715. An Friedrich August von Kaulbach

[294] 715. An Friedrich August von Kaulbach


Wiedensahl 14. Januar 88.


Dein heiterer Brief, lieber Fritze, der mich allerdings erst zu Anfang dieses Jahres in Wolfenbüttel erwischte, wo ich, wie üblich, an einer ehrbaren Sylvesterbowle mitschöpfte, hat mich in jeder Beziehung sehr angenehm überrascht. Er sproßt und schlägt nach allen Seiten aus, während man mit einem kurzabgepflückten Zweiglein schon auch zufrieden sein sollte, mit einem Halbdutzend Zeilen, einer Art von Grüßgott, welches uns freundlich andeutet, daß ferne Leute, welche wir gründlich lieb gewonnen, mal in der Erinnerung und nicht ohne Theilnahme an uns vorüber gingen. Zu meiner Freude vernehme ich, daß du wohlauf und oben bist, und vielleicht, um's mir anzusehn, komme ich doch noch vor Ablauf der nächsten Zehntausend Jahre mal angeweht. Wie der Wind bläst, so treibt die Spreu; und tausend Jahre mit dem unendlichen Halme gemeßen sind bloß ein Stückchen Häckerling. – Wir thronten hier neulich, von Schnee umwickelt, in Hermelin. Zur theilweisen Unterhaltung von uns hohen Herrschaften diente ein kleines Gartentheater, ausgestattet mit Fleisch, Knochen, Körnern und Brod. Raben, Elstern, Finken und Spatzenkomiker führten so was wie Rührstücke auf. Vier von unsern Staaren, die sonderbar muthig dem Winter trotzen, während all ihre Genoßen schon längst nach Süden entflogen, machten flügelschlagend Musik dazu. – So hockt der Kerl in seinem Winkel und sieht leidlich zufrieden aus. »Er thut's aus Grundsatz«, sagt Einer. »Er thut's aus Noth«, ein Zweiter. »Er thut's aus Neigung«, ein Dritter. Der Erste belacht, der Zweite bedauert, der Dritte verachtet ihn. Lachen, Bedauern, Verachten sind, nach der Wurzel zu, intime Verwandte, gemeinsam erzeugt von dem wohlthuenden Gefühl der Überlegenheit. Man pflückt sich auf die Art hübsche Blumen, ohne daß man sich zu bücken braucht. Du und ich, lieber Fritz, machen's wohl auch mal aso. Und wer sich für beßer hält, der trete vor, daß wir ihm den Hut über die Nase treiben.

Leb wohl! Grüße mir deine Frau und Gedons und Günthern, dem ich zuletzt nach Bozen schrieb, und da ein Jahr unseres Wiedersehens 8881 doch noch einige Wochen hin ist, so beeile ich mich, dir vorläufig nur schriftlich zu bemerken, daß ich stets bin dein dich liebender

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 294.
Lizenz: