[4] 1. Introduktion und Szene
Das Stadttor
Als der Vorhang aufgeht, erblickt man eines der mächtigen Tore der Hauptstadt. Über demselben prangt eine Reihe aufgepfählter Menschenköpfe. Seitwärts vor dem Tore, steht ein ärmliches Haus. Es ist früh am Morgen und alles still. Nach kurzer Pause sprengt Kalaf vor das Tor.
KALAF. Peking! Stadt der Wunder! Verheißungsvolle! Hier soll mein Los sich wenden. Rüste dich, meine Seele. Hoffnung steig und blühe.
Aus dem Taumel der Straße,
Den heimlichen Kammern
Winkt tausendhändig der Zauber.
Ich wittere das Außerordentliche!
Peking, Sonne der Welt!
Barak tritt neugierig aus dem Hause.
BARAK. Wie, ist das nicht mein Prinz Kalaf?
KALAF. Den Mann sollte ich kennen. Barak – –?
BARAK. Mein Prinz – O, o, o! Schluchzend.
KALAF. Du hier?
BARAK. Ihr am Leben?
KALAF. Still, sprich meinen Namen nicht laut. Berichte.
BARAK. O, o, o ...!
KALAF stärker. Berichte.
BARAK. Ja, ja, ja ... Herrlich war die entscheidende Schlacht, doch leider für uns verloren –[4] Euch, Euren Vater den König hielt ich für tot. Ich floh, Treue im Herzen, Flügel an den Beinen – und über Chinas Mauer hinweg – bis zu diesem Häuschen, das ich als stiller Mieter bewohne. Und was beginnet Ihr?
KALAF. Mein Vater lebt –
BARAK. Gott sei gepriesen!
KALAF. Ich suche das Glück, es ihm zurückzubringen.
BARAK. Allah ist groß! Groß ist sein Prophet!
KALAF. Noch heute dringe ich bis zum Kaiser.
BARAK. Bleibt. Der Hof ist eine Trauerstatt. Die Kaiserstochter, Turandot, ein Teufel, den Männern abhold, so schön als weise, und unerbittlich grausam –
KALAF. – – das Märchen hört' ich. Ein jeder Prinz darf um sie frein –
BARAK. Ihr wisset?
KALAF. – – und pflichtet sich drei Rätsel anzuhören – –
BARAK. Ja, ja –
KALAF. – – und wagt den Kopf, falls ihm der nicht festsitzt.
BARAK. Ihr spottet?
KALAF. Gewiß, denn albern ist die Fabel.
BARAK. Fabel? So schaut Euch um. Betrachtet. Die Köpfe, die Köpfe ...! Sie alle warben um Turandot –
KALAF wendet sich ab, angewidert. Gräßliche Schau. Ekelnd. Und das um eines Ungeheuers willen!
BARAK. Ein Ungeheuer so bestrickend, daß schon vermag der Anblick ihres Bildes den Jüngling in den Tod zu locken.
KALAF. – – den Narren!
BARAK ernst. Erst heute traf's den Prinzen von Samarkand. Man vernimmt entfernten Trommelwirbel.
– – Hört, o hört – dies ist das Zeichen, daß das Gericht an ihm vollstreckt wird. Er verbirgt das Haupt.
[5] 2. Lamento
Jetzt ertönen Klagerufe und alsbald erscheint, in einer Sänfte getragen und von rasenden
Klageweibern gefolgt, die Königinmutter von Samarkand, eine Mohrin, mit bunten Straußfedern phantastisch ausgeputzt. Sie machen vor dem Tore halt.
DIE KÖNIGINMUTTER. Verweilt. O, o! Man mordet meinen Sohn.
KLAGEWEIBER mit Gebärden. O, o!
KÖNIGINMUTTER. Fluch, Fluch, diesen Mauern, diesem Lande, dreimal verflucht sei die Ungeheure, die ihn verdarb. Dieses Bild, das ich vom Halse ihm riß, es sei zertreten, wie sie zertreten soll werden, die es zeigt. Fort, fort! Sie gehen eiligst klagend ab.
BARAK. Ihr hörtet –
KALAF. – und ich sah. Kaum, daß ich's fasse. Wie könnte denn ein Bildnis tödlich wirken? Er will das Bild aufheben.
BARAK. Tut es nicht.
KALAF. Möchte doch die furchtbare Schönheit mir betrachten.
BARAK. Laßt ab, es ist verzaubert.
KALAF. Ängstlicher Mann, gib her.
BARAK. Es ist verflucht.
3. Arioso
KALAF. Du kränkst mich. Her das Bild! Er besieht das Bild. Barak, Barak, Du tückischer Alter, wolltest also mich narren. –
BARAK für sich. Ihr Genien helft!
KALAF. Diese Züge nicht eines Teufels, noch eines Ungeheuers – ... das Antlitz einer Göttin, der Blick ein lichter Himmelsstrahl, und sternenrein sein Ausdruck. –
BARAK. Betörter Prinz, noch siebentausend Male ist schöner Turandot.
KALAF noch immer in Betrachtung des Bildes. Du süßeste Gestalt, ihr Wangen des Morgenrots, knospende Lippen; Schatten[6] der Sommernacht, ihr dunklen Haare – Barak, alles an ihr ist Einklang, alles an ihr spricht Liebe.
BARAK. Glaubt es nicht. –
BALAF mit heiterem Entschluß. Barak, ich wage frisch das Spiel.
KARAK bestürzt. Mein Prinz #150;?
KALAF. Ein Spiel, das millionenfach den hohen Einsatz wieder einbringt. –
BARAK. Seht welch ein Spiel.
4. Pantomima e Finale
Der Scharfrichter, von Wachen und Trommlern gefolgt, steigt auf, über dem Tore, um auf dasselbe einen frischgefällten Menschenkopf aufzupfählen und nach verrichteter Handlung sich wieder zu entfernen.
Sobald es wieder still geworden, tritt Kalaf mit Aufwallung vor.
KALAF. Dich will ich rächen, du Jammerprinz, Kopfverlierer! Auf Wiedersehn!
BARAK. Mein Prinz ... Mein Prinz ... O! – Will ihm folgen, wird von Wachen aufgehalten, die ihn verprügeln. Andere schlagen auf Glocken und Tamtams Alarm. Über diesem kurzen Tumulte fällt der Vorhang.
Ausgewählte Ausgaben von
Turandot
|
Buchempfehlung
Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro