693. An Otto Nöldeke

[285] 693. An Otto Nöldeke


Wiedensahl 13 Mai 87.


Lieber Otto!

Deinen Brief erhielt ich heut Vormittag. – Hermann schrieb gestern. Er will Übermorgen (Sonntag) Nachmittag von Bergen abreisen, so daß er etwa Nachts um Eins in Bückeburg ist. Von da wird er dann wohl bald nach hier kommen, um die nöthigen Packarbeiten vorzunehmen. Seine Einführung ist Sonntag vor Pfingsten. Hat er dazu, was wir noch nicht wißen, keine Predigt zu machen, so kann er ja bis Freitag alles in Gemüthsruhe besorgen. – Für uns Wiedensahler war letzthin das große Ereigniß der Fang eines Räuberhauptmanns. Sandkuhlen Minchen ihr Sohn, der aus dem Gefängniß ausgebrochen und auf deßen Kopf 50 Mk. ausgesetzt waren, machte die Gegend unsicher. In Klenken Scheune wurde sein mit Wurst und dem dazu nöthigen Senf ausgestatteter Schlupfwinkel entdeckt. Nachdem die seinetwegen organisirte Nachtwache mehrfach vergebens auf ihn gelauert, hatte er sich doch mal wieder eingestellt. Man macht Lärm; er entschlüpft; flüchtet sich in Rock's Schweinestall, dann in Pastors Garten, wo er hinter einem Stickbeerenbusche erwischt wird. Nun bringt ihn die Wachtmannschaft zu Wagen nach Loccum, wo man ihn aber ablehnt. Morgens ganz früh kommen sie mit ihm schon wieder durch Wiedensahl und liefern ihn nun an's Gericht in Petershagen. Hoffentlich haben sie nach diesen Mühsalen und Heldenthaten auch den ausgesetzten Preis erhalten. – Zu deiner Schwarzwaldfahrt wünsche ich dir recht gutes Wetter. – Bei dem Höhlenfeste wirst du dich, denk ich, mit Vorsichtigkeit betheiligen. Im Innern wird's wohl viel Rauch und Schmeer abgeben. – Wir eßen allerdings seit beinahe acht Tagen auf der Diele, verfügen uns aber darnach Abends doch in die warme Stube. Mit dem langersehnten Regen ist nämlich bei Nordwestwinde eine merkliche Kühle eingetreten. Heute hatten wir sogar zwei Hagelschauer. Im Übrigen ist die Welt in aller Geschwindigkeit voll von Gras und Laub und Blüthen geworden. Da mit Heute der letzte der 3 gestrengen Herrn, der Servatius, abschiebt, da auch vorhin der Wind nach Westen abgeschwenkt ist, so werden uns die gefürchteten Nachtfröste vielleicht und hoffentlich dies Jahr keinen Besuch machen.

Mutter, Else, Dortchen laßen dich herzlich grüßen, ebenso

dein getr. Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 285-286.
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