506. An Marie Hesse

[216] 506. An Marie Hesse


Wiedensahl 21. Jan. 1881.


Liebe Frau Heße!

Seit Anfang December bin ich wieder hier. In den letzten Münchener Wochen wurde viel gewagnert, und habe ich mir diese sonderbaren Menschen nun auch recht genau besehn, sowohl mit den Augen, wie mit den Ohren. Auf der Rückreise blieb ich ein paar Tage in Göttingen, Hermanns wegen; er fragte nach Ihnen und trug mir Grüße auf, die ich ordentlicherweise schon eher hätte bestellen sollen. Wie wohl gefiel mir doch nach dem Stadtwust meine kleine Wiedensahler Einsamkeit! Nur zu Sylvester hab ich sie mal wieder verlaßen, um Bruder Hermann in Celle zu der üblichen Bowle in Wolfenbüttel abzuholen, die denn bei gemäßigter Fröhlichkeit, wie sie merklichen Graubärten geziemt, in aller Stille verschlürft wurde. – Wir haben zur Zeit viel Schnee, der vom Ostwinde bis hoch herauf an die Wände unserer Hütte geweht ist. Es gewährt mir eine Art von animalischem, hamsterlichem Vergnügen so heimlich drin in dieser weißen, kühlen Wolle versteckt zu sitzen; und so bald denk ich auch nicht wieder nach Süden zu sausen.

Leben Sie recht wohl, liebe Frau Heße! Möchten Sie sich in Ihrer neuen Behausung doch recht bald eingewöhnen und behaglich fühlen. Ich muß oft an Sie denken. – An Herrn Hesse und die Kinder meine herzlichsten Grüße!

Stets Ihr ergebenster

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 216.
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