bei Seite schlich und die Geschichte mühsam wieder herausbohrte. Die Thäterin war allerdings ein ganz niedliches blaßes Kind; was freilich in dieser Beziehung für gewöhnlich ein kümmerlicher Trost ist; aber das Rauschen der Wellen und die frische Seeluft regen die Seele zu einer gesunden, duldsamen Heiterkeit an. – Die kleine Insel gefiel mir beßer, als ich erwartet hatte. Es sind hübsche grüne Wiesen da, mit Kühen und Schafen. Dann kommen die Dünen, und drüber flattern viel tausend Möven mit Quäken und Gackern. Wer da seinen Schirm nicht aufspannt, der wird mit Kalk und Mörtel beworfen. – Rund um alles herum, da saust und braust, bei ewig frischer, kühler Luft, das Meer. – Die Verhältniße sind dort in mancher Hinsicht noch primitiv, mehr als in Norderney und Helgoland. Es sind aber recht saubere Privatwohnungen da und drei Hotels. – Altes Porzellan nebst dito Schränken sind bereits seit einigen Jahren von kunstliebenden Damen in Sicherheit gebracht. – Kurgäste gab's nur 3 – 400. – Mein Incognito konnt ich leider nicht bewahren. Es wurde von Geschaftelhubern eine Abendunterhaltung veranstaltet, wozu[169] ich ein Programm zeichnen mußte; und so war ich denn schließlich fast mit Jedermann bekannt. – Als ich Ihren Brief erhielt, kam mir der lebhafte Wunsch, Sie möchten da sein.

– Für Reisegedanken bin ich nun zunächst etwas abgestumpft. Die Münchener Ausstellung liegt mir allerdings vielfach im Sinn. In diesem Augenblick habe ich aber so ein Gefühl, als ob ich nicht hinkäme. Sollt ich dennoch reisen, so hol ich Sie ab. Wo nicht, so hoff ich doch sicher im Spätherbst mal wieder mit Ihnen in aller Behaglichkeit am Kamin zu sitzen und zu plaudern. Gelt? Ja!

Herzliche Grüße von Ihrem getr. Onkel

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 169-170.
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