Der Bauer und das Kalb

Der Bauer und das Kalb

[245] Ein Bauer, der kein Geld mehr hat,

Der brächte gern sein Kalb zur Stadt.


Der Bauer und das Kalb

Doch schau, wie dieses Tier sich sträubt

Und widerspenstig stehenbleibt!


Der Bauer und das Kalb

[245] Der liebenswürdige Bauersmann

Bietet umsonst ihm Kräuter an.


Der Bauer und das Kalb

Vergebens druckt er es und schiebt,

Das Kalb bleibt stehn, wie's ihm beliebt.
[246]

Der Bauer und das Kalb

Und ganz vergeblich ebenfalls

Sucht er es fortzuziehn am Hals.


Der Bauer und das Kalb

Jetzt schau, wie er's mit Disteln sticht!

Das Kalb schreit: »Bäh!« Doch geht es nicht.
[247]

Der Bauer und das Kalb

Er nimmt das Kalb bei Schweif und Ohr,

Doch bleibt es störrisch wie zuvor.


Der Bauer und das Kalb

Mit Drohen und Belehren

Sucht er es zu bekehren.


Der Bauer und das Kalb

Doch schon im nächsten Augenblick

Möcht' es durchaus zum Stall zurück.


Der Bauer und das Kalb

[248] Da denkt er, es mit Schlägen

Zum Gehen zu bewegen.


Der Bauer und das Kalb

Allein trotz allem Schlagen

Muß er das Kalb noch tragen.


Der Bauer und das Kalb

[249] Weil das ihm aber lästig ist,

Besinnt er sich auf eine List.


Der Bauer und das Kalb

Er hängt die Glocke um, schreit: »Muh!«

Da glaubt das Kalb, er sei die Kuh.
[250]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 1, Hamburg 1959, S. 245-251.
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