Dritter Gesang.

1.

O Mus' et cetera. – Wir sahn zuletzt

Juan an schöner Brust in Schlaf gewiegt,

Bewacht von Augen, die Gram nie genetzt,

An einem Herzen, das vor Wonne fliegt,

Das Gift nicht ahnend, das ihr Glück zerätzt,

Nicht, daß ein Feind der Ruh' dort ruhig liegt,

Der ihres reinen Herzens reinstes Blut

Verwandeln werd' in bittre Thränenflut.


2.

Weshalb, o Liebe, ist im Erdenstaube

Geliebt zu werden Unheil und Verderben?

Ach, mit Cypressen schmückst du deine Laube

Und lässest uns mit Seufzern um dich werben!

Wie ich, vom Duft entzückt, die Blume raube

Und lasse sie an meinem Busen sterben,

So wird das zarte Haupt, das uns beglückt,

An unser Herz gelegt und da – zerdrückt.


3.

Das Weib liebt Anfangs den geliebten Mann;

Beim Zweiten liebt sie schon die Liebe bloß,

Die wie ein Kleid wird; sie behält es an,

Doch sitzt es, wie ein weiter Handschuh, los,

Wie jeder leicht die Probe machen kann;

Erst schürt ein Einziger die Liebe groß,

Dann aber nimmt sie lieber den Plural

Und findet Zudrang keineswegs fatal.
[139]

4.

Wer hat die Schuld? die Männer oder sie?

Eins ist gewiß: sobald ihr Glück verraucht,

Bleibt ihr ein einz'ger Trost – Galanterie,

(Falls sie nicht gleich in Andacht untertaucht,)

Nur ist die erste Liebe immer die,

Für welche sie ihr ganzes Herz verbraucht:

Zwar ein'ge Weiber, sagt man, lieben keinen,

Doch keins, das einmal liebt, hört auf mit einem.


5.

Es ist betrübt, man könnte drüber weinen,

Ein Merkmal unsrer Schwäch' und Sündlichkeit,

Daß Lieb' und Ehe selten sich vereinen,

Da ein Gestirn doch beiden Dasein leiht.

Wie saurer Essig wird aus süßen Weinen,

So Eh' und Liebe, und es schärft die Zeit

Den duft'gen Trank voll himmlischer Gerüche

Zu einem niedrigen Gewürz der Küche.


6.

Antipathie herscht zwischen beiden Phasen;

Ein Stil der Schmeichelei, der sehr beredt,

Doch kaum sehr ehrlich ist, voll süßer Phrasen,

Ist Mode, bis die Wahrheit kömmt, – zu spät.

Und doch, was soll man machen? – schweigend rasen!

Der Sinn der Worte selbst wird ganz verdreht,

Zum Beispiel, Leidenschaft heißt »Hochgefühl«

Beim Liebenden, beim Gatten »ridicül«.


7.

Man wird verschämt, so sehr verliebt zu sein,

Vielleicht auch satt, obwohl das seltner Mod' ist;

Man kann sein Herz nicht stets nur einer weihn

Und muß verzweifeln weil es so Gebot ist;

»Es steht so angegeben in dem Schein,«

Daß beid' im Joche gehn, bis einer todt ist:

Betrübte Aussicht! seine Frau verlieren

Und dann in Schwarz die Diener costümiren!
[140]

8.

Es ist, als ob ein häuslich ehrbar Loos

Und ächte Lieb' einander fliehen müßten.

Der Dichter malt die Werbung lebensgroß,

Und von der Ehe giebt er meist nur Büsten.

Wer kümmert sich um ehliches Gekos?

Es war nie Unrecht, wenn sich Gatten küßten.

Ob wohl Petrark als Laura's Mann Sonette

Sein ganzes Leben lang geschrieben hätte?


9.

Im Trauerspiele, wann der Vorhang fällt,

So kömmt der Tod, im Lustspiel die Vermählung;

Die Zukunft Beider bleibt dahin gestellt:

Der Dichter fürchtet wohl durch die Erzählung

Zu nah zu treten der zukünft'gen Welt,

Die leicht sich rächen kann für die Verfehlung;

Hat er sie erst dem Priester anvertraut,

So sagt er weiter nichts von Tod und Braut.


10.

Die einz'gen Zwei, die je, so viel bekannt,

Von Himmel, Höll' und Ehestand gesungen,

Dante und Milton, haben durch den Stand

Der heil'gen Ehe wenig Glück errungen;

Schuld oder Sinnesart zerriß das Band,

(Dergleichen Dinge sind gar leicht zersprungen;)

Zur »Eva« und »Beatrix« hat indessen

Frau Milton nicht noch Dante's Frau gesessen.


11.

Nach Ein'gen ist die Beatrice Dante's

Die Theologie und nicht ein Frauenzimmer;

Ich halte dieses für ein hirnverbranntes

Auslegerstück und glaub' es nun und nimmer,

Bis man mir nachweist, Dante selbst bekannt' es.

Wie früher schon, so glaub' ich jetzt noch immer,

Die Dantische abstrusere Ekstatik

Sei dichterisch verlarvte Mathematik.
[141]

12.

Juan und Haidi waren nicht vermählt,

Was ihre Schuld und nicht die meine war;

Der keusche Leser, der mich darum schmählt,

Thut Unrecht; – wünscht er sie am Traualtar,

So klapp' er dies Buch zu, das ihm erzählt

Von einem so verirrten jungen Paar,

Bevor die Folgen zu entsetzlich werden;

Es könnte sonst sein Seelenheil gefährden.


13.

Sie waren glücklich, glücklich im Genuß

Unschuldiger und unerlaubter Triebe,

Und wurden unvorsichtig zum Beschluß,

Als ob Papa auf Reisen ewig bliebe.

Ich find' es hart, wenn ich entbehren muß,

Was ich mir wünscht' und erst seit kurzem liebe;

So nutzte denn Haidi die Zeit nach Kräften,

Indeß ihr Vater fort war in Geschäften.


14.

Verdammt nicht sein System Geld zu erheben!

Zwar rupft' er alle Flaggen auf dem Meere,

Indeß, hieß' er Minister, würd' es eben

Besteurung heißen, nur daß seine Sphäre

Bescheidner war; er wählte sich im Leben

Die schlichtere, honnettere Carriére

Auf hoher See und trieb auf blauer Flur

Ein Bischen nautische Advocatur.


15.

Der gute alte Herr ward fern vom Hafen

Gehalten durch den Wind und reiche Fänge

Und Hoffnung auf noch mehr; doch Stürme trafen

Ihn dann und dämpften seines Jubels Klänge,

Indem ein Schiff voll lief. Er schied die Sklaven

In numerirte Gruppen, wie Gesänge,

Ein jeder trug ein Band um Händ' und Kropf,

Und zehn bis hundert Dollars galt der Kopf.
[142]

16.

Ein Theil davon ging nach Cap Matapan

Zu Freunden in der Maina; einen Haufen

Schickt er nach Tunis, und ein alter Mann,

Der unverkäuflich aussah, mußt' ersaufen.

Die reichren Leute reservirte man

Im Schiffsraum, um sich später loszukaufen;

Den Pöbel fesselt' er in gleichen Serien

Als Liefrung für den Pascha von Algerien.


17.

Die Waaren sondert' er in mehre Klassen

Für die verschiednen Märkte der Levante;

Nur ein'ge Sachen, die für Damen passen,

Fränzösische Artikel, elegante

Weißwaaren, Sammt, Zahnstocher, Töpf' und Tassen,

Guitarren, Tambourins von Alicante,

Die blieben in Reserv', in separater,

Gestohlen für sein Kind vom besten Vater.


18.

Verschiedne Thiere die er sich ersah,

Ein Aeffchen, einen Mops, ein Arrah-Paar,

Persische Katzen, Junge nebst Mama,

Ein Terrierhündchen, das aus England war,

(Sein Herr, ein Britte, starb auf Ithaka,

Ein Bauer gab dem Thier das Gnadenjahr,)

Die sperrt' er gegen Sturm und Regenschauer

Zusammen in ein großes Vogelbauer.


19.

Nachdem er sein Geschäft auf See erledigt,

Auch ein'ge Kreuzer noch hinausgesandt,

Fuhr er zurück, etwas vom Sturm beschädigt,

Dorthin, wo seiner Tochter milde Hand

Gastfreiheit durch ihr schönes Beispiel predigt.

Dort aber war ein seichter, nackter Strand

Und starr von Riffen, bis auf Meilenweite,

Der Hafen folglich auf der andern Seite.
[143]

20.

Dort landet' er, und ohne Aufenthalt;

Denn weder Maut noch Quarantäne lagen

Auf seinem Weg, und keine Amtsgewalt

Konnt' ihn nach Zeit und Ort und Reise fragen.

Er ließ das Schiff an Land ziehn, um alsbald

Geflickt zu werden oder neu beschlagen,

Und alles war in Arbeit flugs begriffen,

Ballast, Geschützt und Frachtgut auszuschiffen.


21.

Als er zum Gipfel eines Hügels kam,

Wo er sein Haus sah mit den weißen Mauern,

Stand er. – Gefühle pflegen wundersam

Den Mann, der weit geschweift war, zu durchschauern,

Angst, – wird er Freude finden oder Gram,

Die alte Lieb' und auch das alte Trauern?

Gefühle, welche Jahre überspringen

Und uns zurück zum Abschiedsplatze bringen.


22.

Ein Vater fühlt, und auch ein Ehemann,

Bei seiner Wiederkehr von Reisen immer

Ein Bischen Angst, was ich begreifen kann,

Denn mißlich ist ein Haus voll Frauenzimmer;

(Ich ehre das Geschlecht, ich bet' es an

Doch, da es Schmeichler haßt, so schmeichl' ich nimmer;)

Die Frau, die man allein läßt, wird zu fein,

Und Töchter fliehn manchmal mit dem Lakain.


23.

Nicht jedem geht's so glimpflich wie Ulyssen,

Nicht jede Frau wird still am Weberrahmen

Sich ferne halten von des Freundes Küssen.

Zehn gegen eins, er wird den eignen Namen

Auf einer hübschen Urne lesen müssen

Und trifft zu Hause zwei, drei kleine Damen,

Erzeugt von einem Freund mit seinem Weibe, –

Sein Argus aber geht ihm bös zu Leibe.
[144]

24.

Wenn ledig, wird er finden, daß sein Schatz

Und irgend ein Hans Geldsack Hochzeit machten:

Tant mieux! sie leben jetzt wie Hund und Katz,

Und sie wird nach dem alten Freunde schmachten;

Er kann bei ihr für alles Leid Ersatz

Als Hausfreund finden oder sie verachten,

Und wenn sein Schmerz nicht schweigen mag, so schreib' er

Satiren auf den Wankelmut der Weiber.


25.

Und wer geknüpft hat solch ein keusches Band,

Honnette Freundschaft, daß man's recht verstehe,

Freundschaft mit einer Dam' im Ehestand,

Das stärkste Band, die eigentliche Ehe,

(Die erste dient dann nur als span'sche Wand,) –

Daß der nur nicht zu weit vom Hause gehe!

Ich weiß von Herrn, die, weil sie ausgefahren,

Viermal an einem Tag betrogen waren.


26.

Lambro, dem See-Anwalt, war trockne Erde

Viel weniger als nasses Meer bekannt;

Er sah vergnügt den Rauch von seinem Herde,

Doch, da er Metaphysik nicht verstand,

So wußt' er nicht, weshalb er fröhlich werde,

Warum er fühle, was er just empfand;

Er liebte seine Tochter, doch capirt' er

Den Grund so wenig wie ein Hochstudirter.


27.

Er sah im Sonnenschein sein weiß Castell,

Und seine schatt'gen Gartenbäume blühn;

Er hörte seiner Hunde fern Gebell

Und Brunnen rauschen, und im dunklen Grün

Des kühlen Haines sah er farbig hell

Gestalten sich bewegen, Waffen glühn,

(Im Orient trägt jeder seine Klinge,)

Und Kleider schimmern, bunt wie Schmetterlinge.
[145]

28.

Und wie er staunend näher kömmt, und wie

Ringsum sich Spuren eines Festes zeigen,

Hört er, – ach, keine Sphärenharmonie, –

Nein, irdischen, profanen Klang von Geigen,

(Er traut dem Ohr nicht, diese Symphonie

Scheint seine Fassungskraft zu übersteigen,)

Auch eine Flöt' und Trommeln, und Gerechter!

Ein höchst unorientalisches Gelächter.


29.

Und als er nun, bereits ein wenig schwitzend,

Noch näher kömmt, was sieht er da? – umweht

Von Laubesgrün und übern Rasen blitzend,

Nebst andren Zeichen von Festivität,

Die eignen Diener sich beim Tanz erhitzend,

Dem Derwisch gleich, der sich im Wirbel dreht;

Er sah, daß es der pyrrhische Waffentanz war,

Der stets Liebhaberei des Morgenlands war.


30.

Und Griechenmädchen tanzten auf der Flur,

Die größte schwenkt' ihr Tüchlein mit Bedacht,

Die andern Hand in Hand, wie Perlenschnur,

Im Rhythmus schreitend; braune Lockenpracht

Umfloß die weißen Häls', – ein Löckchen nur

Hätt' euch ein Dutzend Dichter toll gemacht.

Die Erste sang, und zum Gesange schritt

Der schöne Chor mit gleichem Schall und Tritt.


31.

Kreuzbeinig aber um die Schüsseln saßen

Gesell'ge kleine Kreis' und hieben ein;

Pilav und Braten standen auf dem Rasen

Und Flaschen Samos- oder Chioswein

Und Schnee-Scherbet in kühl porösen Vasen.

Ihr Nachtisch wuchs darüber in dem Hain,

Granatfrucht und Orange, reif und groß,

Fiel, kaum gepflückt, herab in ihren Schooß.
[146]

32.

Umjauchzt von Kindern dort ein Widder kam,

Schneeweiß, die würd'gen Hörner kranzgebückt,

Und hielt, als wär' er noch ein saugend Lamm,

Der Patriarch der Herde, fromm geschmückt

Sein ehrbar Haupt, und majestätisch zahm

Fraß er aus ihrer Hand, und schäkernd zückt'

Er seine Stirn, und wich zurück, als fände

Er allzu stark die Schar der kleinen Hände.


33.

Die classischen Profil' und bunten Röckchen,

Die schwarzen Augen und die Seraphswangen,

Rot wie Granatfrucht, und die wehnden Löckchen,

Der Blicke Funkeln und der Glieder Prangen,

Die Kinderunschuld und das weiße Böckchen, –

Dies alles macht' ein Bild aus diesen Rangen,

Und seufzen mochten Alle, welche wußten,

Daß diese Kleinen älter werden mußten.


34.

Dort sprach ein Zwerg, ein witziger Erzähler,

Den ernsten, alten, grauen Pfeifenstopfern

Von den verborgnen Schätzen ferner Thäler,

Von derben Späßen und von Zauberopfern,

Durch die man Gold macht und curirt die Fehler,

Von Felsen, die sich öffnen vor den Klopfern,

Von Fraun, die ihren Mann durch Teufelspacta

In Vieh verwandeln (aber das sind Facta.)


35.

Hier waren für den Geist wie für den Magen

Genüsse aller Art, harmlos und traulich,

Tanz, Wein, Musik, Arabiens Wundersagen,

Sehr reizend, aber doch nicht unerbaulich;

Nur Lambro sah das Fest mit Misbehagen,

Der Kostenaufwand, merkt' er wohl, war graulich;

Er schien der Uebel größtes zu besorgen,

Geschwollne Rechnungen am Samstag Morgen.
[147]

36.

Was ist der Mensch? Gefahr und Not umkreisen

Den Glücklichsten, selbst nach dem Mittagsessen;

Ein Tag von Gold und ein Jahrzehnt von Eisen –

Mehr hat der größte Glückspilz nie besessen;

Den Neuling aber lockt mit süßen Weisen

Lust, die Sirene, um ihn roh zu fressen.

Lambro's Berührung mit dem Festbesuche

War so wie zwischen Flamm' und nassem Tuche.


37.

Er war ein Mann, der Schweigsamkeit verehrte;

Da er Haidi zu überraschen dachte,

(Gewöhnlich überrascht' er mit dem Schwerte,)

So sorgt' er, daß kein Bote Nachricht brachte,

Und niemand ahnte, daß er wiederkehrte.

Er stand, als ob er aus dem Traum erwachte,

Und mehr erstaunt als froh, muß ich gestehn,

So viele liebe Gäste hier zu sehn.


38.

Die Leute hatten – (Gott! wie lügen die!)

Zumal die Griechen! – hatten ausgesprochen,

Er sei gestorben, (solche sterben nie,)

Und die Familie trauert' ein'ge Wochen.

Doch nun kam Trost, auch Durst kam über sie,

Und als die Macht der Thränen sich gebrochen

Und Haidi's Wange neu zu blühn begann,

Fing sie auf eigne Hand die Wirtschaft an.


39.

So kam's, daß Braten, Reis, Tanz, Geig' und Becher

Auf Lambro's Riff die goldne Zeit erneute;

Die Diener wurden Bummler oder Zecher,

Ein Leben, das sie ungemein erfreute;

Des Vaters Gasifreiheit erschien weit schwächer,

Seitdem die Tochter so sein Geld verstreute,

Und herrlich war's, wie schön sich alles machte,

Als sie an nichts als ihre Liebe dachte.
[148]

40.

Ihr denkt vielleicht, er brannte lichterloh,

Als er so stolpert' über Tanz und Wein;

(Auch war er just nicht übermäßig froh;)

Ihr mögt vielleicht ein Standrecht prophezeihn,

Karbatsche, Folter, wenigstens Cachot,

Damit sein Hausstand lern' exact zu sein;

Ihr glaubt vielleicht, er zeigt' in blut'gen Thaten

Die fürstliche Gemütsart des Piraten.


41.

Ihr irrt. Noch niemals hatt' ein sanftrer Mann

Schiff' angebohrt und Schädel eingeschlagen;

Er war so durch und durch ein Edelmann,

Ihr konntet niemals, was er dachte, sagen;

Kein Höfling, kaum ein Frauenzimmer kann

Mehr Falschheit unter dem Corsette tragen;

Wie Schade, daß er so am Kapern hing

Und für die feine Welt verloren ging!


42.

Er tritt zum nächsten Tisch und klopft ganz leise

Dem ersten besten Gast aufs Schulterblatt

Und lächelt so auf ganz besondre Weise,

Die kaum viel Gutes zu bedeuten hat,

Und fragt, was dieses Fest bedeut' und heiße.

Der Grieche, den er frug, war noch nicht satt

Und viel zu lustig, um sich nach dem Sprecher

Erst umzuschaun; er füllte bloß den Becher,


43.

Und freundlich schmunzelnd wie ein Satyr bot

Den Trunk er über seine Schulter hin

Und sagte: »Schwatzen ist nur trocknes Brot,

Ihr seht, wie sehr ich hier beschäftigt bin.« –

Ein Zweiter lallt: »der alte Herr ist todt,

Fragt unsre Herrin, die Besitzerin.« –

»Was Herrin?« sagt ein Dritter, »meiner Treue,

Herr heißt es, – nicht der alte, sondern neue!« –
[149]

44.

Die Schelme sahn nicht, wen sie vor sich hatten,

Sie waren fremd, – und Lambro's Lächeln schwand,

Und über seine Augen flog ein Schatten.

Hofmännisch aber hatt' er, schnell ermannt,

Die krause Stirn vertauscht mit einer glatten,

Und bat den Einen, Namen ihm und Stand

Des Herrn zu nennen, welcher, wie er dachte,

Aus seiner Haidi eine Hausfrau machte.


45.

»Ich weiß nicht,« sprach der Zecher, »wie er heißt,

Noch was er ist, und mach' mir nichts daraus;

Eins weiß ich, dieses Huhn ist fett und feist,

Und guter Wein floß nie zu bessrem Schmaus.

Ich weiß nicht, ob du's nun gehörig weißt,

Sonst frag' gefällig meinen Nachbar aus;

Der wird dir Rede stehn, das will ich schwören,

Denn niemand mag so gern sich selber hören.« –


46.

Daß Lambro voll Geduld war, wißt ihr schon

Und ganz gewiß benahm er sich so zart,

Daß Frankreich selbst, die Musternation,

Ihn schwerlich übertraf an Lebensart;

Er trug die innre Wut, der Fremden Hohn,

Sein eignes Herz, das arg gefoltert ward,

Und der Schmarotzer tölpelhaftes Spaßen,

Die unterdeß von seinem Lammfleisch aßen.


47.

Von einem Mann, der so gewohnt an Macht war,

Auf dessen Wink die Menge ging und kam,

Deß Auftrag, kaum gesprochen, schon vollbracht war,

Auch wenn er Freiheit oder Leben nahm, –

Scheint's seltsam wohl, daß er so sanft und sacht war,

Indeß, wie manches ist nicht wundersam?

Gewiß, wer sich beherschen kann, ist gut

Zum Commandiren, – fast wie Welfenblut.
[150]

48.

Der Jähzorn ward in ihm wohl einmal rege

Doch nie in seiner ernsten, ächten Wut;

Dann kalt, in sich verschlossen, still und träge

Lag er, wie aufgerollt die Boa ruht.

Sein Grundsatz war nicht: Worte erst, dann Schläge!

Sobald sein Zorn sich aussprach, floß kein Blut,

Doch wann er schwieg, da war die Aussicht trüber,

Ein Schlag ließ dann dem zweiten wenig über.


49.

Er fragte weiter nichts, und auf dem Pfade,

Der seitwärts lag, begab er sich ins Haus;

Kein Mensch gab Acht auf ihn, denn heut gerade

Sahn sie am wenigsten nach Lambro aus.

Ob Vaterlieb' in seiner Brust um Gnade

Für Haidi flehte, bracht' ich nie heraus,

Doch daß dies Volksfest ihm, dem Todtgeglaubten,

Curiose Trauer schien, darf man behaupten.


50.

Wenn alle Todten plötzlich wiederkämen,

(Was Gott verhüte!) und gesetzt einmal,

(Ich will ein Beispiel aus der Ehe nehmen,)

Die Gattin käme wieder zum Gemahl,

Glaubt ihr, dann wär' es aus mit allem Grämen?

Das Regenwetter würd' erst recht fatal,

Und Thränen flössen wie bei der Begehung

Des Leichenfests, auch bei der Auferstehung.


51.

Er trat ins Haus und mochte schwer empfinden,

Daß dieses Haus ihm kein Daheim mehr bot:

Das ist ein Schmerz, viel schwerer zu verwinden,

Vielleicht, als selbst des Sterbens bängste Not;

Statt seines Herdes eine Gruft zu finden

Und an der einst so warmen Stätte todt

Die Asche unsrer Hoffnungen, das kränkt

Viel tiefer als ein Junggeselle denkt.
[151]

52.

Er trat ins Haus, wo kein Daheim er fand;

Gefühl der Einsamkeit ergriff sein Herz,

Als unbegrüßt er auf der Schwelle stand:

Hier hatt' er lang gewohnt, hier ohne Schmerz

Hatt' er noch Tage seltner Ruh' gekannt,

Hier schmolz das harte Aug', des Busens Erz

In reiner Nähe seiner holden Blume,

In seines Herzens letztem Heiligthume.


53.

Er war ein Mann von seltenstem Gemisch,

Von wilder Seel' und milde von Betragen,

Zufrieden mit frugalem Glück und Tisch,

Maßvoll in allem, ohne hast'ges Jagen,

Im Dulden stark, im Fassen schnell und frisch,

Ein Mensch, in welchem bessre Keime lagen;

Grimm wider seines Volkes blut'ge Schlächter

Zerfraß sein Herz, – so ward der Knecht ein Knechter.


54.

Der rasche Goldgewinn, der Reiz der Macht,

Gefahr und Kampf, darin er groß geworden,

Gewöhnung, die das Herz gefühllos macht,

Der häuf'ge Anblick von Gefecht und Morden,

Undank, den Gnad' ihm manchmal eingebracht,

Die wilde See und wildre Räuberhorden, –

All dies bereuten seine Feinde schwer:

Ein guter Freund, schlimm aber im Verkehr.


55.

Jedoch ein Rest vom alten Heldenfeuer

Durchleuchtete auch sein hellenisch Blut,

Der Geist, der zu des Vließes Abenteuer

Einst seine Ahnen trieb nach Kolchis Flut;

Zwar, Fried' und Ordnung war ihm nicht sehr theuer,

Sein Land bot wenig Raum für Bürgermut, –

Haß aller Welt und Krieg mit jedem Lande,

So rächt' er sich für seines Volkes Schande.
[152]

56.

Doch ließ der Einfluß seiner Heimatflur

Durch seine Seel' Joniens Anmut wallen,

Und unbewußt verriet sie ihre Spur;

Die Auswahl seiner Wohnung, das Gefallen

An Liedern und erhabener Natur,

Die Freud' am sanften Bache, der krystallen

Dahin floß, und an Blumen seine Lust

Bethaut' in stillren Stunden diese Brust.


57.

All seine Lieb' indeß und all sein Hoffen

Baut' er auf sein geliebtes schönes Kind;

Sie hielt den letzten Weg zum Herzen offen,

In allen Schrecken, die er schaut und sinnt, –

Ein einsam Glück, von keinem Fluch getroffen!

Verliert er dies noch, dann zu Blut gerinnt

Die Milch der Menschlichkeit, dann rast und grollt er

Wie der Cyclop in blinder Wahnsinnsfolter.


58.

Der Tigerin Gebrüll um ihre Brut

Ist furchtbar für die Hirten und die Herden;

Das Weltmeer ist im Aufruhr schäum'ger Flut

Graunvoll dem Schiff, wann Felsen sichtbar werden;

Doch leichter schmiegt sich ausgeraste Wut

Zu zahmer Ruh' und freundlichen Geberden

Als solch ein Zorn, ernst, lautlos, selbstbewußt

Der starken Menschen- und der Vaterbrust.


59.

Ach, es ist hart, und doch ist es so Sitte,

Daß Kinder rebelliren! Hoffend schon

Sahst du dich selbst verjüngt in ihrer Mitte,

Dein kleines Ich verschönt in feinrem Thon;

Da, wie das Alter kömmt mit leisem Schritte

Und deine Sonne sinkt und Wolken drohn,

Verlassen sie dich freundlich, – einsam nicht,

O nein, bei guten Freunden, Stein und Gicht!
[153]

60.

Doch wird man Kinder für ein Glück erklären,

(Nur nicht nach Tisch, da werden sie zu Plagern;)

Wie schön, wenn Mütter ihre Kleinen nähren!

(Nur pflegen sie dabei sehr abzumagern;)

Wie rührend, wenn gleich Engeln an Altären

Die ros'gen Köpfchen den Kamin umlagern!

Mit ihren Töchtern glänzen die Matronen

Wie die Guineen, umringt von halben Kronen.


61.

Der alte Mann trat ungesehn ins Haus

Und stand in seiner Hall' im Abendschatten;

Inzwischen saß Haidi beim reichen Schmaus

In Herrlichkeit und Pracht mit ihrem Gatten,

Und schöne Sklaven gingen ein und aus,

Und auf des Tisches eingelegten Platten

War das Service Gold, Silber und Gestein,

Perlmutter und Korallen ganz gemein.


62.

An hundert Schüsseln kamen auf den Tisch,

Lamm und Pistazien, kurz, endlose Braten,

Kalbsmilch und Safransuppen, und an Fisch

Das Feinste, was nur je ins Netz geraten;

Die Sauce war ein himmlisches Gemisch.

Zum Trinken war Scherbet da, aus Granaten,

Rosinen und Orangen, deren Saft

Man durch die Schalen quetscht; das giebt ihm Kraft.


63.

Die standen in Krystall umher; und jetzt

Kam Dattelbrot und kamen Frücht' in Massen,

Und Mokka's ächte Bohne kam zuletzt

In kleinen feinen porzellanen Tassen,

Auf goldgeflochtne Tellerchen gesetzt,

(Sie sind vor Hitze sonst nicht anzufassen;)

Im Kaffee war Gewürz mit aufgekocht,

Zimmt, Safran, Nelken, – ich hab's nie gemocht.
[154]

64.

Die Wandbekleidung war aus Sammt gewoben

Und rings in bunten Feldern ausgespannt,

Daraus sich dicke Damastblumen hoben,

Und um das Ganze lief ein gelber Rand;

Und in dem reichgewirkten Rande oben,

Blau überstickt, in Lila-Lettern stand

Manch sanfte persische Sentenz aus Dichtern

Und Moralisten, diesen großen Lichtern.


65.

Die Sitte, Sprüch' auf Wände aufzutragen,

Ist allgemein im Orient, eine Sorte

Memento's, wie bei Memphischen Gelagen

Der Todtenkopf; es mahnt an jene Worte,

Die einst Belsazar in den Staub geschlagen

Und ihm sein Reich geraubt. An jedem Orte,

So schön auch weise Männer pred'gen, ist

Doch der Genuß der strengste Moralist.


66.

Ein Mädchen wird am Schluß der Ballzeit hektisch,

Ein großer Genius trinkt sich zu Tode,

Ein Wüstling wird bigott, wohl gar eklektisch,

(Denn dieser Nam' ist jetzt in England Mode,)

Ein Alderman wird vollends apoplektisch, –

Dergleichen macht uns ängstlich und marode

Und lehrt uns, daß Getränk und Lieb' und Ballzeit

Beinah so schädlich sind wie zu viel Mahlzeit.


67.

Der Teppich war in diesem Prachtasyle

Von rotem Atlas mit blaßblauen Litzen;

Drei Viertel des Gemachs erfüllten Pfühle,

Ein Sofa nämlich, der mit Sammetsitzen

Und Scharlach prunkte, (ganz wie Königsstühle,)

Und mitten drauf sah man die Sonne blitzen,

Aus Gold getrieben, deren Strahlenschimmer

Ein Mittagsleuchten strömte durch das Zimmer.
[155]

68.

Silber, Krystall und Porzellan durchfluten

Den Saal mit Pracht, und Kaschmirdecken schwellen,

Die zu betreten unsre Herzen bluten;

Und Zwerge, Mohren, Katzen und Gazellen

Und sonst'ge Wesen, die behaglich ruhten

In Günstlings- oder in Ministerstellen,

(Das heißt in Schande,) drängten sich beim Essen

So zahlreich wie an Höfen und auf Messen.


69.

Und hohe Spiegel strahlen, und umher

Stehn Tisch' aus Ebenholz, kunstreich verziert

Mit Elfenbein, Perlmutter, und noch mehr

Aus seltnem Holz und Schildpatt, ciselirt

In Silber oder Gold. Und auf Begehr

Ward an den meisten Tischen flugs servirt,

Pasteten, Wein, Scherbet in Eis, das Beste

Zu allen Stunden und für alle Gäste.


70.

Von Trachten sei Haidi's Costüm skizzirt:

Sie hatte zwei Jelicks, – eins gelb und helle;

Ein Hemdchen, himmelblau und rot verziert,

Darin die Brust wie eine kleine Welle,

Mit erbsengroßen Perlen vorn garnirt;

Purpur und Gold war des Jelicks Geselle;

Gestreifte Gaze als Baracan umschloß sie,

Wie Silberwölkchen um den Vollmond floß sie.


71.

Ein breiter Goldring schmückt den schönen Arm,

Ohn' alles Schloß, so biegsam, daß die Hand

Ihn dehnen konnt' und schließen sonder Harm,

Sich formend nach dem Glied, das er umwand,

So schön – die bloße Form schon macht' euch warm!

Und wie verliebt hielt er den Arm umspannt:

Das reinste Gold umschloß die feinste Haut,

Auf der man je ein edel Erz geschaut.
[156]

72.

Als Fürstin über ihres Vaters Land

Trug sie am Fußgelenk zwei goldne Reife,

Das Haar gestirnt von Steinen, an der Hand

Zwölf Ring', am Busen eine Perlenschleife,

Die ihres Schleiers feine Falten band,

So wertvoll, daß ich kaum den Wert begreife.

Die seid'ne Hos', orangefarben, fällt

Voll auf die schönsten Knöchel von der Welt.


73.

Des langen Haars goldbraune Wellen flossen

Wie Alpenflut, die Morgenglanz beschien,

Und hätten ihren Körper ganz umschlossen,

Wenn frei sie wären, ohne Disciplin;

Sie duldeten, so schien es, nur verdrossen

Den Zwang der seidnen Bind' und wollten fliehn,

So oft ein Zephyr, den die Locken fingen,

Als Fächer anbot seine jungen Schwingen.


74.

Es war, als ob sie Lebenshauch umwehe

Und leicht die Luft vor ihrem Auge werde;

Es war so schön, so sanft, so tief, als sehe

Ein Traum des Himmels nieder auf die Erde,

Und rein, wie Psyche war vor Psyche's Ehe,

Zu rein selbst für die Lieb' am heil'gen Herde;

Ihr fühltet, wann ihr mächt'ger Reiz erschien,

Es würde nicht abgöttisch sein zu knien.


75.

Die Wimpern waren, wenngleich schwarz wie Nacht,

Gefärbt nach morgenländischer Manier; –

Umsonst, – dies große, dunkle Auge lacht,

Ein glänzender Rebell, der falschen Zier

Und triumphirt in angeborner Pracht.

Die Nägel färbte Hennah, doch auch hier

War alle Kunst ohnmächtig, ohne Sinn,

Sie wurden doch nicht ros'ger als vorhin.
[157]

76.

Die weiße Haut noch blendender zu machen,

Färbt man das Hennah tief; sie braucht' es nicht;

Des Morgens junge Strahlen kaum entfachen

Auf Bergeshöhn ein himmlisch weißer Licht;

Das Auge zweifelt' an dem eignen Wachen,

So traumgleich war sie! – Mein Geschmack ist schlicht,

Doch Shakspeare sagt ja auch, die Zeit verderbe,

»Wer feines Gold vergüld' und Lilien färbe.«


77.

Juan trug einen schwarz- und goldnen Schal

Und weißen Baracan vom feinsten Zwirne,

Man sah darunter der Juwelen Strahl,

Wie durch die Milchstraß' äugelnde Gestirne.

Sein Turban legte sich verschiedne Mal

Anmutig um das Haupt, und an der Stirne

Blitzt' ein Smaragd mit Haidi's Haar, darunter

Ein Halbmond, zitternd, aber blank und munter.


78.

Ihr Hofstaat mußte nun sie amüsiren,

Eunuchen, Tänzer, Zwerg' und ein Poet;

Sie zählten alle diese zu den Ihren.

Der Letztre hatte viel Celebrität

Und zeigt' es gern; er pflegte zu scandiren

Und war, je nach dem Thema, recht beredt,

Für bares Geld vergötternd und vernichtend,

»Ein feines Lied«, wie der Psalmist sagt, »tichtend«.


79.

Er schalt die Vorzeit, pries die Gegenwart,

(Die Vorzeit selbst that just das Umgekehrte,)

Ein Antidemagog auf seine Art,

Der lieber Pudding aß, als Ruhm – entbehrte.

Es ging ihm ein'ge Jahre lang recht hart,

Weil er in Liedern Recht und Freiheit ehrte,

Doch jetzt besang er Sultan oder Pascha

So wahr wie Southey und so schön wie Crashaw.
[158]

80.

Er war ein Mann, der Wechsel viel erfuhr

Und stets dem Wechsel treu, wie ein Magnet, war,

Nur daß sein Pol kein Fixstern im Azur,

Vielmehr ein circulirender Planet war.

Geduckten Haupts mied er die seidne Schnur,

Und da er, wenn gesättigt, sehr beredt war

Und recht mit Inbrunst und Bewußtsein log,

So kam der Sold ihm zu, den er bezog.


81.

Er hatte Geist, und hat ein Schranze den,

So wird er allen Hindernissen trotzen,

Damit die Leute diesen Geist auch sehn.

Auch Edle kitzelt's, wenn die Menschen glotzen.

Jedoch zur Sache! – Still! – wo blieb ich stehn?

Aha, im dritten Buch, bei dem Schmarotzen,

Dem hübschen Paar, dem Hause, Trachten, Troß

Und lust'gem Leben auf dem Inselschloß.


82.

Ihr Dichter war, das muß der Neid ihm lassen,

Ein lust'ger Kauz, beliebt bei Jung- und Alten,

Ein Favorit verschiedner Menschenklassen;

Er mußte, wann sie zechten, Reden halten,

Und mochten sie auch seinen Sinn nicht fassen,

So brüllten sie doch gnädig oder lallten

Den stolzen Lohn beifäll'gen Volksgeschreis,

Deß erste Ursach nie die zweite weiß.


83.

Jetzt, wo er sich in feinrer Welt erblickte,

Und da er hin und wieder auf der Reise

Freisinn'ge Brocken von der Straße pickte,

So wollt' er hier einmal im Freundeskreise

Auf sichrem Riff (wer fürchtet da Conflicte?)

Der ew'gen Lüg' entsagen, ausnahmsweise,

Und singen, wie er sang in warmer Jugend,

Und Waffenstillstand schließen mit der Tugend.
[159]

84.

Er kannte Franken, Griechen, Muselmann,

Er kannte aller Völker Eitelkeit,

Er schloß sich Leuten jedes Ranges an

Und hatte stets ein Compliment bereit,

Wodurch er Dank und wenig Geld gewann;

Er änderte sein Lob nach Ort und Zeit:

»In Rom zu thun, was Römer thun«, den Rat

Fand er in Griechenland durchaus probat.


85.

Er sang, sobald die Leute sagten »Sing!«

Bei allen Nationen national,

Was just im Schwunge war, God save the King!

Und Ça ira! – es war ihm ganz egal.

Sein Genius fand sich ab mit jedem Ding,

Hoch lyrisch bald, bald flach rational;

Pindar besang Wettrennen, sollt' er minder

Coulant sich zeigen als ein Mann wie Pindar?


86.

In Frankreich schrieb' er Chanson, Madrigal,

In England Epopö'n in sechs Gesängen,

In Spanien (ebenso in Portugal)

Romanzen, die den letzten Krieg besängen;

In Deutschland würd' er (siehe Frau de Staël)

Auf Goethe's Pegasus ins Treffen springen;

In Welschland zirpt' er wie ein Trecentista,

In Griechenland säng' er ein Lied wie dies da:


Die Inselland' in Aegeus See,

An Künsten reich und groß im Krieg,

Wo Sappho sang ihr glühend Weh,

Wo Delos aus den Fluten stieg,

Noch strahlt ihr Lenz, ihr Himmel lacht,

Das andre all versank in Nacht!


Des Sciers und des Teïers Lied

Und Heldenharf' und Liebessang[160]

Sind hier verstummt, ihr Echo flieht

Die Küsten, wo es einst erklang,

Indeß der fernste West berauscht

Noch heut den Zaubertönen lauscht.


Die Berge schaun auf Marathon,

Und Marathon schaut auf die See:

Da stand ich einst und träumte schon,

Daß Hellas aus dem Grab' ersteh';

Wo Hellas' Speer den Perser traf,

Da war im Traume frei der Sklav.


Und Salamis ragt aus dem Meer!

Ein König saß auf hohem Stein,

Und hundert Flotten um ihn her

Und Volk an Volk, und alle sein?

Er zählte sie beim Morgenlicht,

Der Abend kam – und fand sie nicht.


Wo sind sie jetzt? und wo bist du,

Mein Vaterland? Von Küst' und Meer

Ruft mir kein Heldensang mehr zu,

Die Heldenherzen glühn nicht mehr;

In schlechte Hand wie meine fiel

Dein göttergleiches Saitenspiel.


Nur eins bleibt noch in Schmach und Not:

Ob auch die Kette mich umschließt,

Selbst singend fühl' ich heißes Rot,

Das meine Wangen übergießt!

Was, Hellas, bleibt dem Sänger? Scham

Für dein Geschlecht, um dich der Gram.


Wie? Thränen nur? Erröten bloß?

Die Väter opferten dir Blut;

Gieb, Erde, gieb aus deinem Schooß

Ein Häuflein nur von Sparta's Brut![161]

Drei von dreihundert nur! dann säh'

Die Welt ein neu Thermopylä!


Ihr schweigt? Und Schweigen überall?

O nein, – der Ruf der Todten schwebt

Wie ferner Berggewässer Hall:

»Wenn sich ein lebend Haupt erhebt,

Nur eins, – so nahn, so nahn auch wir!«

Stumm, o Lebend'ge, seid nur ihr.


Umsonst! – schlag andre Saiten an!

Füllt hoch den Kelch mit Samoswein!

Im Kampfe blute der Osman,

Der Rebe Blut soll unser sein!

Horch, – bei dem feigen Ruf empor

Jauchzt der Bacchanten tapfrer Chor.


Den Tanz des Pyrrhus seh' ich hier;

Find' ich des Pyrrhus Phalanx auch?

Weshalb, o Enkel, meidet ihr

Den stolzeren, den kühnren Brauch?

Die Schrift des Kadmus habt ihr noch,

Erfand er sie für Knecht' im Joch?


Füllt hoch den Kelch mit Samoswein!

Mit solchen Sorgen bleib uns fern!

Bei dieses Weines goldnem Schein

Pries auch Anakreon den Herrn

Ja, doch der Herr im Lande war

In alten Zeiten kein Barbar.


Einst der Tyrann der Chersones

War unsrer Freiheit Schirm und Hort;

Sein Name war Miltiades!

O, hätte Hellas fort und fort

Despoten seiner Art gekannt!

Die Kette hielt, wenn er sie band.
[162]

Füllt hoch den Kelch mit Samoswein!

Ein Rest vom alten Stamme währt

An Parga's Strand, auf Suli's Stein,

Wie Sparta's Mütter ihn genährt;

Vielleicht daß dort ein Trieb erblüht

Aus heraklidischem Geblüt.


Vom Franken nicht das Heil begehrt,

Ihr König schachert Gold um Blut:

Im eignen Heer, im eignen Schwert

Des Tapfren letzte Hoffnung ruht.

Des Türken Macht, des Franken List

Bräch' euren Schild, so breit er ist.


Füllt hoch den Kelch mit Samoswein!

Die Jungfraun tanzen dort im Grün,

Der schwarzen Augen stolzen Schein,

Die jungen Reize seh' ich blühn,

Meins aber brennt von bittrer Flut, –

So schöne Brust für Sklavenbrut!


Stellt mich auf Suniums Marmor-Cap,

Daß ich allein an öder See

Mit ihr betraure Hellas' Grab

Und schwangleich singend untergeh'!

Ein Sklavenland sei nimmer mein, –

Schmettre hin den Kelch mit Samoswein!


87.

So sang er oder konnt' und sollt' er singen,

Und seine Verse waren mäßig gut;

Ein Lied des Orpheus mochte besser klingen,

Heut gilt schon viel, wer etwas leidlich thut;

Gefühl schien diese Strophen zu durchdringen,

Und Glut des Dichters weckt des Hörers Glut;

Nur lügt das Völkchen so, und nimmt behende

Verschiedne Farben an, wie Färberhände.
[163]

88.

Doch Wort ist That, ein Tröpfchen Dint' entfacht,

(Wenn es wie Thau auf den Gedanken fällt,)

Was Tausend, ja Millionen denken macht.

Seltsam, ein kleiner Buchstab' oft erhellt

Mit dauerhaftem Licht der Zeiten Nacht!

Wie Mutter Zeit dem armen Menschen prellt!

Papier, ein Fetzen so wie dies, besteht,

Wann er, sein Grab, sein Alles untergeht.


89.

Wann sein Gebein verwest, sein Staub verflogen,

Und selbst sein Volk verschollen, ohne Spur,

Bis auf den Platz im Buch der Chronologen,

Dann macht ein Rest verwitterter Scriptur,

Ein alter Stein vielleicht, hervorgezogen

Aus einer aufgewühlten Kellerflur,

Aus einer Senkgrub' aufgehobnem Grunde,

Des Todten Namen noch zum seltnen Funde.


90.

Den Ruhm belächelt, wer ein Weiser ist;

Er ist nur wenig, nichts, Wort, Blendwerk, Wind,

Er hängt mehr ab von dem, wie der Chronist

Zu schreiben weiß, als wie die Helden sind;

Homer macht Troja groß, wie Hoyle das Whist;

Das jetzige Jahrhundert wurde blind

Für Marlboroughs Kunst in Püffen und in Hieben,

Bis sie der Erzdechant Herr Coxe beschrieben.


91.

Daß Milton Fürst der Dichter sei, weiß jeder,

Ein Bischen schwer, doch wie ein Gott geflügelt;

Er war der Mächt'gen mächtiger Befehder,

Gelehrt und fromm, in Lieb' und Wein gezügelt;

Doch nun gerät er unter Johnson's Feder,

Wir sehn den Musenpriester, ach, geprügelt

Im Schulsaal, sehn, wie seine Ehe auslief

Und eine Madam Milton ihm von Haus lief.
[164]

92.

Das sind gewiß recht amüsante Daten,

Wie Bacon Geld annimmt, wie Shakspeare wildert,

Wie Cäsars oder Titus' Jugendthaten,

Wie Burns' (den Doctor Currie treffend schildert,)

Und Cromwells Streiche. Solches zu verraten

Verlangt die Wahrheit, ehrlich, ungemildert;

Es ist bedeutsam für die Charaktere,

Nur macht es euren Helden nicht viel Ehre.


93.

Nicht alle sind so rein, wie Southey war,

Als er noch warb für Pantisokrasie;

Wie Wordsworth, als er (ohne Amtssalar)

Hausirer sang und dich, Demokratie!

Wie Coleridge, lang eh' er sein Schwingenpaar

Der Morning-Post und hohem Adel lieh,

Als er und Southey noch auf gleichen Pfaden

Zwei Damen freiten aus dem Modeladen.


94.

Dies Kleeblatt ist jetzt für die Sittenlehre,

Was Botany-Bai für die Geographie:

Loyaler Treubruch, Renegatenehre

Düngt ihre magere Biographie; –

Beiläufig, Wordsworth's Buch hat eine Schwere,

Solch einen Quartband sah die Erde nie;

Der »Streifzug« heißt es, Zeug, das schal und fahl ist,

In einem Ton verfaßt, der mir fatal ist.


95.

Da baut er einen formidablen Deich,

Der seinen trennt von unsrem Intellecte;

Wordsworth's Poem und seine Jünger, gleich

Johanna Southcote's Götterkind' und Secte,

Sind Dinge, denen unsre Zeit das Reich

Nicht gönnt, – es giebt zu wenige Erweckte;

Der beiden alten Jungfern Leibesfrucht,

Die man für Götter hielt, war Wassersucht!
[165]

96.

Doch nun zu meinem Text. – Wahr muß es sein,

Wenn etwas, ist Abschweifung meine Schwäche;

Ich lasse meine Helden oft allein,

Indeß ich lange Monologe spreche;

Thronreden, so zu sagen, schalt' ich ein,

Womit ich meinen Reichstag unterbreche;

Ich denke nie daran, wie meine Kost

Begehrt ist, – fast wie die des Ariost.


97.

Ich weiß, was man Longueurs in Frankreich heißt,

(Uns fehlt das Wort, doch haben wir die Sache

In allerschönster Blüte, das beweist

Ein Epos jährlich von Bob Southey's Mache,)

Das ist kein Köder für des Lesers Geist,

Obwohl ich leicht durch gute, mannichfache

Beispiele zeigen könnte, daß zum Theile

Des Epos Bau beruht auf Langerweile.


98.

Homer soll, wie Horaz sagt, manchmal schlafen,

Und Wordsworth wacht bisweilen, wie wir sehn,

Wann selbstgefällig er mit seinen braven

Fuhrleuten Schritt fährt neben seinen Seen.

Er wünscht »ein Boot!« – Wozu? – Für einen Hafen

Des Meers? – O nein, um in die Luft zu gehn!

»Ein kleines Boot!« seufzt er mit brünst'ger Stimme

Und faselt ganze Seen, damit es schwimme.


99.

Wenn er durchaus entfliehn muß zu den Sphären

Und Pegasus sich bäumt vor seinem Wagen,

So thät' er besser bei dem großen Bären

Und bei Medea's Drachen anzufragen;

Und wenn ihm diese allzu classisch wären,

Um sein vulgäres Hirn daran zu wagen,

So sollte doch der Tropf verständ'ger Weise

Nach Luftballons sich umschaun für die Reise.
[166]

100.

»Hausirer« – »Boote« – »Fuhrleut'« – Pope und Dryden!

Ihr großen Schatten, kam's mit uns so weit?

Daß solcher Schund, statt Pranger zu erleiden,

Wie Fett im Meer der Mittelmäßigkeit

Nach oben schwimmt und so ein Jan van Leyden

Der Kunst und Logik euer Grab bespeit?

Der »kleine Bootmann« und sein »Peter Bell«

Rümpfen die Nase vor »Ahitophel«!


101.

Zu unsrem Text. – Die Dämmerstunde graute,

Die Sklaven gingen, und das Fest war aus;

Verstummt war Zaubermär und Dichterlaute,

Erstorben waren Jubel und Gebraus;

Haidi, allein mit ihrem Buhlen, schaute

Ins ros'ge Meer der Abendluft hinaus, –

Ave Maria! über Land und Meere

Ist diese Stunde dein, die holde, hehre.


102.

Ave Maria! sei gesegnet, Nacht!

Und Zeit und Land und Ort, wo ich die Stunde

So oft empfand in ihrer vollsten Macht,

So sanft, so schön, auf stiller Fluren Runde!

Des Tages Lieder starben fern und sacht,

Und Glocken tönten leis' aus tiefem Grunde;

Ob auch kein Hauch der ros'gen Lüfte wehte,

Doch regte sich der Wald wie im Gebete.


103.

Ave Maria! Erd' und Himmel kniet!

Ave Maria! Lieb' erwacht und Glaube!

Ave Maria! unsre Seele flieht

Zu dir und deinem Sohn empor vom Staube!

Ave Maria! hold in Demut sieht

Dein Antlitz nieder vor der ew'gen Taube!

Es ist nur ein gemaltes Bild, – ihr wißt es, –

Und dennoch kein Idol, – zu ähnlich ist es.
[167]

104.

Irgend ein frommer Freund schrieb ein Pamphlet,

Ein anonymes, das mich gottlos nennt;

Gut, commandirt uns beide zum Gebet,

Dann wird sich's finden, wer sie besser kennt,

Die Straße, die direct zum Himmel geht.

Mein Dom ist Meer, Gebirg und Firmament,

Alles, was von dem Urquell seinen Lauf nimmt,

Der unsre Seelen schuf und wieder aufnimmt.


105.

O Dämmerstunde, die ich oft verträumte

Im stillen Fichtenwald, am öden Meer,

Wo seinen Strand Ravenna's Hain umsäumte

Wo einst an der Cäsaren letzte Wehr

Die Adria hinüberflutend schäumte, –

Forst, ewig grüner! den Boccaccio's Mär

Und Drydens Lied bevölkerten für mich,

Wie liebt' ich euch, die Dämmerstund' und dich!


106.

Cicaden nur, das schrille Volk der Fichte,

Ihr Sommerleben in Gesang verlebend, –

Sonst kein Geräusch im abendlichen Lichte,

Und ferne Vesperglocken, sanft verschwebend.

Das Jagdgespenst und Guido's Strafgerichte,

Die Höllenmeut' und schöne Fraun, die bebend

An diesem Beispiel lernten, treue Minne

Nicht zu verschmähn, – umwogten meine Sinne.


107.

O Hesperus! du bringst uns jedes Gut,

Das Mahl dem Hungrigen, dem Müden Rast,

Das warme Mutternest der jungen Brut,

Dem Stier die Krippe nach des Tages Last:

Den Frieden, der an unserm Herde ruht,

Die Lieben all, die unser Dach umfaßt,

Dein stiller Blick ruft sie zu reinster Lust,

Du legst den Säugling an der Mutter Brust.
[168]

108.

Da schmilzt das Herz, und Sehnsucht steigt empor

Im Manne, der dahinfährt auf der See,

Von lieber Heimat fern, die er verlor;

Und sanft erfüllt den Pilger süßes Weh,

Wann fern er hört der Abendglocken Chor

Als ob sie weinten, daß der Tag vergeh';

Ist es zu thöricht, solchen Schmerz zu wähnen?

Nein! wo ein Leben stirbt, da sind auch Thränen!


109.

Als Nero sank von seinem Thron herab

Und den Bedrücker das Gericht erdrückte,

Als jubelnd Rom sich dem Triumph ergab

Und Völker jauchzten, da mit Blumen schmückte

Unsichtbar eine Hand des Kaisers Grab, –

Wohl eines Herzens Dank, das er beglückte

Durch irgend eine Huld, als den Verruchten

Noch reine Stunden dann und wann besuchten.


110.

Wohin gerat' ich aber? – was geht Nero,

Was irgend ein gekrönter Charlatan

Den spanischen Leander meiner Hero,

Was geht der Mann im Mond mein Epos an?

Wahrhaftig, mein Talent steht bald auf Zéro,

Ich werd' ein förmlicher »Holzlöffel-Mann«,

(Wir Leut' in Cambridge gaben diesen Namen

Dem letzten Ehrengrade beim Examen.)


111.

Mit dieser Breite kann das Ding nicht gehn,

Sie ist zu episch. Wann ich erst mundire,

Mach' ich aus diesem langen Canto zween,

Das merkt kein Mensch, wenn ich's nicht confitire,

Und falls es dennoch ein'ge Kenner sehn,

Dann sag' ich diesen Kennern, Kürze ziere,

Und weis' es nach aus Regeln der Aesthetik,

(Vergleiche Aristoteles Poetik.)

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 5, S. 137-169.
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