843. An Nanda Keßler

[341] 843. An Nanda Keßler


d. 29. Nov. 91

Adreße einfach: Wiedensahl

Provinz Hannover.


Nein! liebste Nanda! Keine Drohung sollt's sein, was ich schrieb, sondern ein Ausdruck der Besorgniß. – Wie möchte, wie dürft ich wohl eine hübsche, heitere, herzige Frau, die es so gut gemeint, die mir mehr Wohlwollen bewiesen, als ich jemals verdiente, wie könnt ich die wohl hinweg wünschen aus meiner besten Erinnerung, und käme ich auch zehnmal aus einer nun zehnjährigen, festhaftenden Welt, wo »sozialdemokratische« Grundsätze, gleichviel, ob von oben oder unten, noch kaltes Entsetzen erregen, wo man nur aus denjenigen Träumen, worin man sich nicht so gut unterhalten, wie möglich, gewißermaßen beruhigt zu erwachen pflegt und wo's, so zu sagen, nur einen ehrlichen, berechtigten Traum giebt, nämlich den: zur rechten Zeit heirathen, Kinder erziehen, treu sein und arbeiten, was das Zeug halten will. Nein! du, deine Mutter, die Letty, ihr drei, ihr seid mir die Liebsten, die ich in der Ferne besitze und die ich behalten will, es müßte sonst paßiren, ich weiß nicht was.

Den Teniers hätt ich auch gern gesehn. Ja, diese Rubensmanier! Diese Musik, in der man alle Stimmen durchhört bis auf den Grundbaß. Das lernte damals der Junge mit 14 Jahren beim Malermeister. Jetzt, so scheint's, kann's Keiner mehr, mag's nun an den Farben liegen, die mit Glycerin vermischt sind oder sonstigem Schmeer, damit sie flüßig bleiben in ihren Tuben, oder am Ungeschick von Haus aus. Auch ich probirs grad jetzt, frei flüchtig copierend nach Brouwer. Wird aber nichts Rechts. Schickte indeß zwei kleine derartige Schosen an Onkel Hugo, weil er uns gar so gut photographirt hat. Und mit den litterarischen Problemen, die sich letzther verkrochen, wird's auch damit nichts Gescheidts, nun gut! im grünen, bürgerlichen Kachelofen allhier brennt ein gefälliges Feuer.

Abends, nach dem Thee sitzen wir im Stübchen beieinand. Rechts am Tisch, im Sopha, meine gute Schwester; links Fräulein K.; beide häkelnd oder[341] strickend; ich in der Mitte, kerzengrad, auf dem Rohrstuhl, Brill auf der Nas; vor mir den Göthe, den ich lese mit Dir; alles im engbegrenzten Scheine der Lampe. Bin ich da nicht in guter Gesellschaft?

Also 2 Glas Ananasbowle trankst du am Dienstag oder Mitwoch. Ist wenig. Nur fragt sich's, wie groß das Glas war und wie stark die Bowle. Jedenfalls hat's Dich gar löblich zum Schreiben begeistert, und lieb und gut und gescheidt ist's, was ich da lese, und – per Distanz – in aller Ehrfurcht – erlaub ich mir hie mit eine reizende Stirne zu küßen (das wär für die Nelly!) und einen rosigten Mund (das wär für den Hugo!) – und somit leb wohl, und bleib noch lange, lange ein so recht drolliges, molliges, aber nie mehr schmolliges Nanderl, von dem jeder entzückt ist,

so unter andern auch

dein alter Onkel

Wilhelm.


P.S. Den Apfel, den huldvoll geschenkten, hat er nun auch doch geschält. Ein Scheibchen kriegte die Schwester, ein Scheibchen Frl. K., den Rest aß er selber. Befinden darnach vorzüglich bis jetzt!

Schreibst Du Loccum mit auf die Adreße, so kommt's leicht, daß ich den Brief erst einen Tag später erhalte.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 341-342.
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