769. An Franz von Lenbach

[312] 769. An Franz von Lenbach


Wiedensahl 23. Febr. 1889.


Liebster Lenbach!

Wo ich liebe, glaub ich zuweilen an peinlicher Pünktlichkeit zu leiden. Drum antwort ich dir gleich. Dahingegen gehört die Tugendhaftigkeit bis dato noch nicht zu meinen eingebildeten Krankheiten. Drum wünsch ich dir, ohne jegliche Entrüstung, zu deiner heutigen Hausmaskerade, einen recht segensreichen Erfolg. Als ich mal in München vor circa tausend Jahren, mit einem andern Festgenoßen, nach verübtem Mummenschanz[312] noch närrisch verkleidet, des Morgens um Sechs durch's Karlsthor nach Hause schwebte, kam uns eine alte Frau entgegen, die zur Meße wollte; sie spuckte aus und sprach: »Ees Teifeln!!« – Nein! so bin ich noch nicht.

Aber am Harz bin ich gewesen, neulich, als so viel Schnee in Wirbeln herunterfegte und auch das Dörflein verhüllte, wo ich mich aufhielt. Es war grausam gemüthlich. Man fühlte sich so weich und sauber verpackt, wie eine Pflaume im Auflauf. Der Schlummer sanft und erklecklich. Zureisende Skrupel vermuthlich irgendwo festgeschneit. Nur mal, noch ganz in dunkler Früh, wurd ich aufgeschreckt und schmerzhaft horchend wach erhalten durch die Wehklagen eines der vielen Schweine, welche der Genußsucht alljährlich zum Opfer fallen. Jetzt wird's herausgezerrt aus dem lieben, duftenden Stalle; jetzt liegt's geknebelt; jetzt der Stich; Nothwehr geboten und heftig ausgeübt; Blutverlust fast beruhigend, scheint's; dann aber erst recht, dicht vor der Todesgewißheit, der höchste, gräßlichste Unmuth; dann röchelnde Entsagung; zuletzt Stille mit Nachdruck. Die Metamorphose in Wurst kann beginnen. Wahrlich! Gewiße Dinge sieht man am deutlichsten mit den Ohren. (grüß mir den Levi!) Und dann, nach der höchsten musikalischen Offenbarung, geht man doch wieder leichtfertig seiner animalischen Nahrung nach, als ob man nichts gehört hätte, und als ob's keine Nachwelt gäbe, die, sagen wir mal im Jahre 10889, über ihre kannibalische Vorwelt recht abfällige Ansichten äußert; vermuthlich. –

Am kalten Tage kamen viel hungrige Raben in's Dorf geflogen und schrieen: Arrack! Die fetten Feldmäuslein gehen eben nicht aus bei dem Wetter, sondern bleiben im Loch. Wir servirten Brod, Fleisch und Knochen. Doch diese schönen Sachen, weil die überschlauen Vögel zu schüchtern waren, um gleich näher zu treten, fraß sämmtlich der Nachbarshund. Was ich daher unbillig finde; denn der Hund hat eine feste Anstellung, aber der Rabe nur ein unsicheres Einkommen.

Leb wohl! Heute Abend komme natürlich auch ich zu Euch; als verschämter Geist, der sich vor so viel schönen Leuten nicht gerne sehn läßt. Ich werde bei der Gelegenheit der verehrten Hausgöttin mit unsichtbarer Ergebenheit die Hand küßen, dich selber unmerklich umarmen und unhörbar dir sagen, wie so oft schon vernehmlich, daß ich stets bin und bleibe dein alter getreuer

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 312-313.
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