Zum Geburtstag im Juni

[351] Den Jahreszeiten allen

Selbviert sei Preis und Ehr!

Nur sag ich: Mir gefallen

Sie minder oder mehr.


Der Frühling wird ja immer

Gerühmt, wie sich's gebührt,

Weil er mit grünem Schimmer

Die graue Welt verziert.


Doch hat in unsrer Zone

Er durch den Reif der Nacht

Schon manche grüne Bohne

Und Gurke umgebracht.


Stets wird auch Ruhm erwerben

Der Herbst, vorausgesetzt,

Daß er mit vollen Körben

Uns Aug und Mund ergötzt.


Indes durch leises Tupfen

Gemahnt er uns bereits:

Bald, Kinder, kommt der Schnupfen

Und 's Gripperl seinerseits.


Der Winter kommt. Es blasen

Die Winde scharf und kühl;

Rot werden alle Nasen,

Und Kohlen braucht man viel.


Nein, mir gefällt am besten

Das, was der Sommer bringt,

Wenn auf belaubten Ästen

Die Schar der Vöglein singt.


Wenn Rosen, zahm und wilde,

In vollster Blüte stehn,

Wenn über Lustgefilde

Zephire kosend wehn.[352]

Und wollt' mich einer fragen,

Wann's mir im Sommer dann

Besonders tät behagen,

Den Juni gäb ich an.


Und wieder dann darunter

Den selben Tag gerad,

Wo einst ein Kindlein munter

Zuerst zutage trat.


Drum flattert dies Gedichtchen

Jetzt über Berg und Tal

Und grüßt das liebe Nichtchen

Vom Onkel tausendmal.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 351-353.
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