Vierter Gesang.

1.

Nichts schwieriger als richtig zu beginnen

In unsrer Kunst, es sei denn, recht zu schließen:

Der Pegasus will just das Ziel gewinnen,

Da lahmt sein Flügel, und die Reiter schießen,

Wie Satan einst, bergab von Himmelszinnen;

In einem Punkt sind wir und er Complicen,

Im Stolz: wir segeln los mit vollem Wind,

Bis unsre Schwäch' uns darthut, was wir sind.


2.

Die Zeit bringt Jedermann auf sein Niveau,

Und scharfe Not lehrt jedes Menschenkind

(Und hoffentlich den Teufel ebenso,)

Daß unsre Geister nicht so riesig sind.

So lang die Glut der Jugend brennt wie Stroh,

Weiß man das nicht, das Blut fließt zu geschwind:

Doch, wie der Bergstrom langsam schleicht ins Weltmeer,

So wird man ernst, und kein Gebraus gefällt mehr.


3.

Als Knabe hielt ich mich für recht gescheit

Und wünschte, Andre theilten meinen Glauben;

Sie thaten's auch in meiner reifren Zeit,

Und meine Herrschaft war mir nicht zu rauben;

Nun aber kömmt der Herbst im gelben Kleid,

Die Flügel meiner Phantasie verstauben,

Die trübe Wahrheit hockt an meinem Tische

Und macht burlesk das vormals Schwärmerische.
[173]

4.

Ich lache dann und wann, um nicht zu weinen,

Und weine, weil der Mensch nicht Tag für Tag

Sich zwingen kann im Stumpfsinn zu versteinen;

Erst muß in Lethe's Strom des Herzens Schlag

Still stehen, eh' der Friede wird erscheinen,

Eh' das entschläft, was Keiner schauen mag.

Irdische Mütter würden Thetis' Knaben

Im Lethe statt im Styx gebadet haben.


5.

Man wirft mir vor, ich greife Glauben, Ehe

Und Sittlichkeit des Volks planmäßig an,

Was man in jeder Zeile deutlich sehe.

Ich sage nicht, daß ich, was ich gethan,

Ich meine die Motive, selbst verstehe,

Nur eins steht fest, ich hatte keinen Plan,

Als daß ich gern ein Bischen lustig wär', –

Ein neues Wort in meinem Dictionär.


6.

Dem lieben Leser unsrer kühlen Zone

Scheint meine Schreibart freilich wohl exotisch;

Pulci zuerst sang im halbernsten Tone,

Bei ihm ist aber alles noch Quixotisch,

Die Damen keusch, voll Treue die Barone,

Die Riesen wild, die Könige despotisch;

Da dies (bis auf die letztren) abgekommen,

So hab' ich den modernen Stoff genommen.


7.

Und wie behandl' ich ihn? Vielleicht so fein,

Wie jene mich behandeln, die mich schmähn

Ob all des Gifts in meinen Reimerein,

Das sie – nicht sehen – aber gerne sähn.

Wenn's ihnen Spaß macht, mag es darum sein,

Der Geist darf ja, wohin er Lust hat, wehn.

Inzwischen zupft Apollo mich beim Ohr

Und sagt mir, geh' mit der Erzählung vor.
[174]

8.

Juan und seine Dame sind allein,

Zwei Herzen, die sich lieblich unterhalten;

Der Zeit sogar, der grimmen, macht' es Pein

So sanfte Busen scharfen Stahls zu spalten;

Sie seufzte, hier der Stunden Dieb zu sein.

Und doch, sie dürfen nicht als Greis' erkalten,

Sie müssen jung im schönen Frühling sterben,

Eh' Hoffnung flieht und Blüten sich entfärben.


9.

Ihr Antlitz darf nicht welk zusammenschrumpfen,

Ihr Haar soll nicht zu fahlem Grau verbleichen,

Ihr großes Herz und reines Blut versumpfen.

Wie Zonen, die nicht Frost und Schnee erreichen,

Sind sie ganz Sommer! vor des Blitzes Streichen

Hinstürzen mögen sie; dahin zu schleichen

Ein Schneckenleben, ist für sie nicht gut;

Zu wenig Erdstoff ist in ihrem Blut.


10.

Sie waren jetzt allein; das war für sie

Ein Eden; sie empfanden Ueberdruß

Nur in der Trennung. Nicht die Pflanze, die

Man von der Wurzel absägt, nicht der Fluß,

Deß Quell verstopft wird, nicht das Kind, von Knie

Und Brust der Mutter weggerissen, muß

Hinschwinden, wie dies Paar im Trennungsschmerz

Hinschwänd' – ach, kein Instinct ist wie das Herz!


11.

Das Herz, das brechen kann! – Dreimal beglückt

Der, dessen Herz, vom feinsten Porzellan

Des Menschenthons, beim ersten Stoß zerstückt!

Er darf nicht schauen, was wir Andern sahn,

Das Blei der Jahre, das uns niederdrückt,

Was wir verschmerzt und niemals kund gethan;

Indeß dies Rätselleben oft in denen

Am tiefsten wurzelt, die den Tod ersehnen.
[175]

12.

»Wen Zeus liebt, der stirbt jung,« – sagt Herodot,

Und manchem Tode wird er so entrückt,

Dem Tod der Freund' und jenem schlimmren Tod

Der Freundschaft, Liebe, – alles, was beglückt!

Da doch das stille Ufer jedem droht,

Auch wenn der Schnitter spät die Sense zückt,

So ist das frühe Grab, um das man weint,

Vielleicht als rettendes Geschenk gemeint.


13.

Mein junges Paar dacht' an die Todten nie;

Ihm lachten Erd' und Meer und Himmelsbläue;

Sie schalten nur die Zeit, weil sie entflieh',

Sie sahen keinen Grund zu bittrer Reue;

Im Spiegel ihrer Augen lasen sie

Hell wie Juwelen Glück und Lieb' und Treue

Und wußten wohl, daß sich in diesem Strahle

Der Abglanz ausgetauschter Wonne male.


14.

Der süße Händedruck, das holde Spiel

Der Blicke, das zur zweiten Sprache wird,

Die alles sagt und sagt doch nie zu viel,

Zu einer Sprache, wie die Taube girrt,

Nicht aller Welt verständlich, deren Stil

Die Lieb' allein entziffert und entwirrt,

Und zartes Tändeln, das der albern nennt,

Der's nie gekannt hat oder nicht mehr kennt, –


15.

All dies war ihr; denn Kinder waren sie

Und hätten immer Kinder bleiben sollen.

Sie paßten nicht zur faden Scenerie

Der Alltagsbühn' und ihren faden Rollen.

Nein, wie zwei quellgeborne Wesen, wie

Stromgott und Nymphe müßten sie an vollen

Waldbächen und auf Blumenufern rasten

Und nie erfahren, wie die Stunden lasten.
[176]

16.

Des Mondes Wechsel fand sie wechsellos,

Dasselbe Glück, dem er so oft gelacht,

Und selten sah sein Aug' ein schönres Loos;

Nicht jenes hohle Glück, das müde macht;

Ihr frischer Geist erschlaffte nie im Schooß

Der Sinnenlust: Besitz ist eine Macht,

Die Lieb' entseelt, doch ihnen machte er

Das Theure theurer, und aus Vielen Mehr.


17.

O schön! O schön und selten! Eine Liebe,

In die entzückt wir unsren Geist versenken,

Wann uns des Werkeltages wüst Getriebe

Und abgedroschne Kläng' und Scenen kränken,

Intrigen, niedre Abenteurer, Diebe,

Zwerghafte Leidenschaft mit Eheränken,

Wo Hymens Fackel eine Metze brennt,

Die nur der Gatte nicht als Hure kennt.


18.

Ein hartes Wort, doch wahr, wie weltbekannt.

Genug. – Dies treue, elfenschöne Paar,

Das keine Stunde noch zu langsam fand,

Was machte sie so aller Sorgen bar?

Auch Andre fühlen ja der Jugend Brand,

Doch Andern stirbt sie ab; in ihnen war

Sie haftend, – was die Welt »romantisch« heißt,

Auch »toll«, und doch im Stillen glücklich preist.


19.

Bei Andern ist's ein Opiumtaumel nur,

Frucht der Lectüre oder Jugendwahn;

Bei ihnen war es Schicksal und Natur.

Ihr junges Herz schmolz niemals beim Roman,

Denn Haidi war zurück in der Cultur,

Und kirchlich streng erzogen war Juan;

Sie liebten ohne Gründ', es war ein Fall

Wie Liebe einer Taub' und Nachtigal.
[177]

20.

Sie sahn ins Abendrot, die holde Glut,

Die alle Herzen rührt, ihr Herz zumal:

Von solchem Himmel hatte sie die Flut

Der Liebe überrauscht zum ersten Mal;

Da war das Glück ihr einzig bräutlich Gut,

Da sah den ersten Kuß der Abendstrahl!

Beglückt in sich, begrüßten sie den Schatten

Entschwundnen Glücks, wie Glück, das sie noch hatten.


21.

Heut aber, wie sie blickten auf die Auen,

Fuhr plötzlich, mitten in Gekos' und Scherzen,

Durch ihr berauschtes Herz ein dunkles Grauen,

Wie Wind durch Harfensaiten oder Kerzen,

Daß wir ihr Zittern hören oder schauen;

Und also flog ein Ahnen durch die Herzen,

So daß Juans Brust leise seufzend schwoll

Und eine Thrän' aus Haidi's Auge quoll.


22.

Ihr Seherauge folgte schwarz und groß

Weit, weit der Abendsonne übers Meer,

Als ob ihr letztes Glück im Flutenschooß

Mit jenem goldnen Ball versunken wär'.

Er sah sie an, als frag' er um sein Loos;

Sein Herz, er wußte nicht warum, war schwer

Und wollte für solch rätselhaft Empfinden

Entschuldigung in ihrem Blicke finden.


23.

Sie schaut' ihn an und lächelt', aber so,

Daß er nicht lächeln konnt', und wandte dann

Die Augen ab; doch diese Stimmung floh,

Als Weisheit oder Stolz den Sieg gewann;

Und als Juan nun sprach, scherzhaft und froh,

Von ihren Ahnungen, da hob sie an:

»Wenn es geschäh', – nein! – dies kann nie geschehn;

Ich wenigstens würd' es nicht lebend sehn.«
[178]

24.

Er wollte weiter forschen, doch sie preßte

Die Lipp' an seine Lipp' und macht' ihn stumm

Und trieb die Sorgen fort, die finstern Gäste,

Im Kusse trotzend dem Augurium.

Von allen Mitteln, gelt, ist dies das beste;

Etwelche ziehen Wein vor, – auch nicht dumm;

Ich kenne beides: will mir jemand beistehn,

Soll ihm die Wahl, Kopf- oder Herzweh, freistehn.


25.

Eins von den beiden muß der Mensch ertragen,

Und je nachdem er wählt, Weib oder Wein.

Es ist die Steuer für sein Wohlbehagen,

Doch weiß ich kaum, was wählt man von den zwein?

Es läßt sich viel für beide Seiten sagen,

Und wäre das Entscheidungsvotum mein,

So würd' ich mich vermutlich so entscheiden,

Daß beides besser sei, als keins von beiden.


26.

Und ihre Augen suchten sich und schwammen

In stummer Zärtlichkeit; sie sahn sich an, –

Kind, Bruder, Freund, kurz alles floß zusammen,

Die tiefste Glut, die Leben je gewann,

Wo Herz und Herz, vermählt in lautren Flammen,

Zu heiß liebt, doch nicht kühler lieben kann

Und süßes Uebermaß fast heilig macht

Durch des Beglückens Göttertrieb und Macht.


27.

Warum nicht, Herz an Herzen, Wang' an Wange,

Warum nicht sterben? Wenn die Zeit sie zwingt,

Getrennt zu atmen, lebten sie zu lange, –

Die Zeit, die Jammer nur und Unrecht bringt!

Ihr Herz erglüht gleich Sapphischem Gesange

Und taugt nicht für die Welt, die täuscht und ringt;

Lieb' ist in ihnen und mit ihnen eins,

Kein Fühlen bloß, die Seele ihres Seins.
[179]

28.

Sie müßten leben tief in Wald und Hain,

Wie Nachtigallen singen, unsichtbar,

Fern von den dichtgedrängten Wüstenein,

Die man gesellig nennt, und wo die Schar

Der Laster haust. Was frei ist, wohnt allein;

Singvögel nisten paarweis', und der Aar

Schwebt einsam; Kräh'n und Möwen ziehn geschart

Zu ihrem Ase, ganz nach Menschenart.


29.

Zärtlich gebettet Wang' an Wange schlief

Das holde Paar ein; um ihr Lager schwebte

Ein sanfter Schlummer, doch er war nicht tief:

Juan in seinem Schlafe zuckt' und bebte

Von einem Etwas, das ihn überlief;

Auf Haidi's Lippen, wie auf Bächen, webte

Wortloses Flüstern, leis vom Traum erregt,

Wie Rosenblätter, die ein West bewegt.


30.

Wie tiefe klare Flut im Alpenschacht,

Wann sich zu ihr hinab die Winde stehlen,

So bebt' ihr Antlitz von dem Traum der Nacht,

Dem mystischen Eroberer der Seelen,

Der uns zu allem, was ihm einfällt, macht,

Wann uns der Selbstbeherschung Zügel fehlen;

Seltsames Leben! (Leben ist darin,)

Ohn' Auge sehn, empfinden ohne Sinn!


31.

Sie war allein am Meer in ihrem Traum,

Ans Riff geschnürt. Sie wußte selbst nicht wie,

Doch konnte sie nicht fort. Der Wogenschaum

Stieg brausend, und die Wellen packten sie

Und netzten ihre Lippen, bis sie kaum

Nach Atem schluchzt', und nun umschäumten sie

Ihr einsam Haupt, hoch, grimmig, wie Verderben,

Und donnerten, – doch konnte sie nicht sterben.
[180]

32.

Jetzt war sie frei, und irrt' in banger Hast

Mit blut'gen Füßen über scharfen Grand

Und strauchelte bei jedem Schritte fast.

Und vor ihr wallt' es wie ein Grabgewand, –

Sie mußte nach, obwohl von Graun erfaßt:

Weiß war es, unbestimmt, für Blick und Hand

Ungreifbar, und sie blickte, griff und rannte,

Und stets entwich es, eh' sie es umspannte.


33.

Mit einem Mal stand sie in fels'ger Zelle

Mit Marmorzack' und künstlichem Geschnitz,

Dem Werke der Jahrtausend' und der Welle,

Wo sich der Seehund birgt im dunklen Ritz.

Ihr Haupthaar troff, und ihre Augenbälle

Zerflossen schier in Thränen; schwarz und spitz

Sah das Gefels zum Tropfenfall empor

Und fing ihn auf, daß er zu Stein gefror.


34.

Und naß und kalt und todt zu ihren Füßen,

Bleich wie auf seiner Stirn der Wogenschnee,

Den sie vergebens abwusch, – ach! die süßen

Versuch' und Sorgen wurden bittres Weh! –

Lag ihr Juan, – verstummt des Herzens Grüßen,

Und leise klang das Klagelied der See

In ihr betrübtes Ohr, wie Nixensang, –

Der kurze Traum schien hundert Jahr' zu lang.


35.

Und wie sie starrte, trat ein Wandel ein:

Des Todten Züge schienen zu vergehn

Und plötzlich ihrem Vater gleich zu sein,

Bis Lambro's Züge deutlich vor ihr stehn,

Der scharfe Blick, das Antlitz griechisch fein!

Jetzt fuhr sie aus dem Schlaf, – um was zu sehn?

Himmlische Macht! dies dunkle Auge war –

War ihres Vaters – haftend auf dem Paar!
[181]

36.

Sie schrie und sprang empor, und fiel und schrie

Vor Hoffnung und vor Angst, vor Wonn' und Weh,

Als sie ihn sah, den ihre Phantasie

Im Meer begrub, erstanden aus der See,

Vielleicht um den zu tödten, welchen sie

So heiß geliebt wie ihren Vater je, –

Es war ein Augenblick voll jener Schrecken ...

Ich kenne sie, doch mag ich sie nicht wecken.


37.

Empor bei Haidi's Angstschrei sprang Juan

Und fing sie auf im Fall und riß sogleich

Den Säbel von der Wand, den fremden Mann

Zu strafen für den unerhörten Streich.

Bis dahin schwieg der Alte; jetzt begann

Stolz lächelnd er: »In meines Rufs Bereich

Erwarten tausend Klingen nur mein Wort,

Dein Schwert ist kindisch, Knabe, – leg' es fort.«


38.

Haidi umklammert' ihn: »Juan, halt ein!

's ist Lambro – 's ist mein Vater – Knie mit mir!

Er wird uns alles – ja, er muß verzeihn!

O liebster Vater! – sieh mich ringen hier

Im Todeskampf der Seligkeit und Pein!

Entzückt, den Saum des Kleides küss' ich dir, –

Soll Angst das Glück der Tochter untergraben?

Thu', was du willst, mit mir, – nur schon' den Knaben!«


39.

Hoch, unerforschlich stand der alte Mann,

Sein Ton war sanft und ruhig sein Gesicht,

(Dies zeigt' indeß bei ihm nicht Ruhe an;)

Er sah sie an, doch Antwort gab er nicht

Und richtete den Blick auf Don Juan,

Der trotzig dastand, wie auf Kampf erpicht,

Die Wangen fiebernd, fertig für den Streit,

Gefaßt zu sterben, aber sprungbereit.
[182]

40.

»Knabe, dein Schwert!« spricht abermals der Greis.

Juan ruft: »Nie! so lang mein Arm noch ficht;«

Des Alten Stirn wird (nicht vor Schrecken) weiß;

Er zieht sein Gurtpistol hervor und spricht:

»Dein Blut komm' über dich! du willst es, – sei's!«

Und hält das Schloß dann prüfend vors Gesicht,

(Es hatte kürzlich mehrfach Dienst gethan,)

Und spannt mit großer Seelenruh den Hahn.


41.

Ein eigner, scharfer Ton, nicht sehr erquicklich,

Wenn so der Hahn knackt, und wenn ihr den Schluß

Ziehn müßt, daß euer Kopf nun augenblicklich

(So auf zehn Schritt) als Scheibe dienen muß;

Denn die Distance ist eben recht und schicklich,

Wenn man mit weiland Freunden kommt zum Schuß;

Nach einem Schuß inzwischen oder zwein

Wird unser Ohr mehr irisch, minder fein.


42.

Lambro schlug an. Noch ein Moment, und sieh,

Dies Buch wär' aus, ein Leben obendrein.

Da warf vor ihren Knaben sich Haidi,

Ernst wie ihr Vater: »Mich laß Opfer sein!

Die Schuld ist mein, – er fand – er suchte nie

Dies Unheilsland, – mein Schwur, mein Herz ist sein, –

Ich lieb' ihn, – für ihn sterb' ich, – siehe zu,

Ob nicht dein Kind unbeugsam ist wie du.«


43.

Noch eben war sie Lieb' und Schüchternheit,

Ganz Thränen, aber jetzt in tiefster Not

Stand sie, von aller Menschenfurcht befreit,

Bleich, statuenhaft und ernst, und warb um Tod;

Und höher als das Maß der Weiblichkeit,

Stolz aufgerichtet stand sie da und bot

Sich selbst zum Ziel und blickte unverwandt

In Lambro's Blick, doch hielt nicht seine Hand.
[183]

44.

Er blickt sie an, sie ihn, und wunderbar,

Wie ähnlich sie sich sahen! Zug um Zug,

Der Ausdruck heiter-wild, die Augen klar,

Und hin und wieder flog der Blitze Flug.

Auch sie, wie die gezähmte Löwin, war

Zur Rache flink, wann ihre Stunde schlug;

Des Vaters Blick entflammt des Vaters Blut,

Sie war sein Kind, das sah er nur zu gut.


45.

Antlitz und Wuchs war gleich, Verschiedenheit

In ihren Jahren nur und im Geschlechte;

Selbst in der feinen Hand war Aehnlichkeit,

Wie gutes Blut sie trägt, das heißt das ächte;

Und wer sie dastehn sah, so tief entzweit,

Wo Freudenthrän' und Kuß mit bessrem Rechte

Am Orte war, der mochte wohl begreifen,

Was Leidenschaften sind, wenn sie erst reifen.


46.

Der Vater zögert' ein'ge Augenblicke,

Dann steckt' er sein Pistol ein, doch blieb stehn

Und sah sie an, als ob er durch sie blicke;

»Nicht ich,« sprach er, »verbrach, was hier geschehn;

Ich legte diesem Fremdling keine Stricke;

Wer solchen Schimpf verzieh', den möcht' ich sehn;

Ich thue meine Pflicht, – auf welche Art

Du deine thatest, zeugt die Gegenwart.«


47.

»Entwaffn' er sich! Bei meines Vaters Kopf,

Sonst rollt vor dir der seine wie ein Ball!«

Er sprach's und löst' ein Pfeifchen vorn vom Knopf

Und blies; ein Pfiff antwortete dem Schall,

Und stürmisch, doch geführt, vom Fuß zum Schopf

Bewaffnet, stürzt' herein ein wilder Schwall,

An zwanzig Mann, und Lambro's Mund gebot:

»Ergreift den Franken, oder schlagt ihn todt!«
[184]

48.

Dann jählings riß er, eh' sie sich besann,

Haidi zurück, und wie er sie umschlang,

Drang Mannschaft zwischen sie und Don Juan;

Umsonst, daß sie in seinen Armen rang, –

Die waren wie der Schlange Reif, – und dann,

Wie auf den Raub die zorn'ge Natter, sprang

Der Räuberschwarm zum Werk; der Erste nur

Fiel mit zerhauner Schulter auf die Flur.


49.

Des Zweiten Backe klafft'; als Dritter kam

Ein schlauer, kalter, alter Eisenfresser;

Der fing die Hiebe mit der Kling' und nahm

Dann seinen Mann so gründlich vor das Messer,

Im Umsehn hatt' er ihn hülflos und zahm.

Das Blut floß förmlich wie ein klein Gewässer

Aus zwei famosen Hieben, roten, tiefen,

Die über seinen Arm und Scheitel liefen.


50.

Sie schlugen ihn, wie er da lag, in Bande

Und trugen ihn auf Lambro's Wink zum Port,

Wo ein'ge Schiffe lagen, fern vom Strande,

Denn heute Abend sollten sie noch fort;

Sie fuhren ihn in einem Boot vom Lande

An eine Galiot und stauten dort

Ihn unter Luken weg und rieten dann

Der Wache noch die strengste Aufsicht an.


51.

Wie reich an Wechselfällen ist die Welt!

Und hier kam einer äußerst ungelegen:

Ein Cavalier, so reich an Glück und Geld,

Jung, hübsch, dem alles lacht auf seinen Wegen,

Wird, eben wann das Land ihm recht gefällt,

Beim Kopf gekriegt und muß direct in See gehn,

In Ketten, wund, daß jede Faser zuckte,

Bloß weil ein Fräulein sich in ihn verguckte.
[185]

52.

Doch still von ihm, ich werde sonst pathetisch

Bei China's Thränennymphe, grünem Thee,

Die trotz Kassandren trüb' ist und prophetisch;

Denn wenn ich über drei Trankopfer geh',

So wird mein armes Herz so sympathetisch,

Daß ich zu schwarzem Bohea mich versteh';

Der Wein hat leider seine eignen Laster,

Man bleibt bei Thee und Kaffee viel gefaßter;


53.

Das heißt, wenn du ihn nicht qualificirst,

Najade, Cognac, süßer Höllentrank!

Ach, daß du unsre Leber ruinirst

Und machst (nach Nymphenart) Liebhaber krank!

O schwacher Punsch! der du das Leben zierst,

Gern weiht' ich dir für deine Milde Dank,

Doch, ach, dein sanfter Rum von gestern Nacht

Wird zum Rumor im Kopf, wann man erwacht.


54.

Ich lasse Don Juan sehr wohl verwahrt,

Nicht wohlbehalten, sondern schlimm zerfetzt;

Doch war sein leiblich Weh nicht halb so hart

Wie alles, was Haidi zum Wahnsinn hetzt.

Sie klagte nicht, sie war nicht von der Art,

Die weint und tobt und sich ergiebt zuletzt;

Aus Fez war ihre Mutter, von der Küste,

Wo alles Paradies ist oder Wüste.


55.

Da strömt die Oelfrucht ihre Ambrafülle

In Marmorbecken, über wallt das Land

Von Korn und Obst und duft'ger Blumenhülle,

Doch wurzelt auch manch gift'ger Baum am Strand;

Die Mitternacht lauscht auf des Leun Gebrülle

Und der Kamele Huf verbrennt im Sand,

Der wogend Karawanen niederreißt, –

Und wie der Boden ist der Menschen Geist.
[186]

56.

Denn Afrika gehört der Sonn' allein,

Und gleich der Erde ist das Herz voll Glut

Zu gut- und böser That von Kindesbein,

Und das Gestirn beherscht das Maurenblut.

Auch Haidi's Mutter glich dem Sonnenschein,

Schönheit und Liebe war ihr erblich Gut,

Jedoch im dunklen Auge schlief der Zorn

Der Leidenschaft, gleich wie ein Löw' am Born.


57.

Die Tochter reift' an milderen Gestaden,

Wie Sommerwolken, silbern, zart und fein,

Bis sie, mit Donnern langsam überladen,

Sturm werden für die Luft und Schreck dem Hain.

Sie wandelte auf milchig sanften Pfaden,

Bis, überreizt von Leidenschaft und Pein,

Das Feur aus den Numidischen Adern fuhr,

Wild, wie der Samum fegt die Todesflur.


58.

Sie sah zuletzt Juan besiegt und schwer

Getroffen stürzen und sein rotes Blut

Auf eben dieser Flur, wo er vorher

Einherschritt, ihre Wonn' und höchstes Gut;

So viel noch hatte sie gesehn, – nicht mehr,

Als sich ihr Schmerz in tief Gestöhn entlud:

Erst zwang des Vaters Arm ihr Sträuben kaum,

Jetzt fiel sie, wie gefällt der Cederbaum.


59.

Die Ader sprang, – von dunklem Blut befleckt

Floß ihre reine Lipp', ihr Köpfchen legte

Dahin sich, wie die Lilie, hingestreckt

Vom Regensturm; so trugen sie die Mägde

Zu ihrem Lager, weinend und erschreckt.

Umsonst war alle Kunst, vergebens pflegte

Man sie mit Kraut und Trank, – das Leben schwand,

Und doch blieb ferne noch des Todes Hand.
[187]

60.

So lag sie unverändert Tag für Tag,

Kalt doch nicht fahl, die Lippen blieben rot.

Sie schien zu leben ohne Herzensschlag,

Kein widrig Mal verkündete den Tod;

Verwesung kam nicht, und die Hoffnung mag

Noch hoffen: diese schöne Stirn gebot

Dem Leben zu vertraun, – den vollen Glanz

Solch einer Seele heischt das Grab nicht ganz


61.

Da lag noch jetzt der Liebe Widerschein,

Wie wir ihn in des Meisters Marmor schauen,

Nur reglos, wie im wandellosen Stein

Der immer junge Reiz auf Venus' Brauen,

Wie des Laocoon allew'ge Pein,

Des Fechters nie vergeh'ndes Todesgrauen:

Ihr ganzer Ruhm ist, daß sie lebensreich sind,

Und leben doch nicht, da sie immer gleich sind.


62.

Nun ward sie wach, wie aus dem Schlafe nicht,

Wie aus dem Grab: das Leben trat ihr nah

Wie etwas Neues, aufgezwungnes Licht,

Und nichts von allem, was sie hört' und sah,

Weckt' ihr Gedächtniß: bloß ein dumpf Gewicht

War mit dem ersten Pulse wieder da

Und lastete wie eine dunkle Last;

Denn die Erinnyen machten kurze Rast.


63.

Sie sah sich irr nach all den Leuten um

Und all den Zeichen, die sie nicht verstand;

Sie sah die Wach' und fragte nicht warum,

Und sorgte nicht, wen sie am Bette fand;

Sie war nicht sprachlos, dennoch lag sie stumm,

Umsonst versuchten sie Geschwätz und Tand,

Umsonst auch Schweigen, – kein Symptom bewies,

Als Atmen nur, daß sie das Grab verließ.
[188]

64.

Die Zofen pflegten sie, – sie merkt' es nimmer;

Ihr Vater wachte, – sie lag abgewandt;

Die alten Freund' und Plätze, die sie immer

Am meisten liebte, blieben unerkannt;

Vergebens trug man sie in andre Zimmer;

Sanft lag sie da, jedoch Erinnrung schwand;

Das Auge bloß, das man an alte Bilder

Gewöhnen wollte, ward dann finstrer, wilder.


65.

Da riet ein Sklav, daß man ihr harfen solle,

Und als der Sänger mit der Harf' erschien,

Und ein'ge Töne anschlug, wilde, volle,

Warf sie zuerst ihr blitzend Aug' auf ihn

Und kehrte dann sich um zur Wand, als wolle

Ihr Herz dem neuerwachten Schmerz entfliehn.

Er sang ein langes, leises Insellied,

Von alter Zeit, eh' Hellas' Ruhm verschied.


66.

Und horch, die dünnen Finger stimmten ein

In seinen Takt; nun wechselt' er und sang

Von Lieb', und dieses Wort, wie Wetterschein,

Schlug hell durch ihr Erinnern; widerklang

Das, was sie war und ist, wenn dies noch »Sein«

Zu nennen war. In vollem Strome drang

Aus dem umwölkten Hirn die Thränenflut,

Wie Bergdunst, der in Regen sich entlud.


67.

Ein kurzer Trost! – Der Wechsel war zu jähe,

Und Wahnsinn packt' ihr Hirn: sie sprang empor

Und stürzte sich auf All' in ihrer Nähe,

Als wären's Feinde; doch kein Menschenohr

Vernahm je, daß sie weine, schrei' und schmähe,

Auch da nicht, als das Fieber sich verlor;

Ein Wahnsinn war's, der stumm die Folter trug,

Selbst wenn man sie, um sie zu retten, schlug.
[189]

68.

Nur hin und wieder kam ein leichter Schimmer:

Sie blickte Lambro niemals wieder an;

Auf alles andre sah sie scharf, und immer

Mit einem Blicke, der vergeblich sann.

Kleidung und Kost wies sie zurück, und nimmer

Half List und Vorwand. Was man auch begann,

Nicht Zeit noch Tränke lullten ihren Sinn

In Schlaf, – die Fähigkeit schien ganz dahin.


69.

So welkte sie zwölf Tag' und Nächte, bis

Ohn' einen Schmerzensblick und Klagelaute

Die Seele sich von ihrem Körper riß.

Und keiner merkte, der am nächsten schaute,

Den Augenblick, bis dann die Finsterniß

Des Todes auf den holden Zügen graute,

Verglasend ihren Blick, das stolze Funkeln, –

O, so zu leuchten und dann so zu dunkeln!


70.

Sie starb, doch nicht allein: schon trug ihr Schooß

Ein zweites Leben, fähig aufzugehn,

Ein Kind der Sünde, schön und sündenlos;

Doch ungeboren, ohn' ins Licht zu sehn,

Ruht nun es, wo, vom selben Wetterstoß

Gebrochen Zweig' und Knospe still verwehn;

Umsonst bethaut der Himmel in der Schlucht

Der Liebe blut'ge Blum' und welke Frucht.


71.

So lebte sie, so starb sie. Schmach und Plage

Berührt sie nimmermehr. Nicht konnte sie

Durch Mond' und Jahre schleppen ihre Klage,

Wie der, dem Gott ein kühler Herz verlieh.

Kurz, aber wonnig waren ihre Tage,

Und lange währen solche Tage nie;

Nun aber schlummert sie am Saum der Flut,

Wo sie im Leben oft und gern geruht.
[190]

72.

Das Eiland ist verödet jetzt und leer,

Die Wohnungen sind Schutt, die Menschen fort,

Nur ihr und ihres Vaters Grab am Meer,

Doch keine Spur, daß Menschen ruhen dort.

Wo solche Schönheit liegt, weiß keiner mehr;

Von dem, was war, erzählt nicht Stein noch Wort;

Kein Grablied, nur die See an den Gestaden

Klagt seufzend um die Perle der Cycladen.


73.

Die Mädchen aber trauern im Gesang

Um ihren Namen; ihres Vaters Mär

Macht oft die Nacht dem Schiffer minder lang;

Denn sie war reich an Reiz und tapfer er.

Ihr Leben zahlte für zu glüh'nden Drang,

Der Preis für solchen Irrthum, ach, ist schwer!

Niemand erspart sich diesen Leidensbecher,

Früh oder spät wird Lieb' ihr eigner Rächer.


74.

Mein Thema wird zu ernst, und darum schiebe

Ich in mein Schubfach dieses Blatt voll Weh.

Wenn ich Verrücktheit zu genau beschriebe,

So dächtet ihr, daß mir es ähnlich geh';

Auch wüßt' ich nicht, was mir zu sagen bliebe.

Kurz, meine Mus' ist eine laun'ge Fee

Und kreuzt nun wieder etwas mit Juan,

Den wir halbtodt vor ein'gen Stanzen sahn,


75.

Gefesselt, wund und blutig, blaß und blind.

Verschiedne Tag' und Nächte währt es, eh'

Er sich auf alles, was geschah, besinnt,

Und als er sich besinnt, ist er auf See,

Macht stündlich sieben Knoten vor dem Wind,

Und blickt auf Troja's Strand mit tiefem Weh!

Manch Andrer säh sich gern in dieser Näh' um,

Doch er war schlecht erbaut vom Cap Sigäum.
[191]

76.

Dort neben Hütten auf dem grünen Feld,

Deß Grenzmark Hellesspont und Mittelmeer ist,

Da ruht im Grab Achill, der tapfre Held,

So sagt man, (Bryant sagt, daß es ganz leer ist.)

Und weiter ragt ein Hügel, hoch geschwellt,

Da ruht, – man weiß nur, daß es irgend wer ist,

Patroclus, Ajax, – Jemand, der uns heute,

Wenn er noch lebte, fürchterlich zerbläute.


77.

Erdhaufen ohne Marmor, ohne Namen,

Und Freund Skamander, (wenn er's ist,) und dann

Ein weiter öder Plan, den Berg' umrahmen,

Und Ida hinten, – mehr ist nicht daran.

Der Platz scheint wie gemacht für blut'ge Dramen,

Kampfraum ist da für hunderttausend Mann;

Doch wo man sucht nach Ilions alten Mauern,

Da grasen Schaf' und Landschildkröten kauern.


78.

Roßherden ohne Hirten, kleine Flecken

Mit neuen Namen, die wir nicht begreifen,

Ein Schafhirt (nicht wie Paris,) der die kecken

Nordländer anglotzt, die das Feld durchstreifen

Und alte Schulerinnerungen wecken;

Auch Türken mit Gebetschnur und mit Pfeifen,

Die Jünger Mahomeds, des Erzbetrügers,

Die giebt's, – doch nicht den Schatten eines Phrygers.


79.

Hier kroch Juan aus seinem finstren Raum

Auf Deck, sobald der Schiffer es gestattet;

Verloren blickt' er auf den Wogenschaum,

Den manches Heldengrabmal überschattet;

Die Kraft zu eignen Fragen fand er kaum,

So sehr von Blutverlust war er ermattet;

Auch ward ihm kein sehr tröstlicher Bescheid,

Für Zukunft nicht, noch für Vergangenheit.
[192]

80.

Auch Mitgefangne fand er dort; sie schienen

Ihm Italiäner, was sie denn auch waren,

Und seltsam spielte das Geschick mit ihnen.

Sie wollten nämlich nach Sicilien fahren

Und dort als Opernsänger Geld verdienen,

Und waren unterwegs – nicht von Corsaren

Gekapert worden – sondern weit bequemer

Verkauft von ihrem eignen Unternehmer.


81.

Juan vernahm vom Buffo dieser Schar

Den wunderlichen Fall: der kleine Wicht,

Obwohl er jetzt bloß ein Stück Waare war,

Hielt doch sich stramm, zum mindsten sein Gesicht.

Er sah ganz tapfer aus, vergnügt sogar,

Und etwas Laun' und Grazie fehlt' ihm nicht;

Er war gefaßter als das ganze Corps,

Weit mehr als Prima Donna und Tenor.


82.

Kurz meldet' er ihr trauriges Geschick:

»Seht, unser Machiavel von Impresario

Rief hinter einem Cap 'ne fremde Brig

Durch Zeichen an; Corpo di Caio Mario!

Wir waren transportirt im Augenblick

Ohn' einen einz'gen Scudo vom Salario;

Indessen, wenn der Sultan für Gesang

Nur Sinn hat, dann ist mir für uns nicht bang.


83.

Die Prima Donna freilich altert schon, –

Zu flott gelebt, – pflegt oft verschnupft zu sein,

Wann's leer ist, – aber mancher hübsche Ton.

Dann des Tenors Gemahlin: Stimme klein,

Dagegen niedlich, sauber von Person.

Vergangnen Carneval, das gab ein Schrein,

Als sie den Grafen Cesare Cicogna

Der alten Fürstin wegfischt' in Bologna.
[193]

84.

Sodann die Tänzerinnen: erst die Nini,

Die mehr als eine Kunst zu Gelde macht;

Dann das fidele Haus, die Pellegrini,

Der auch im Carneval das Glück gelacht;

Sie machte gut fünfhundert Stück Zecchini

Und hat sie auf der Stelle durchgebracht.

Dann die Grotesca: Gott! wie springt und fliegt sie!

Wo Männer Geist und Fleisch besitzen, siegt sie.


85.

Die Figuranten, – na, man kennt die Clique:

Ein hübsches Lärvchen trifft man dann und wann,

Der Rest ist so, daß man für die Boutique

Auf einem Jahrmarkt kaum sie brauchen kann.

Da ist ein Mädchen, steif wie eine Pike,

Indeß, sie blickt Euch so empfindsam an, –

Die würde ziehn! sie tanzt nur gar zu schlicht;

's ist Schad' um die Figur und ums Gesicht.


86.

Die Männer sind nur Mittelmäßigkeiten,

Der Musico ein alt zersprungen Becken,

Er hat indeß zwiefache Fähigkeiten,

Er kann die Nas' in das Seraglio stecken

Und die Lakaienlaufbahn dort beschreiten.

Sein Singen kann mir kein Vertraun erwecken;

Von Allen, die der Papst per Jahr neutral macht,

Sind Drei kaum, die zu hören keine Qual macht.


87.

Der Tenorist, ist ein gezierter Fant,

Und o, der Baß! die Bestie kann nur schrein,

Von Schule keine Spur, ein Ignorant,

Geschmacklos, taktlos, stimmlos, ganz gemein;

Die Prima Donna ist mit ihm verwandt

Und schwor, er singe markig, voll und rein;

So ward er engagirt. Die Stimme klingt,

Wie wenn ein Esel eine Arie singt.
[194]

88.

Mich selbst zu loben, stünde mir nicht an.

Ihr seid noch jung, jedoch ein Cavalier,

Der weit gereist ist, wie man merken kann;

Ihr kennt die Oper? – freilich! – hörtet Ihr

Von Raucocanti? – Nun, ich bin der Mann!

Zuhören, Herr, zuhören müßt Ihr mir!

Wart Ihr zur letzten Mess' in Lugo? – Nein?

Ich singe nächstes Jahr dort. Stellt Euch ein.


89.

Vom Bariton hab' ich noch nichts gesagt:

Ein hübscher Mensch, – er platzt vor Eitelkeit.

Mit Studien hat er niemals sich geplagt,

Die Stimm' ist ohne Umfang, und er schreit;

Ein Narr, der immer sein Geschick beklagt,

Und mancher Orgelmann ist ganz so weit.

Er zeigt in jeder großen Liebesscene,

Da er kein Herz zu zeigen hat, die Zähne.«


90.

Die Rede Raucocanti's floß nicht weiter,

Die Wache kam, die leider sehr genau war,

Und brachte sie hinab die finstre Leiter.

Noch einmal, ehe wieder alles grau war,

Sahn traurig sie zurück aufs Meer, das heiter

Und unter blauem Himmel doppelt blau war

Und in der Sonne tanzte frei und munter;

Dann stiegen sie ins Zwischendeck hinunter.


91.

Am nächsten Morgen in den Dardanellen,

(Wo man auf jenen mächt'gen Talisman,

Den »Firman«, wartet, welchen zu bestellen

Ein Jeder gern vermeidet, wenn er kann,)

Schloß man die Sklaven fest in ihren Zellen,

Paarweise, Dam' und Dame, Mann und Mann;

So sollten sie, gesondert in Partien,

Constantinopels Sklavenmarkt beziehn.
[195]

92.

Da zeigte sich bei näherem Examen,

Daß eine Dam' und auch ein Herr zu viel sei,

So daß die Leut' in Streit und Zweifel kamen,

Ob der Soprano eigentlich viril sei.

Man macht' ihn schließlich zum Profoß der Damen

Und paart' – als ob der Teufel selbst im Spiel sei, –

Juan zusammen (mißliche Geschichte!)

Mit einem hübsch-bacchantischen Gesichte.


93.

Tenor und Buffo, ach, ein Strick umschloß!

Sie haßten sich, wie nur die Bühne haßt,

Und der gesangeskundige Genoß

War jedem schmerzlicher als seine Last,

So daß die Galle beiden überfloß,

Und statt zu dulden friedlich und gefaßt,

Zerrten sie sich zu gegenseit'gem Leide,

»Arcades ambo,« – id est Lumpe beide.


94.

Juans Genossin war vom Romagnolen-

Geschlecht und aus der Schule von Ancona,

Mit Augen, die schon manches Herz gestohlen,

(Und andren Stücken einer bella donna,)

Hell und dabei so schwarz und heiß wie Kohlen!

Das Streben zu gefallen trat euch so nah

Aus diesem Lächeln, – was ein hübscher Zug ist,

Zumal, wenn bei dem Wunsch auch Macht genug ist.


95.

Hier war die Macht umsonst, denn immer wieder

Hielt Trauer seine Sinn' in Zaum und Band;

Ihr Auge lacht', er schlug die Augen nieder,

Und wenn auch, so gekettet, ihre Hand

An seine streifte, nicht die schönsten Glieder

(Und ihre machten schwer den Widerstand,)

Vermochten Gram und Treue zu besiegen, –

Es mocht' auch etwas an den Wunden liegen.
[196]

96.

Gleichviel, – Motiv' erforschen macht Verdruß,

Doch wahr bleibt wahr: kein Ritter je war treuer,

Und das kann ich beweisen, wenn ich muß.

Ihr wißt, daß »man nicht mit den Händen Feuer

Anfassen kann, weil man den Kaukasus,

Den frostigen, sich denkt;« das Abenteuer

Juans war keine leichtre Feuerprobe,

Und er bestand sie mit dem größten Lobe.


97.

Ich habe solche Proben selbst bestanden

Und könnte schildern, wie es damit war,

Ich hör' indessen, viele Leser fanden

Die ersten zwei Gesänge viel zu wahr;

Drum soll Juan so rasch wie möglich landen,

Weil mein Verleger schreibt, ein Dromedar

Passir' ein Nadelöhr auf leichtre Weise

Als dieses Epos in solide Kreise.


98.

Mir ist es gleich. Lest, Theure, was ihr wollet;

Ihr mögt die tugendhaften Bücher lieben,

Als Fielding, Prior, Ariost und Smollet,

Die tolles Zeug für keusche Leser schrieben.

Einst war ich flink, wann ihr mit mir gegrollet,

Im Federkrieg mit meinen Geißelhieben;

Ich weiß die Zeit, wo ich der Heuchelei

Erwidert hätte, – was jetzt ferne sei.


99.

Als Knabe ging ich gern dem Feind zu Leibe,

Jetzt bin ich für den Frieden mehr gestimmt,

Daher ich fern vom Schreiberpöbel bleibe.

Ob meiner Verse Ruhm und Glanz verglimmt,

Eh' diese Hand erlahmt, mit der ich schreibe,

Ob er Jahrhunderte in Pachtung nimmt,

Das Gras auf meiner Gruft wächst just so lang

Und seufzt zum Nachtwind, schwerlich zum Gesang.
[197]

100.

Bei Dichtern, die trotz fremder Zung' und Zeit,

Schooßkinder Fama's, auf die Enkel kamen,

Da ist das Leben selbst nur Kleinigkeit:

Zeitalter sammeln sich um einen Namen,

Und wie ein Schneeball rollt er und entleiht

Wachsthum von jeder Flocke, ohn' Erlahmen,

Und wird so groß wie Eisberg' in der See

Und ist doch schließlich nichts als kalter Schnee.


101.

Ein Nam' ist nur ein nominelles Gut,

Ruhmsucht ist Wollust ohne Gegenstand,

Die jeden überfällt mit ihrer Wut,

Der seinen Staub gleichsam auf sichres Land

Zu retten sucht aus jener weiten Flut,

In welcher alles schwindet oder schwand:

Ich hört' am Grab Achills, an Helle's Strom,

Troja sei Nichts! – die Zukunft leugnet Rom.


102.

Die Todten selber sind des Todes Raub;

Grab folgt auf Grab, bis eine ganze Zeit,

Begraben unter ihrem welken Laub,

Versinkt in ewige Vergessenheit.

Was gestern Denkmal war, ist morgen Staub;

Nur wen'ge ragen aus der Dunkelheit,

Mo Myriaden einst benamter Wesen,

Nun namenlos, nicht einmal mehr verwesen.


103.

Ich trabe täglich über das Revier,

Das einst den Heldenknaben fallen sah,

Der für die Welt zu spät, für Ruhmbegier

Zu frühe starb, den tapferen de Foix;

Ein Säulenstumpf, nicht ohne Würd' und Zier,

Verwahrlost aber und dem Sturze nah,

Erzählt noch von Ravenna's blut'gem Feld,

Indeß den Sockel Kraut und Kot entstellt.
[198]

104.

Ich wandle oft, wo Dante's Asche ruht;

Ein klein Gewölbe, zierlich, nicht erhaben,

Schirmt sein Gebein; doch Ehrfurcht zollt Tribut

Dem Sänger, nicht dem ritterlichen Knaben:

Einst kömmt der Tag, da wird dieselbe Flut

Feldherrntrophä' und Dichterwerk begraben,

Die Flut, die Ruhm und Lieder einst verschlang,

Eh' der Pelide starb, Homeros sang.


105.

Blut floß, um jene Säule aufzumauern,

Kot starrt, um jene Säule zu entweihn,

Als wolle so der grobe Hohn der Bauern

Brandmarken den verhaßten Siegesstein.

Das sind Trophä'n! – so laßt uns immer trauern

Um jeden Bluthund, welcher Qual und Pein,

Wie Dante sie nur in der Hölle fand,

Auf Erden sät mit mordbegier'ger Hand.


106.

Doch immer giebt es Dichter. Ruhm ist Rauch,

Ja, aber Weihrauch für die Phantasie,

Und jene Unruh', die zuerst den Hauch

Der Lieder weckte, ruht auf Erden nie.

Wie tiefe See am Strand, so brandet auch

Die Leidenschaft dahin in Poesie,

Die auch nur Leidenschaft auf ihre Art

Ist – oder war, bevor sie Mode ward.


107.

Wenn im Verlauf solch eines Lebens, das

Zugleich beschaulich und in Kampf verrinnt,

Berührt von Weh und Wonne, Lieb' und Haß,

Ein Mann die tiefe, herbe Kraft gewinnt,

Ihr Bild zu zeigen wie im Spiegelglas,

In Farben, die so frisch wie Leben sind,

So könnt ihr sagen: zeig' die Bilder nicht,

Doch dann verderbt ihr euch ein hübsch Gedicht
[199]

108.

O ihr, die ihr das Glück der Bücher macht

Und Ruhm verleiht durch lächelnde Gesichter,

Erklärt mich Aermsten nicht in eure Acht,

Wohlwollende azurne schöne Richter!

Wie? weiht der Garkoch mich der ew'gen Nacht,

Der Stranddieb der auf Strand geratnen Dichter?

Von allen Harfnern soll nur ich allein

Verbannt vom Thee der Hippokrene sein?


109.

Was? bin ich nicht mehr Löwe wie zuvor,

Ein Ballsaal-Sänger und fetirtes Schätzchen,

Mit Lob erstickt von einem Narrenchor,

Seufzend »ich kann nicht 'raus!« wie Yoricks Mätzchen?

Wohlan, dann schwör' ich auch, wie Wordy schwor,

(Der knurrt, weil er verkannt wird von den Jetz'gen,)

Daß kein Geschmack mehr hersch' und der Triumph

Ein Lotto sei, beherscht vom »blauen Strumpf«.


110.

»O dunkles, tiefes, wunderschönes Blau!«

Singt irgendwer vom Himmel irgendwo,

Und ich von jeder buchgelehrten Frau;

Man sagt ja, ihre Strümpfe seien so,

(Gott weiß warum, ich sah sie nie genau,)

Blau wie das Knieband, das sich stolz und froh

Ums Grafenbein schmiegt, wann es das Lever

Am Morgen ziert und Nachts die Soirée.


111.

Wie manche Blau' ist mein Idol gewesen!

Sie lasen mich in schönen, alten Zeiten,

Und ich hab' ihre Züge oft gelesen,

Und – – aber still! dies sind Vergangenheiten.

Ich hasse keineswegs gelehrtes Wesen,

Manchmal bedeckt es tausend Trefflichkeiten:

Ich kannt' ein Weib mit diesem Veilchenschimmer,

Keusch, treu, bezaubernd, – nur verschroben immer.
[200]

112.

Humboldt, »der erste Reisende,« (nicht mehr

Der letzte nach den neusten Zeitungsspalten,)

Erfand – (der Name war mir gar zu schwer,

Und auch das Datum hab' ich nicht behalten,)

Ein luftig Instrument, mit welchem er

Den Dunstkreis untersucht und sein Verhalten

Durch Messung der »Intensität des Blaus«, –

O Lady Daphne! mäß' ich dich so aus!


113.

Jedoch zum Text. Das Fahrzeug des Corsaren

Mit seiner vollen Menschenfracht an Bord,

Wir sehn es nach dem üblichen Verfahren

Vor Anker, beim Serail, im sichren Port.

Die Ladung ward, da Alle pestfrei waren,

Am Markt gelandet, und sie wurde dort

Mit Russen, Nubiern, Circassiern, Heiden

Verkauft für sehr verschiedne Zweck' und Leiden.


114.

Und welche Preise! Funfzehnhundert Thaler

Für ein circassisch Mädchen, – süße Dirne,

Verbürgte Jungfrau, – Amor selbst, der Maler,

Malt' ihr ins Antlitz Himmel und Gestirne.

Beim zwölften Hundert schlichen manche Prahler

Betrübt nach Haus mit krausgezogner Stirne;

Sie wußten, als die Preise höher stiegen,

Daß dieses für den Sultan sei, und schwiegen.


115.

Zwölf Nubierinnen brachten Summen ein,

Die das westindische Geschäft nicht kennt;

Jetzt sollen dort die Preise doppelt sein,

Dank Wilberforce und unserm Parlament;

Der Grund ist klar: das Laster insgemein

Ist noch splendider als ein Prinz Regent;

Die Tugenden, selbst Nächstenliebe, sparen,

Die Laster nie bei ihren Lieblingswaaren.
[201]

116.

Wie Juden und Veziere sie erstanden,

Wie Einige im weiteren Verlaufe

Frohndienst zu leisten sich genötigt fanden,

Und Andre durch Verleugnung ihrer Taufe

Aufrückten; wie die Weiblein zitternd standen,

Hoffend, daß sie kein alter Pascha kaufe,

Wie Jede abging, was dann ward aus ihr,

Magd, Opfer oder Gattin Nummer vier,


117.

Dies spar' ich auf für ferneren Gesang,

Auch unsers Helden Loos, so leid mir's thut,

Sonst wird mir dieser Canto gar zu lang.

Ich weiß ja, Ueberfülle thut nicht gut,

Indeß es war die Muse, die mich zwang

Nicht weniger zu laden, als ich lud;

Und jetzt verlass' ich meinen Freund Don Juan

Bis (wie es Ossian nennt) zum fünften Duan.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 5, S. 169-170,173-202.
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