Zweites Bild.

[27] Schenke in Wittenberg. Faust und Studenten.


CHOR noch hinter dem Vorhang

So lang man Jugend hat,

lebt man als Nimmersatt.

Bah!

Juvenes dum sumus!

Gaudeamus igitur. –

Prosit, prosit, prosit!

Studenten an verschiedenen Tischen in geteilten Gruppen. Die Disputierenden enger um Faust sitzend; die Unbeteiligten mehr abseits.


ERSTER STUDENT. Daß ihr mir die Platonische Lehre recht begreifet.[27]

EIN STUDENT , andere Gruppe, angeheitert.

So lang du trinken kannst,

füll dir den schlappen Wanst.

CHOR.

Still! Denn es wird hier diskutiert.

ERSTER STUDENT.

Daß ihr mir Platos Lehre ja recht begreifet:

den Teller hier, den runden, ganzen Teller,

mach ich zu Scherben.

Er zerbricht einen Teller.


CHOR.

Klatsch!

ERSTER STUDENT.

Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehn.

CHOR parodierend.

Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehn!

ZWEITER spöttisch klagend.

Doch der ist hin, dein Witz kann ihn nicht kitten.

ERSTER zurückgebend.

Dank Gott, wenn deiner noch zusammenhält.

THEOLOGE.

Dagegen eifern die Kirchenväter;

was Gott geschaffen, gilt als unzerstörbar,

doch jedes Menschen Bau zerfällt in Nichts.

EINIGE parodierend.

Zerfällt in Nichts! – Nichts!

VIERTER. Beim nächsten Gang prügl ich dich windelweich, schonungslos, um festzustellen, ob Gott dich geschaffen.

CHOR.

Hahaha! Um festzustellen, ob Gott ihn erschaffen.

VIERTER.

Und ob du unzerstörbar bist.

CHOR.

So lang man Jugend hat,

lebt man als Nimmersatt.

Gaudeamus igitur

Juvenes dum sumus.[28]

JURIST belehrend.

Nach dem Gesetz ist Eigentum geschützt

vor Raub und vor Zerstörung.


Zum ersten gewandt.


Mit dem zerbrochenen Teller machst du dich strafbar.

ERSTER. War es doch eine reine platonische Handlung.

NATURGELEHRTER. Alles zerfällt, doch bildet es sich neu, verwandelt sich unendlich,

geht über in verschiedne Formen und Gattungen.

EIN ANDERER. Als wie dein lustiger abendlicher Affe zum melancholschen Kater des Morgens wird.

ERSTER STUDENT. Doch die platonische Lehre –

THEOLOGE schneidet ihm das Wort ab. Was Gott geschaffen, das gilt.

JURIST ebenso. Nach dem Gesetz bleibt Eigentum geschützt.

NATURGELEHRTER ebenso. Alles zerfällt, verwandelt sich ewig.

CHOR.

Prosit, Prosit! So werden wir nicht fertig

bis zum Morgen,

mit Kater nicht, noch ohne Kater.

Gaudeamus

Juvenes sumus.

ERSTER. Der Meister spreche.

MEHRERE. Ja, der Meister spreche.

FAUST.

Nichts ist bewiesen und nichts ist beweisbar.

Bei jeder Lehre hab ich neu geirrt.

Gewiß ist nur, daß wir kommen um zu gehen:

Was zwischen liegt, ist das, was uns betrifft.[29]

Drum weis' ich auf des großen Protestanten lebendigen Spruch –

ERSTER. Den Spruch eines Abtrünnigen –

Hier gruppieren sich die beiden Studenten-Chöre in Katholiken und Protestanten.


ZWEITER. Eines Helden und Heiligen –

DRITTER. Eines Prahlers –

VIERTER. Eines Ketzers.

EIN STUDENT. Ich seh' ihn ganz als einen neuen Heiland, einen aufrechten deutschen Mann –

ERSTER. Bah! der rechte Heiland war doch gar kein Deutscher! –

CHOR Protestanten. Ihr Päpstlichen bleibt doch die ärgsten Ketzer –

CHOR Katholiken. Säß't ihr in Spanien, wär't ihr längst verbrannt –

CHOR Protestanten. Und ihr seid ausgebrannt, ein Häufchen Asche –

KATHOLIKEN. Zum Teufel ihr –

PROTESTANTEN.

Und ihr zur tiefsten Hölle –, zum Teufel selber – –

ist ein Held und ein Heiliger,

ist ein aufrechter deutscher Mann,

der neugeborne Heiland.

FAUST belustigt, gütig beschwichtigend. Ihr Freunde, seid mir doch über Teufel und Hölle einer Meinung. Der Spruch, auf den ich wies, wird euch versöhnen. Er sagt, daß Wein, daß Frauen, Kunst und Liebe zu den vernünftigen tröstlichen Dingen des Lebens zu rechnen sind, und schließet mir mit ein die zarten, heiteren, jubelnden Weisen der heiligen Tonkunst.[30]

PROTESTANTEN. Hoch die Frauen!

KATHOLIKEN. Heil dem Gesange.

PROTESTANTEN. Doktor Martin, er lebe! Vivat!

KATHOLIKEN.

Samt Teufel und Hölle.


Te, Deum, laudamus,

qui fecisti vinum,

Te, Dominum, glorificamus,

qui feminam creavisti.

Dum puellas adoramus,

te eiscum exultamus.

Circulate pocula

in saeculorum saecula.

PROTESTANTEN springen glaubensbesessen auf.

»Ein' feste Burg ist unser Gott,

ein' starke Wehr und Waffen,

er hilft uns frei aus aller Not,

die uns jetzt hat betroffen.«

Tumult. Man steigt auf Bänke und Tische, entkorkt Flaschen, umarmt einander. – Die Protestanten gehen, im Gänsemarsch, entrüstet ab, mit hochgehobener Hand. – Die Studenten leeren sämtlich die vollen Gläser und setzen sie, mit einem Schlage, auf den Tisch nieder.


EIN STUDENT. Ihr, Doktor, weit gereist, erfahren, müsset den Frauen viel begegnet sein.

Zögernd.


Möchtet Ihr nicht ein Weniges verraten?

Faust wird nachdenklich.


EINIGE. Wie die Erinn'rung ihn sichtbar ergreift.

ANDERE. Er sieht nicht glücklich aus.

FAUST der die letzten Worte aufgegriffen, still.

Nur der blickt heiter, der nach vorwärts schaut.


Er versinkt in Erinnerung – zur Mitteilung sich entschließend.
[31]

Von allen Frauen, die mich geliebt, die Schönste,

war eine Herzogin aus welschem Lande –.

EINIGE. Hört, eine Fürstin –

ANDERE. Gar eine Fränzin.

FAUST.

An ihrem Hochzeitstag gab sie sich mir zu eigen.

EINER. Ihr habt sie wohl verzaubert und behext?

FAUST.

Wenn Wohlgestalt und Geist und Mannheit zaubern,

so hab ich sie behext in aller Form.

EINER. Ist's lange seither?

FAUST. Wohl kaum ein Jahr ist's her, doch ferne liegt's hinter mir. Die Spur hab ich verloren.

Ob sie noch meiner denkt –?

MEPHISTOPHELES als bestaubter Kurier, zeigt sich am Eingang. Unruhe, Bewegung unter den Studenten. Laßt euch nicht stören. Zu melden hab ich: Die Herzogin von Parma ward begraben; dies schickt sie Euch als ein letztes Gedenken!

Er wirft Fausten ein totes neugeborenes Kind vor die Füße.


ALLE.

Wer ist der Mann? Entsetzlich!

Verdächtiger Geselle! –

Sicher ein gedungner Helfer,

ein Mörder, ein Verbrecher,

ein verdächtiger Schurke! Bekennet!

MEPHISTOPHELES.

Gemach, ihr Herren, den Boten trifft keine Schuld. Ich selber leide,

daß ich mit nichts Gefälligerem kann aufwarten;

denn so verhält sich die Begebenheit,

sie spielt in Parma.[32]

Dort war ein dummer Herzog, der freit' eine geile Frau,

der Bräutigam ihr schwer wog,

denn er war so fromm und so flau.

Da kam daher ein Doktor, trat auf mit großer Pracht,

Der nahm sie ohne weit'res an ihrer Hochzeitsnacht.

CHOR.

Gut gemacht!

MEPHISTOPHELES.

Auf Höllenflügelrossen entführt er sie durch die Luft,

sie schwoll mit einem Sprossen,

und er sich erwies ein Schuft.

Die Frau mit ihrem Kinde, er ließ sie, wo sie stand,

daß ich ihn hier wiederfinde, erscheint mir ungalant.

CHOR betreten.

Sollt' er es sein?!

MEPHISTOPHELES.

Auf ihrem Sterbebette hat sie ihm den Balg vermacht,

es fehlt nicht viel, ich hätte lebendig ihn hergebracht.

Doch unterwegs krepiert er, ich hielt ein Aas im Arm.

Ich hoffe, diese Geschichte klingt gänzlich ohne Harm.

Ich berichte diese Geschichte noch eben brühewarm.

CHOR.

Hört, o hört, o schändlich, o grausig.

Was meint der Mann? Erklärt Euch!

Genug, genug! Wehe dem Bösen.

Sich zusammendrängend.
[33]

MEPHISTOPHELES.

Nehmt's nicht zu tragisch. Seht genauer hin.

Ein Püppchen ist's aus Stroh.


Er holt von der Stelle, wo das Kind lag, ein Strohbündel hervor.


Schaut! und nicht einmal recht täuschend nachgeahmt.

Er zeigt das Strohbündel im Kreise umher.


CHOR.

Ein Strohwisch!

MEPHISTOPHELES.

Und zur Ergötzung wollen wir es verbrennen,

auf daß der böse Schreck sei ausgetilgt.


Er zündet das Bündel an und schürt es durch Beschwörungsgesten.


Also verbrenn' ich das, was gewesen ist,

zu Asche wandl' ich, was nicht mehr lebt,

ein Schöneres soll dir

zum Trost erstehn.

FAUST.

Was gaukelst du mir vor?

MEPHISTOPHELES.

Hab' erst Geduld!


Geheimnistuerisch.


Sie schreitet aus entlegenen Zeiten

und schleppet nach sich das Schicksal zweier Völker,

maßlos an Schönheit, unerschöpft an Liebe,

an Jugend unvergänglich, Helena.

Die Flamme steigt höher.


FAUST. ungläubig, doch erregt.

Helena, sie sollt' ich schauen?

MEPHISTOPHELES.

Und sie fassen.

FAUST.

Ein Trugbild.

MEPHISTOPHELES.

Nein, sie selbst.

FAUST.

Er spricht nicht wahr.[34]

MEPHISTOPHELES. wendet sich wieder zum Feuer.

Ducke dich, Flamme.

Rauchsäule steige,

Nimm an Gestalt.

FAUST.

Mich durchschauert

Vollkommenheitsgewalt!

Werd' ich's ertragen?

CHOR.

Ist's Scherz, ist es Betrug?

Sakrileg?

Die Studenten schleichen sich fort.


MEPHISTOPHELES.

Sieh, wie die Laffen sich seitwärts schlagen.

He he he he he he!

Der Akt vollzieht sich.

Die Luft ist rein.

Ein Dritter müßte stören,

Ich laß euch drum allein,

hoffe noch davon zu hören.

Er geht ab.


FAUST allein.

Traum der Jugend,

Ziel des Weisen!

Reinster Schönheit

Bildvollendung:

Dich zu üben,

Dich zu preisen,

Dich zu lehren

War mir Sendung.

Unerkannte,

Unerreichte,

Unerfüllte,

tritt hervor!


Durch Rauch und Flamme treten die Umrisse der Figur stetig deutlicher hervor.
[35]

Was ich sehnte,

was ich wähnte:

höchsten Wunsches

Rätselformen.

Ein vollkommen schönes, junges Weib, in durchsichtigem Schleier, im übrigen nackt, steht unbeweglich.

Zugleich hat der neue Hintergrund das Bild der Schenkstube völlig verdrängt.


FAUST.

Ich schaue dich ...

Und nun werd ich dich halten!

Nur Faust, berührte je das Ideal!


Faust nähert sich der Gestalt; diese weicht zurück.


Du weichst, entfliehst, ...

kannst du dich vielgestalten?

Helena, endlich zu mir!


Als er sie endlich zu halten wähnt, zerfließt die Erscheinung in Nichts.


Ach, abermals betrogen!

Verschwunden nun für immer!

Der Mensch ist dem Vollkommenen

nicht gewachsen.


Resigniert.


Er strebe denn

nach seinem eigenen Maße

und streue Gutes aus,

wie es ihm gegeben.

Ich weiser Narr,

ich Säumer, ich Verschwender!

Nichts ist getan,

alles zu beginnen;

der Kindheit fühl' ich wieder mich genähert.


Seherisch.


Weithin schaut auf mein junges Gelände,

dort unbebaute Hügel, schwellendes Erdreich,[36]

führen zu neuem Aufstieg.

Wie verheißend lächelt das Leben

im erwachenden sonnelichten Tag!

Als er sich umblickt, gewahrt er, schemenhaft umrissen, drei Gestalten.


FAUST. Naht das Verhängnis? Laut.

Nennt euch mit Namen!

DIE DREI. Studenten aus Krakau.

FAUST. Ihr seid's. Und welcher Art sind heute eure Wünsche? Sprecht!

ERSTER. Das Buch abzufordern.

ZWEITER. Den Schlüssel.

DRITTER. Mir die Briefschaft.

FAUST. Zu spät, sie hab' ich vernichtet.

DIE DREI starr. Faust, deine Frist ist um. Zu dieser Mitternacht bist du vergangen.

FAUST. Was wollt ihr wissen?

Ihr seid entlassen, entfernt euch.

Mit weltmännisch- gebietender Geberde weist er die drei hinaus, die in Dunst aufgehen.


DIE DREI. Fahr' hin, Faust.

FAUST befreit.

Vorbei, endlich vorbei!

Frei liegt der Weg, willkommen

du meines Abends letzter Gang, –

willkommen bist du.


Schickt sich an zu gehen.


Vorhang.
[37]


Quelle:
Ferruccio Busoni: Doktor Faust, Wiesbaden 1953, S. 27-38.
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