815. An Hermann Nöldeke

[331] 815. An Hermann Nöldeke


Wiedensahl Donnerstag vor Pfingsten 91 [14. Mai 1891]


Sei herzlich bedankt, lieber Hermann, für deinen Brief, den ich gestern Nachmittag vorfand, als ich von Celle zurückkam. Ich war seit Sonnabend nachmittags dort gewesen. Fand alle wohl. Um's Schloß herum war's schön von alten Frühlingsbäumen, die sich im Waßer spiegelten. Dazu Nachtigallen in jedem Gebüsch. Sonst viel Sandstaub.

Vorigen Freitag spatziert ich auch mal nach Spißingshohl. Frankens gings gut, auch der kleinen Martha, nur hatte sie sich einen Vorderzahn ausgefallen, und nun wächst der neue ganz oben drüber aus dem Kiefer heraus. – Etwas Gelungenes sah ich unterwegs. Auf der einen Seite des Fahrweges[331] ist ein Tannenbestand, auf der andern Seite, am Fürstenwege stehen Akazien. Unter mehreren derselben lagen Hunderte von ausgehülsten Tannzapfen. Ich dachte natürlich an Eichhörnchen, konnte mir aber nicht erklären, warum sie ihre Mahlzeit nicht gleich in den Tannen gehalten. Von Franke hörte ich dann, es thäten die Spechte. Nämlich, da sie die Tannzapfen nicht halten können, wie die Eichhörnchen, und die Tannenzweige nach abwärts hängen, so fliegen sie mit ihrer Beute in die Akazien, welche enge Gabeln bilden, und klemmen sie drin ein. Viele, vermuthlich die letzten, hatten sie oben noch sitzen laßen; ja, unten an den Stämmen, wo sich nur eine gesprungene Borke sperrte, hatten sie die Gelegenheit benutzt, um die Zapfen einzuzwängen und festzulegen.

Otto ist ja günstig angetreten. – Adolf wirft ja wohl auch bald sein drückendes Päckchen ab.

Nach Hattorf denk ich zu kommen, wenn ich zugleich mal nach Ebergötzen kann. Hier haben sie bis zum Juni Mühlenbauer. –

Meine gelben Rosen, bis auf eine, sind hin, und selbst diese ist ganz zweifelhaft. Zu kaufen sind auch keine. – Die im Herbst gepflanzten Stachelbeeren haben geblüht und bilden Früchte, bloß eine, obgleich sie inwendig lebt, will noch nicht heraus. – Die amerik. Brombeeren sind noch sehr zurück, ein paar vielleicht erfroren. – Leb wohl, lieber Hermann! Herzl. Gruß an Sophiechen. Meine Empfehlung an Frl. Schl.

Dein getr. Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 331-332.
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