958. An Nanda Keßler

[28] 958. An Nanda Keßler


Wiedensahl 21 April 94.


Meine liebe Nanda!

Ich kann wohl sagen, recht gefreut haben mich deine zwo Brieflein, die du meinem ergebensten Geburtstagsfeste gewidmet hast, besonders aber die zween hübschen Sächelchen, von denen ich vertrauensvoll annehme, daß sie deine eigenen kunstfertigen Hände gar so anmuthig verziert haben. Meinen Dank für dieselben! Zugleich bitt ich mich dem Onkel Harry wegen seiner freundlichen Karte auf das beste zu empfehlen.

Die Großmama ist also mit dem Hugo in B. Baden, und es bekommt ihm gut. Ein munterer, aufgeweckter Bursch, wie er, wird bei angemeßener Behandlung sein lästiges Übel gewiß bald überwinden.

Inzwischen grünt und blüht dieser heurige Frühling ganz wundervoll. Die Staare haben alle Einrichtungen für den demnächstigen Familienzuwachs bereits getroffen; ein jedes Hausväterchen, voll freudig stoltzer Gefühle, sitzt auf seinem Pflock und flügelt und flötet und klappert, weil die Geschichte bis soweit ganz nach Wunsch und geläufig vonstatten ging. Auch allhier die Spatzen sind, grad wie bei euch, ungemein emsig auf ihre Vermehrung bedacht. Ich kann diesem durchtriebenen und betriebsamen Vogel, der durch seinen langen intimen Verkehr mit der Menschheit seine höhere Bildung erhielt, im Grunde nicht bös sein und muß mitunter, so ärgerlich es ist, sogar lachen, wenn sein Nest dermaßen sicher und versteckt sitzt, daß kein Menschenwitz dran kann. Ich hoffe, du zerstörst seine Lotterwohnung nicht, sobald Eier oder gar Junge drin liegen.

Ich zeichne, schreibe, denke so für mich hin, als ob die gebildete Welt der Lebendigen für mich nicht vorhanden wär. Sodann jät ich und pflanz ich auch mal im Garten, bis mir der alte Buckel ordentlich a bißel steif wird, und Zigaretteln kann ich auch noch fabriziren.

Mög es dir fernerhin gut gehn, liebe Nanda! Sei tausendmal gegrüßt, und bestell mündlich meinen Gruß an Letty, Nelly, die Onkels und schriftlich an die Mama und den Hugo vom

Onkel Wilhelm.


Die drei bis vier Pfund Spargel haben mir gut geschmeckt in Gedanken. Diese nicht verschickbare Sorte ist ausgezeichnet für den Selbstzüchter und Selbsteßer. Ich begnüge mich in der Regel mit der gewöhnlichen bei Hannover oder Braunschweig gezogenen Sorte, die sich verschicken läßt.

Oh du Spaßvogel!!

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 28.
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