Fünfter Gesang.

1.

Wenn schmeichlerisch und süß wie Honigseim

Verliebter Dichter seine Liebe singt

Und an einander kettet Reim an Reim,

Wie Venus in ihr Joch die Täubchen zwingt,

Dann keimt in seinem Lied des Unheils Keim,

Und desto mehr, je besser es gelingt;

Das lehrt Ovid und du, Pertrark, nicht minder,

Platon'scher Kuppler aller Kindeskinder!


2.

Darum verdamm' ich solch verliebtes Dichten,

Falls es nicht jedes Reizes ganz entbehrt

Und schlicht und kurz ist und pikant mit nichten

Und weniger bezaubert als belehrt

Und die Moral verknüpft mit den Geschichten

Und jeder Leidenschaft den Krieg erklärt;

Mein Pegasus, wenn er nur gut im Gang ist,

Soll zeigen, was moralischer Gesang ist.


3.

Europa's Küst' und Asiens Strand, umher

Von Schlössern schimmernd, auf dem Oceanstrom

Dreidecker, hochaufragend aus dem Meer,

Sophia mit dem goldnen Kuppeldom,

Cypressenwald, Olympus grau und hehr,

Und die »zwölf Inseln« – blendendes Phantom!

Genau derselbe Anblick, welchen du

Schön fandest, schöne Mary Montagu!
[206]

4.

Mary! ein Name, der mir sehr gefällt!

Bei welchem einst mein Herz bezaubert pochte!

Und noch erweckt er halb die Elfenwelt,

Darin ich sah, was nie geschehen mochte

Gefühle wandeln sich, doch dies behält

Die alte Macht, die einst mich unterjochte ...

Ich werde weich und lasse mein Gedicht

Kalt werden, das nicht gern pathetisch spricht.


5.

Der Wind flog vom Euxinus her, und Seen

Brandeten an den blauen Symplegaden.

Großartig ist's vom »Riesengrab« gesehn,

Wie diese Fluten zwischen den Gestaden

Des Bosporus, indeß wir trocken stehn,

Europa hier, dort Asien peitschend baden;

Kein Meer, in das je Passagiere spien,

Rollt solche tolle Seen wie der Euxin.


6.

Der Tag war rauh, der dunkle Herbst begann,

Wo Tag und Nacht gleich sind, (gleich wenig wert;)

Da kürzt die Parze manchem Schiffersmann

Den Lebensfaden; auf den Wassern gährt

Der Sturm, und Reue wandelt jeden an,

Der über die gewalt'ge Tiefe fährt,

Und Buße schwört er, – Buße wird indessen

Im Meer unmöglich und am Land vergessen.


7.

Ein Hauf' erfrorner Sklaven aller Lande,

Mann, Weib und Kind stand auf dem Markt gereiht;

Die Aermsten! ach, sie waren schlecht im Stande,

Verhärmt und kümmerlich vor Traurigkeit,

So fern von Freunden, Freiheit, Heimatstrande!

Und philosophische Gelassenheit

Schien höchstens bei den Negern sich zu finden,

Die dran gewöhnt sind, wie die Aal' ans Schinden.
[207]

8.

Juan war jugendlich und folglich reich,

Wie junge Leute sind, an Trost und Mut;

Gleichwohl erschien er heut ein Bischen bleich

Und auch sein Aug' ein wenig naß. Das Blut,

Das er verlor, macht' ihn vermutlich weich,

Und außerdem verlor er Hab' und Gut,

Ein Liebchen und den allerschönsten Hausstand

Und war ein Sklav, der auf dem Markt zur Schau stand,


9.

Das war für Stoiker mehr als genug.

Indeß, im Ganzen blickt' er frisch und frei;

Sein Aeußres und der Anzug, den er trug,

Mit ein'gen Resten goldner Stickerei,

Zog alle Augen auf ihn. Jeder Zug

Verriet, daß er etwas Apartes sei,

Und dann, er war, obwohl noch blaß, so niedlich,

Und dann, wenn er sich freikauft, wie profitlich!


10.

Der Platz war scheckig wie ein Dambrett-Tisch

Von mancher weißen Haut und schwarzem Fell;

Nur war es kein so regulär Gemisch:

Die Einen kauften »Schwarz«, die Andren »Hell«.

Ein Mann von Dreißigen, gesund und frisch,

Stand in der Meng', ein stämmiger Gesell,

Im dunklen grauen Aug' entschlossnen Mut,

Dicht bei Juan; auch er war Kaufmannsgut.


11.

Er hatt' ein englisch Aeußeres, und zwar

Vierschröt'gen Wuchs, die Farben rot und weiß,

Gesunde Zähne, krauses braunes Haar,

Die Stirne offen, wenn sie auch von Fleiß,

Sorg' oder Rechnen etwas streifig war.

Und also stand er in dem bunten Kreis,

Mit einem Arm in blutbefleckter Binde,

Als ob er alles ganz natürlich finde.
[208]

12.

Indeß, als er den jungen Burschen sah, –

(Er merkte gleich, der Jung' ist ganz famos,

Obwohl durch allerlei, was ihm geschah,

Etwas gedrückt,) – das gab ihm einen Stoß.

Das Schicksal dieses Knaben ging ihm nah,

Er fühlt' ein rauhes Mitleid für ein Loos,

Das er für sich nicht schlimmer estimirte

Als jedes andre Pech, das ihm passirte.


13.

»Mein Junge,« sprach er, »in dem Mischmasch hier,

Georgier, Russen, Nubier, und was nicht,

In diesem Lumpenpack, mit welchem wir

Aus einem Topfe ziehn, ist kein Gesicht

Von einem Gentleman als ich und Ihr.

Wir müssen Freunde sein, 's ist unsre Pflicht.

Es wär' mir lieb, wenn ich im Stande wär'

Euch irgend beizustehn. Wo seid ihr her?«


14.

»Aus Spanien.« – »Na, daß dies kein Grieche sei,«

Versetzte jener, »hab' ich gleich gedacht;

Die feigen Hunde blicken nicht so frei.

Das Schicksal hat's ein Bischen grob gemacht,

Doch das ist seine Art so. Einerlei,

Es kann sich wieder wenden über Nacht.

Mir hat es nicht viel besser mitgespielt,

Nur daß ich es für nichts Besondres hielt.«


15.

Darauf Juan: »Darf man die Frage wagen,

Was Euch hieher gebracht?« – »O, nichts sehr Rares,

Sechs Türken und ein Tau.« – »Ich wollte fragen,

Die Ursach eures Misgeschicks, was war es?« –

»Ich habe Rußlands Uniform getragen

Seit ungefähr der Mitte dieses Jahres,

Bin mit Suwaroff vor Widdin gekommen

Und, statt den Platz zu nehmen, selbst genommen.« –
[209]

16.

»Habt Ihr nicht Freunde?« – »Hatte sie. Zur Zeit

Plagt, Gott sei Lob und Dank, mich keiner. Nun

Gab ich auf alle Fragen Euch Bescheid,

Ihr Eurerseits könnt jetzt desgleichen thun.« –

»Ach,« sprach Juan, »es wär' nur Herzeleid

Und lang dazu.« – »Dann laßt es lieber ruhn,

Ihr habt zwei gute Gründe still zu sein:

Traurig und lang, das ist zwiefache Pein.«


17.

»Doch nicht verzagt! die Welt ist nicht so grau.

Fortuna zwar ist nicht ganz ächt von Farbe,

Indeß, sie ist ja auch nicht Eure Frau.

Sie schlägt die Wunde, aber heilt die Narbe.

Nur bietet Ihr nicht Trotz! das wär' genau,

Als böte einer Sense Trotz die Garbe.

Wir sind des Zufalls Spielball, wenn's auch Vielen

Vorkömmt, als ob sie mit dem Zufall spielen.« –


18.

Juan versetzt': »Ich traure nicht um mich,

Um Andre, um ein theures Mädchen, das ...«

Er schwieg, sein dunkles Aug' umwölkte sich,

Und von der Wimper hing es hell und naß,

Bis eine Thrän' auf seine Wange schlich.

»Es ist nicht dieses heut'ge Schicksal, was

Ich so beklag', – ich habe Not ertragen,

Der auch die Stärksten jämmerlich erlagen,


19.

Auf rauher See. Doch dieser Schlag ...« Und hier

Stockt' er aufs neu' und wandte sich zur Seite.

»Ja, ja,« begann sein Freund, »ich dacht' es mir,

Daß eine Dam' euch diesen Schmerz bereite.

Ihr habt ganz Recht, weiht ein'ge Thränen ihr,

Wie ich sie selbst an eurer Stelle weihte.

Ich weint', als meine erste Frau entschlief,

Und auch als meine zweite mir entlief.«
[210]

20.

»Der Dritten ...« – »Eure Dritte?« rief Juan;

»Ihr seid doch höchstens dreißig; habt Ihr drei?« –

»Nein, jetzt nur zwei am Leben noch. Und dann,

Daß jemand drei verschiedne Damen frei',

Ist sicher nichts, was Euch befremden kann.« –

»Gut, Eure Dritte denn, was war dabei;

Ist sie Euch auch entlaufen? sagt es mir.«

»O nein!« – »Nun also?« – »Ich lief weg von ihr.« –


21.

»Ihr nehmt die Dinge sehr gelassen.« – »Ei,

Was soll man thun? In Eurem Himmel sind

Noch Regenbogen; meine sind vorbei.

Wir alle kommen, wann die Welt beginnt,

Mit warmem Herzen, kühner Schwärmerei,

Jedoch die Zeit macht bald den Schimmer blind,

Und jeder Wahn wirft auf dem Lebensgange

Die bunte Haut bei Seite, wie die Schlange.«


22.

»Zwar wird er eine neue Haut erhalten,

Auch bunt und frisch; doch, wann das Jahr vollbracht,

So geht die neue Haut den Weg der alten;

Zuweilen altert sie schon über Nacht.

Erst pflegt die Lieb' ihr Fallnetz zu entfalten,

Dann leimen Ehrsucht, Habgier, Rache, Macht

Die blanke Leimrut' unsrer spätren Zeiten,

Wo wir nach Geld und Ruhm die Flügel breiten. –«


23.

»Das alles ist recht schön, vielleicht auch wahr,«

Versetzte Don Juan; »nur, was es mir

Und Euch viel nützen kann, ist mir nicht klar.« –

»Nicht?« sprach der Andere. »Erst gewinnen wir

Den rechten Standpunkt, später offenbar

Auch mehr Erkenntniß. So zum Beispiel hier:

Ihr lernt, was Sklaverei ist, und wir werden

Dadurch vielleicht einst bessre Herrn auf Erden.« –
[211]

24.

»Wär' ich nur Herr! um an der Heidenbrut

Die Früchte ihrer Lehren zu probiren!«

Knirschte Juan und seufzte tief vor Wut;

»Gott steh' den Schülern bei, die hier studiren!« –

Der Andre drauf: »Vielleicht geht alles gut.

Wer weiß, ob wir nicht nächstens hier regieren?

(Wen sucht der alte Schwarz' in unsrem Haufen?

Ich wünsche sehr, es möcht' uns jemand kaufen.)«


25.

»Was klagen wir? Es geht uns beiden schlecht, –

Als ob es andern Menschen besser ginge.

Fast jeder Mensch ist irgendwie ein Knecht

Der Leidenschaften oder andrer Dinge.

Die Welt, statt Lieb' in uns zu nähren, schwächt

Das Bischen Liebe, das ich mit mir bringe.

Die wahre Weltweisheit lehrt allerwärts:

Fühlt nicht für Andre! lebt, doch ohne Herz!« –


26.

Hier trat heran ein alter schwarzer Wicht

Dritten Geschlechts und prüfte sie mit schlauer,

Sachkund'ger Mien', ihr Alter und Gesicht,

Als woll' er sehn, wer für sein Vogelbauer

Sich eignen möge. Ein Verliebter nicht

Beäugelt seine Dame je genauer,

Kein Roßkamm Gäule und kein Schneider Kunden,

Kein Anwalt Sporteln, Schließer Vagabunden,


27.

Als Sklavenkäufer eine Menschenfracht.

Mitmenschen einzukaufen ist vergnüglich,

Und kaufen könnt ihr Alle, – gebt nur Acht,

Was ihre Schwächen sind, und handelt klüglich, –

Um Schönheit, Lorbern, um den Glanz der Macht,

Um Amt und Würden, aber ganz vorzüglich

Um bares Geld. Für jeden giebt's ein Pflaster,

Püff' oder Purpur, je nach seinem Laster.
[212]

28.

Der Schwarze bot nach langem Untersuchen

Auf Einen erst, dann sollten's Beide sein;

Nun gab es zwischen Kaufmann und Eunuchen

Ein Keifen, Zanken, Feilschen, Fluchen, Schrein, –

Ja Fluchen auch, ganz so wie Christen fluchen,

Wann sie um Ochsen dingen, Schaf und Schwein.

Ihr Handeln hörte wie 'ne Schlacht sich an

Um dies erlesne menschliche Gespann.


29.

Allmählich ward das Schreien zum Gebrumm,

Unwill'ge Beutel wurden vorgezogen,

Ein jedes Silberstück ward um und um

Gedreht und hingeworfen und gewogen,

Zechin' und Para taumelten herum,

Bis Beide sahn, sie wurden nicht betrogen;

Dann gab der Kaufmann kleines Geld heraus

Und schrieb »quittirt« und ging zu Tisch nach Haus.


30.

Wie ist sein Appetit? das möcht' ich wissen;

Und zweitens wüßt' ich gern, verdaut er gut?

Ob nicht sein bessres Ich bei jedem Bissen

Curiose Zweifel weckt und Fragen thut?

Was sagt zu solchem Handel das Gewissen?

Wann man gespeist hat und beladen ruht,

Dann, find' ich, kömmt die allergrauste Stunde

Der trüben vierundzwanzigstünd'gen Runde.


31.

Voltaire sagt Nein. Candide meint, das Leben

Sei noch am leidlichsten nach Tisch. Er irrt.

Anfüllung wird nur mehr Empfindung geben,

Falls man kein Schwein ist oder Säufer wird;

Ja, Trinken wird den Druck des Hirnes heben,

So lang das Hirn in wüstem Taumel schwirrt;

Vom Essen denk' ich so wie jener Held,

Dem ein Papa misfiel und eine Welt.
[213]

32.

Wie Alexander denk' ich, dieser Act

Des Essens, nebst noch einem oder zwein,

Zeigt unsre Sterblichkeit recht grell und nackt.

Wenn Suppe, Fleisch und Fisch, grob oder fein,

Wenn Dinge, die man kocht und brät und backt,

Uns Freude machen können oder Pein,

Wer pocht da auf den Geist noch, dessen Kräfte

So sehr bedingt sind durch des Magens Säfte?


33.

Vergangnen Freitag Abend, – gebet Acht,

Was ich euch jetzt erzähl', ist kein Roman; –

Man hatte mir den Ueberrock gebracht,

Ich nahm den Hut und zog die Handschuh' an;

Da fiel ein Schuß! – die Uhr war eben acht.

Ich lief hinab, so schnell ich laufen kann,

Und fand den Obersten der Garnison

Am Boden hingestreckt und röchelnd schon.


34.

Der arme Mann! Aus irgend einem Hasse

Hatten sie mit fünf Kugeln ihn erschossen

Und ließen ihn verenden auf der Gasse.

Ich bracht' ihn in mein Haus mit den Genossen

Und ließ ihn ausziehn, – daß ich kurz mich fasse,

Es war umsonst, sein Leben war beschlossen.

Er fiel in einer welschen Rauferei

Durch eine alte Büchs' und fünf Stück Blei.


35.

Ich schaut' ihn an, da ich ihn wohl gekannt;

So viele Todt' ich sah in meinen Tagen,

Nie sah ich einen, der solch Ende fand,

So ruhig. Ganz durchbohrt war Herz und Magen,

Doch schien er nur zu schlafen; nirgend stand

Der Tod geschrieben, seine Wunden lagen

Inwendig; draußen floß kein graus'ger Bach;

So, ihn betrachtend, dacht' ich oder sprach:
[214]

36.

Das wäre Tod? Was ist denn Tod und Leben?

»Sprich!« – doch er sprach nicht. »Wache!« – doch er schlief.

Noch gestern, wem war stolzrer Hauch gegeben?

Ihm horchten tausend Krieger, wann er rief;

Gleich jenem Hauptmann sprach auch er noch eben,

»Geh!« und er ging, »komm her!« und jeder lief.

Trompet' und Hörner schwiegen, bis er sprach, –

Jetzt folgt ihm die gedämpfte Trommel nach.


37.

Und die ihn ehrten, die gebräunten, rauhen

Gesichter drängten um sein Bett sich jetzt,

Um einmal noch den mächt'gen Staub zu schauen,

Der oft geblutet hatt' und nun zuletzt.

Und solch ein Tod! Er, der in fernen Gauen

Napoleons Feind' in wilder Jagd gehetzt,

Der vorderste beim Ausfall wie beim Sturm,

Im Straßenstaub zertreten wie ein Wurm!


38.

Die alten Narben bei den frischen Wunden,

Der Narbenschmuck, der einst ihm Ehren brachte –

Ich habe den Contrast graunhaft gefunden.

Doch still davon! dergleichen Grübeln machte

Mir ohnehin schon allzu ernste Stunden.

Ich forschte, (wie ich Leichen oft betrachte,)

Ob ich nicht irgendwas dem Tod entränge,

Was einen Glauben gründe oder sprenge;


39.

Doch es blieb Nacht. Hier sind wir, in der Zeit,

Und gehn dahin. Wohin? – Fünf Kugelscherben,

Drei, zwei, ja eine, schicken uns gar weit.

Ist denn das Blut nur da, um Erz zu färben?

Lebt jedes Element in Ewigkeit,

Luft, Feuer, Wasser, Erd', und wir nur sterben?

Wir, deren Geist das All umfaßt! – Nichts mehr,

Wir wollen forterzählen wie vorher.
[215]

40.

Sie wurden beid' in ein vergoldet Boot

Hinweg geschleppt, Juan und sein Genoß.

Fort ging es dann, als der Eunuch gebot,

So schnell nur Ruder schob und Wasser floß.

Sie saßen da, als ging es in den Tod,

Und fragten sich, was nun? – Der Nachen schoß

In eine Bucht, umfaßt von Mauerzinnen,

Mit hohen schattigen Cypressen drinnen.


41.

Hier zeigte sich ein kleines Gitterthor,

Der Führer klopft', es wurde aufgethan;

Sie schritten durch ein niedres Dickicht vor,

Durch das sie seitwärts weite Haine sahn

Und wo ihr Auge fast den Weg verlor;

Denn mittlerweile fings zu dämmern an.

Der Schwarze gab den Schiffern einen Wink;

Sie ruderten von hinnen stumm und flink.


42.

Die Andern tappten, während dies geschah,

Durch Myrten und Orangen und so fort, –

Hier läge nun zu schildern ziemlich nah,

(Weil solche Pflanzen seltner sind im Nord,)

Südländische Gewächs' et cetera,

Doch Schmierer führen heut das große Wort

Und drucken, weil sie mal im Orient waren,

Treibhäuser voll von solchen grünen Waaren.


43.

Als sie so weiter suchten ihre Bahn,

Da fiel Juan ein Plan ein, welchen er

Dem Andren zuraunt', – übrigens ein Plan,

Der wohl den Meisten eingefallen wär'.

»Den Schlag zu schlagen,« fing er flüsternd an,

»Für unsre Freiheit wäre jetzt nicht schwer:

Wir geben diesem alten schwarzen Gimpel

Eins auf den Kopf und fliehn, – die Sach' ist simpel.« –
[216]

44.

»Ja,« sprach sein Freund, »und dann? – Entfliehen? Wo?

Ihr wollt hinaus? Wie kamt ihr denn herein?

Und wenn Ihr, heiler als Sanct Bartolo,

Auch draußen wärt, der Nutzen wäre klein

Ihr säßet morgen wieder im Cachot

Und wäret schlimmer dran als heute. Nein,

Mich hungert, und ich würde selbst jetzt eben

Wie Esau Erstgeburt für Beefsteak geben.«


45.

»Wir müssen nah bei andern Leuten sein;

Der alte Neger ginge mit zwei Sklaven

Sonst nicht auf so vertracktem Weg allein.

Er weiß, daß seine Freunde noch nicht schlafen;

Sie sind zur Hand, er brauchte nur zu schrein.

Erst zusehn, eh' man springt! – Gott soll mich strafen,

Was giebt es da? – seht Ihr? wir sind zur Stelle:

Ein nobles Schloß, bei Gott! und kerzenhelle!«


46.

Und in der That, ein weiter Bau entrollt

Vor ihren Blicken sich, und die Façade

Scheint überdeckt von Farbenglanz und Gold,

Ein Bischen allzu bunt; die Türken grade

Sind ungeschickt in Künsten, die so hold

Vor Zeiten blühten just an dem Gestade;

Am Bosporus sieht so ein türkisch Landhaus

Wie eine frische getünchte span'sche Wand aus.


47.

Ein süßer Duft, der in den Lüften schwimmt,

Von Braten und von Pilav und Ragout,

(Was immer Hungrige zur Sanftmut stimmt,)

Bringt auch den blut'gen Plan Juans zur Ruh'.

Seltsam, wie gut er sich zusammennimmt!

Sein Freund fügt einen neuen Trost hinzu;

»Nur erst zu Abend essen! Wollt ihr dann

Euch raufen, gut, so bin ich Euer Mann.«
[217]

48.

Die Leute reden viel von Appelliren

An Leidenschaft und Herz und auch Verstand,

(Das Letztre selten, weil das Raisonniren

Nicht raisonnable ist;) der Appellant

Winselt entweder oder spricht Satiren,

Doch sind sie all' entsetzlich ennuyant,

Ein jeder mit besondren Litanein,

Nur kurz zu sein, fällt keinem Menschen ein.


49.

Genug, von allen Appellationen, –

In Schmeichelei, in Drohungen, im Flehn,

In Gold und Schönheit mag viel Zauber wohnen;

All diese Zaubermittel aber gehn

Nicht so direct ans Herz den Millionen,

(Die sanfter werden, wie wir täglich sehn,)

Wie der gewalt'ge Klang, das süße Locken,

Das Seelen-Sturmgeläut der Tafelglocken!


50.

Der Türk' hat keine Glock', und dennoch ißt er;

Kein christlich Tischgeläut, kein Dienerschwarm

Empfing Juan, doch alles dies vermißt' er

Nicht eben schmerzlich, denn es roch so warm

Nach Bratenduft, und um des Herds Geknister

Sah man die Köche stehn mit bloßem Arm:

Er nahm von allem sehr genau Notiz

Mit dem Prophetenblick des Appetits.


51.

Und Beide folgten, alles Trotzes bar,

Wohin ihr kohlenfarb'ger Führer ging,

Der wenig ahnt', an welchem dünnen Haar

So eben noch sein Hämmlingsdasein hing.

Er klopfte an, als man am Ziele war,

Die Thüre that sich auf, und sie empfing

Ein wundervoller Saal, prachtvoll und weit,

Mit allem Pomp osman'scher Herrlichkeit.
[218]

52.

Ich will nicht schildern. Schildern ist mein Fach,

Doch jeder Narr in diesen schönen Tagen

Macht seine Tour und schildert sie hernach

Und heckt sein Quartbändlein, (ihm macht's Behagen,

Und die Verleger schreien Weh und Ach;)

Natur, gequält mit tausend neuen Plagen,

Ergiebt sich stoisch drein, Modell zu sitzen

Zu Versen, Reisebüchern, Guiden, Skizzen.


53.

In diesem Saal gekauert saßen Viele

Beim Schachspiel, das sie ernsthaft überwachten,

Und Andre plauderten (im knappsten Stile);

Noch Andre thaten schön mit schönen Trachten

Und rauchten Pfeifen mit süperbem Stiele

Und ächtem Bernstein oder nachgemachtem;

Auch schliefen Manche, Einige stolzirten

Und tranken etwas Rum, eh' sie soupirten.


54.

Als das gekaufte christliche Gespann

Hereintrat, blickten Ein'ge flüchtig auf,

Die Mehrzahl aber sah sie gar nicht an

Und ließ der Sache ruhig ihren Lauf.

Zwei oder Drei betrachteten Juan,

Wie man ein Pferd betrachtet nach dem Kauf,

Und Ein'ge nickten dem Eunuchen zu,

Jedoch mit Fragen ließ man ihn in Ruh'.


55.

Er führt sie durch den Saal, und, nirgend zaudernd,

Durch eine fernre Reihe wackrer Zimmer,

Prachtvoll, doch schweigend, – außer eins, wo plaudernd

Ein Marmorbrunnen springt im Mondenschimmer,

Und hin und wieder huscht neugierig schaudernd

Der Kopf von irgend einem Frauenzimmer

Mit schwarzem Aug' am Gitterdraht vorbei,

Als wundr' er sich, was das für Lärmen sei.
[219]

56.

Der matte Lampenglanz von hohen Decken

Zeigt ihnen ihren Weg an, aber macht

Lebendig nicht in diesen weiten Strecken

Die stolze Fülle kaiserlicher Pracht.

Wohl nichts ergreift uns so, wenn nicht mit Schrecken,

So doch mit Traurigkeit, bei Tag und Nacht,

Wie solch ein Riesensaal, wo kein Gesicht

Den todten Prunk des Ganzen unterbricht.


57.

Ein Mensch verschwindet, drei sehn winzig aus.

Wald, Wüste, Volksgewühl, der Strand der See,

Da ist die wahre Einsamkeit zu Haus,

Da wird sie groß, da war ihr Reich von je;

Jedoch in Hallen eines weiten Baus,

Ob er modern sei, ob von Alters steh',

Weht es uns an wie Tod, wenn wir allein

Nur Einen sehn, wo Viele sollten sein.


58.

Ein netter warmer Saal in Wintertagen,

Ein Buch, ein Freund, ein Liebchen, und ein Glas

Bordeauxwein, kalte Küche, guter Magen,

Dies kömmt in England Abends wohl zu Paß,

Obgleich es nicht so prächtig, muß man sagen,

Aussieht wie ein Theatersaal bei Gas;

Ich bring' die Zeit in öden Hallen hin,

Weshalb ich auch so melancholisch bin.


59.

Durch große Bauten macht der Mensch sich klein;

Es ist recht schön für Münster, die Verkünder

Des Himmels, – die laßt stark und dauernd sein,

Bis keine Zunge nennen kann den Gründer.

Doch Riesenhäuser, Riesengräber, nein!

Die passen schlecht, seit Adam ward zum Sünder.

Vom Thurm zu Babel jene alte Märe

Lehrt's besser, als ich selbst im Stande wäre.
[220]

60.

In Babel war einst Nimrods Jagdquartier,

Ein Ort voll Gärten, Treppen, Statuen, Vasen;

Nebucadnezar auch regierte hier,

Bis er mit einem Mal anfing zu grasen;

Und Daniel zähmte dort die wilden Thier',

Zum Staunen aller, die es sahn und lasen;

Auch Pyramus und Thisbe waren Babeler,

Wie auch Semiramis, die böse Fabeler


61.

In schlechten Ruf gebracht, als wäre sie

Mit ihrem Pferde zu intim gewesen,

(Die Liebe auch hat ihre Häresie,

So wie der Glaube seine falschen Thesen;)

Die Schandgeschichte, ich erkläre sie

Durch ein Versehn beim Schreiben oder Lesen:

Man setzte »Rappe« da, wo »Knappe« stand,

(Für eine Jury wär' der Fall pikant.)


62.

Der Zweifel ist heut herschendes Princip,

Wenn aber heut noch ein ungläub'ger Mann,

Bloß weil er nicht mehr sieht, wo Babel blieb,

(Obwohl doch Claudius Rich Esq. dann und wann

Backsteine fand und Bücher drüber schrieb,)

Wenn er nicht glauben will, vielleicht nicht kann,

Was Juden, die Ungläubigen, behaupten,

An die man glaubt, wenngleich sie uns nie glaubten,


63.

Dann denk' er nur, wie kurz und schön Horaz

Die maurerische Thorheit ausdrückt, die,

Als gäb' es keinen großen Ruheplatz,

Der Baukunst weiht all ihre Energie.

Man weiß, wo alles endet; 's ist ein Satz,

Wie alle Wahrheit, voll Melancholie!

»Sepulcri immemor struis domos,«

Wir baun, anstatt ein Grab zu baun, ein Schloß
[221]

64.

Die Drei gelangten in ein still Quartier

Und riefen dort verschlafne Echo's wach;

Die Räume strotzten von der rarsten Zier,

Doch keine Seele, schien es, frug danach.

Sein Aeußerstes vollbringt der Reichthum hier,

Mit Möbeln das erlesenste Gemach

Vollpfropfend, bis, verblüfft von solchem Vorrat,

Natur sich wundert, was die Kunst denn vorhat.


65.

Dies aber führte nur zu einer Flucht

Noch weitrer Räume, welche abermals

Gott weiß wohin führt. Reich und ausgesucht

War schon das Möbel dieses Zwischensaals,

Sofa's, darauf zu sitzen fast verrucht,

Ein Teppich, der so köstlich war wie Schals,

Man fühlte Lust, anstatt darauf zu schreiten,

Gleich einem Goldfisch drüber hin zu gleiten.


66.

Die Sklaven blieben ganz geblendet stehn,

Den Schwarzen brachte nichts aus seiner Ruhe;

Er trampelte, sie schlichen auf den Zehn,'

Als ob die Milchstraß' unter ihrem Schuhe

Mit allen Sternen prang'. Im Handumdrehn

Schritt er zu einem Wandschrank oder Truhe,

Dort, in der Nische, seht ihr? bei der Thür, –

Wenn ihr nicht sehn könnt, kann ich nichts dafür.


67.

Ich wünsche mich recht deutlich auszudrücken.

Der Schwarze zog aus diesem Schranke Massen

Von Garderobe, passend für den Rücken

Des besten Muselmanns, sogar für Bassen,

Ein ganzes Sortiment von Kleidungsstücken;

Trotz dessen wollt' er sich's nicht nehmen lassen

Selbst auszusuchen, um damit die beiden

Gekauften Christen passend anzukleiden.
[222]

68.

Und diesen Anzug wählt er aus für sie;

Dem Aelteren die Tracht der Candioten, –

Ein Mantel, ungefähr bis an das Knie,

Beinkleider, welche nie zu platzen drohten,

Denn enge Hosen duldet Asien nie,

Ein Schal, vom fernen Kaschmir her entboten,

Safran-Pantoffeln, Dolch süperb und handlich

(Dies ist die türk'sche Stutzertracht bekanntlich.)


69.

Baba indeß, die alte schwarze Seele,

Fing an die ries'gen Vortheil' anzudeuten,

An denen ihnen es gewiß nicht fehle,

Wenn sie verständen Wege auszubeuten,

Die ja Fortuna sichtlich anempfehle;

Und dann, – er spreche mit vernünft'gen Leuten, –

Der beste Weg zur günstigen Entscheidung

Sei seines Dafürhaltens die Beschneidung.


70.

Ihn würd' es freun, sie beide in den Reihn

Der Gläubigen zu sehn, indessen solle

Sein Vorschlag völlig unvorgreiflich sein.

Der Andre dankte für die wundervolle

Leutseligkeit, daß man bei Lumperein

Der Art ihm eine Stimme gönnen wolle:

Man glaube nicht, wie hoch er die Gesetze

Und Sitten dieses weisen Volkes schätze.


71.

Er seines Theils sei gar nicht sehr dagegen;

Es sei ein altehrwürd'ges Institut,

Und könnt' er sich nur erst ein Bischen pflegen,

(Denn er gesteh', sein Appetit sei gut,)

So fass' er sich nach ein'gem Ueberlegen

Wahrscheinlich zu der Sache guten Mut.

»So?« rief Juan, »so etwas wollt Ihr leiden?

Mir mögen sie zuvor den Kopf beschneiden!«
[223]

72.

»Schlagt tausend Köpf' ab, ehe ...« – »Bitte, sacht!«

Versetzte jener; »Ihr seid nicht gefragt.

Ihr habt mich fast aus dem Concept gebracht.

Sir, nach dem Abendessen, wie gesagt,

Zieh' ich den Vorschlag näher in Betracht

Und werd' Euch sagen, wie er mir behagt,

Vorausgesetzt, daß Ihr die Sache dann

Noch unsrer Wahl anheimstellt, edler Mann.«


73.

Baba fixirt Juan: »Bedient Euch, bitte,«

Und deutet mit dem Finger auf ein Kleid,

In welches manche Fürstin freudig glitte.

Juan bleibt stumm; er scheint nicht sehr bereit

Zu Maskenscherz und mit gelindem Tritte

Stößt sein rechtgläub'ger Fuß den Putz beiseit;

Und als der Neger spricht: »Nur hurtig immer!«

Versetzt' er: »Freund, ich bin kein Frauenzimmer.« –


74.

»Ich weiß nicht, was Ihr seid, und frag' es nicht,«

Sagt Baba, »aber thut, was ich Euch sage,

Da uns zu Plauderein die Zeit gebricht.« –

»Gut,« sagt Juan, »erlaubt mir denn die Frage,

Wozu die Mummerei?« – Doch Baba spricht:

»Laßt Eure Neugier. Alles kömmt zu Tage

Am rechten Ort zur rechten Zeit und Stunde;

Ich darf nicht reden von dem Zweck und Grunde.« –


75.

»Dann,« ruft Juan, »eh ich es thue ...« – »Sacht!«

Versetzt der Neger; »haltet etwas Maß.

Trotz ist recht schön, nur treibt es mit Bedacht,

Sonst sollt Ihr sehn, wir lieben keinen Spaß.« –

»Was?« rief Juan, »ich soll Geschlecht und Tracht

Verleugnen?« – Aber Baba sprach und las

Die Kleider auf: »Reizt mich, so ruf' ich Leute,

Die Eur Geschlecht Euch nehmen, hier und heute.«
[224]

76.

»Ich biet' euch einen hübschen Anzug an,

Zwar Weiberzeug, doch keineswegs zum Spaße,

Ich habe meinen Grund.« – Darauf Juan:

»Mich ekelt dieser Tand in solchem Maße –«

(Dann folgten ein'ge zarte Flüch' und dann:)

»Was Teufel soll ich thun mit all der Gaze?«

So nannt' er höchst profan die feinsten Spitzen,

Wie sie nur je an Hochzeitshäubchen sitzen.


77.

Und seufzend mußt' er in die Hosen schlüpfen,

In seidne Hosen, lieblich rot wie Nelken,

Und einen jungfräulichen Gürtel knüpfen

Ums feine Hemdchen, weiß wie Milch beim Melken;

Beim Unterrock geriet er in ein Hüpfen,

An welchem – oder platt gesagt, an welkem –

(Hier zwingt der Reim mich, welcher, wie ihr wißt,

Gebieterischer als ein König ist;)


78.

An welchem oder welkem (nach Belieben)

Neuheit und Täppigkeit gleichmäßig Schuld war;

Am Ende stand er da wie vorgeschrieben,

Obwohl es eine Probe der Geduld war;

Auch half ihm Baba zupfen oder schieben,

Wann etwas fest saß oder ganz zerknullt war;

Nun quetscht' er noch die Arm' in eine Robe

Und schöpfte Luft und stand vor Baba Probe.


79.

Ein Haken blieb: sein Haar war offenbar

Nicht lang genug. Inzwischen Baba fand

So viele lange Zöpf' aus falschem Haar,

Daß bald sein Kopf in schönster Fülle stand,

Ganz so, wie dort und damals Mode war.

Um diese Zuthat schlangen sie ein Band

Von zum Ensemble passenden Juwelen,

Und dann begann das Salben und das Strählen.
[225]

80.

Und als er nun im Staat der Weiblichkeit

(Mit Hülfe ein'ger Schmink' und Lockenbrenner)

Dastand und fast aussah wie eine Maid,

Da sagte Baba schmunzelnd wie ein Kenner:

»Seht Ihr, wie herrlich ihr verwandelt seid!

Jetzt aber müßt ihr mitgehn, liebe Männer,

Das heißt die Dam'.« – Er klaschte ein'ge Mal,

Vier schwarze Sklaven stürzten in den Saal.


81.

Zum Einen sprach kopfnickend Baba: »Ihr

Folgt gütigst diesem Herrn zum Abendbrot;

Ihr würd'ge Christennonne, kommt mit mir.

Kein Zieren, bitte. Was ich mal gebot,

Das muß geschehn. Glaubt Ihr, wir gingen hier

In eine Löwengrub' und in den Tod?

Ei, dies ist ein Palast, wo die Gescheiten

Aufs Paradies sich würdig vorbereiten


82.

Die Meinen thun dir nichts, einfält'ger Wicht.« –

»Nun,« sprach Juan, »das freut mich für die Deinen,

Sonst würden sie erfahren, daß Gewicht

In diesen Armen ist, mehr als sie meinen.

Jetzt füg' ich mich, jedoch der Zauber bricht,

Wenn jemand uns für das nimmt, was wir scheinen.

Daß keine Irrungen aus euren Grillen

Entstehen, hoff' ich sehr um Euretwillen!«


83.

»Narr! komm und sieh!« sprach Baba, doch Juan

Sah sich nach seinem Freund um; sein Genosse

War etwas traurig, aber er begann

Zu lächeln über diese Fastnachtsposse.

»Lebt wohl!« so riefen sie einander an,

»Es scheint, wie sind in einem Märchenschlosse;

Der muß ein Türk' und der ein Mädchen sein

Durch dieses schwarzen Zaubrers Hexerein.«
[226]

84.

»Wir müssen scheiden,« sprach Juan, »Ade!

Und guten Appetit!« – »Ein schlimmes Spiel,«

Fuhr jener fort, »indeß, wenn wir uns je

Begegnen, so erzählen wir uns viel.

Wir müssen mit dem Schicksal jetzt in See.

Wahrt Euren Ruf! bedenkt, wie Eva fiel!« –

»O,« rief die Maid, »der Sultan kriegt mich nicht,

Bis Seine Hoheit mir die Eh' verspricht.«


85.

Und also mußten sie von dannen ziehn.

Juan mit Baba schritt von Saal zu Saal,

Durch Marmorhallen, goldne Gallerien,

Bis durch die Nacht ein riesiges Portal

Trotzig und hoch fernher zu dämmern schien,

Und süßer Duft sich durch die Lüfte stahl;

Ringsum, als träten sie in einen Dom,

War Hoheit, Schweigen, Dämmrung und Arom.


86.

Ein Riesenthor! vergoldet, bronzen, ragend,

Darauf man wundersames Bildwerk sieht, –

Ergrimmte Krieger, eine Feldschlacht schlagend,

Der Sieger spreizt sich, der Besiegte kniet,

Gefangne im Triumphzug, bang und klagend,

Im Hintergrund ein Heervolk, das entflieht, –

Ein Werk der Zeiten, eh' das zweite Rom

Mit Constantin versank im Schlachtenstrom.


87.

Der Zugang zu dem Erzportale war

Ein Saal von ungeheurer Dimension;

Zwei Zwerge saßen da, fast unsichtbar,

Zwei garst'ge Knirpse, grade wie zum Hohn

Der mächt'gen Thür, die neben diesem Paar

Aufstieg, wie Pyramiden trotzig drohn.

So prächtig war des Thors »Physiognomie«,

Man dacht' an jene kleine Wichte nie,
[227]

88.

Bis man beinah drauf trat. Dann prallte man

Entsetzt zurück und schaute sich voll Graun

Die wunderbaren kleinen Scheusal' an.

Die Farbe war nicht schwarz noch weiß noch braun,

Ein Mischmasch, den man nicht beischreiben kann, –

Ein Maler höchstens kann sich deß getraun;

Pygmäische Mißgeburten, taub' und stumme,

Monstra, erkauft um eine Monstre-Summe.


89.

Ihr Amt war, trotz der winzigen Statur,

(Denn starke Dinge thaten sie zu Zeiten,)

Das Thor zu öffnen, (welches auf der Flur

Dahinglitt, leicht wie Rogers Verse gleiten,)

Und dann und wann aus zäher Bogenschnur

Für störr'ge Pascha's Binden zu bereiten;

Zu solchen Dingen werden, wie bekannt,

In jenen Ländern Stumme meist verwandt.


90.

Sie sprachen nur durch Zeichen, welches zwar

Kaum Sprechen ist; ihr Koboldauge stierte,

Als Baba ihnen mit den Fingern klar

Macht', ihr Portal zu öffnen. Es genirte

Juan zuerst, als dieses kleine Paar

Mit scheuem Schlangenblinzeln ihn fixirte;

Es war, wann diese winz'gen Aeuglein schielten,

Als ob sie hexten oder Gift enthielten.


91.

Am Thore gab der Neger noch Juan

Verschiedne kleine Lehren guter Sitte;

»Verkürzt ein wenig,« also hob er an,

»Den etwas männlichen Elan der Schritte,

Und geht, was Euch so schwer nicht fallen kann,

Sittsam und ohne Schlenkern in der Mitte;

Laßt diese komischen Maniren draußen:

Auch könntet Ihr wohl etwas ehrbar aussehn.«
[228]

92.

»Wie Nadeln sind die Augen dieser Wachen

Und bohren sich sogar durch Unterröcke,

Und wenn sie wittern sollten, was wir machen, –

Der Bosporus fließt dort, gleich um die Ecke!

Wir beide schwämmen morgen ohne Nachen

Zum Marmora, wohl eingenäht in Säcke;

Denn diese letztre nautische Methode

Ist hier gelegentlich sehr in der Mode.«


93.

Mit diesem Trostspruch führt' er in ein Zimmer,

Das prächt'ger war als jeder andre Raum:

Ein reicher Wirrwar bildet' ein Geflimmer,

Daß euer Aug', hinein sich wagend, kaum

Etwas hinweg trug aus dem bunten Schimmer;

Es blitzte, flammte, strahlte wie ein Traum,

Ein blendend Chaos, Gold, Juwelen, Wunder,

Vermengt zu einem magnifiquen Plunder.


94.

Gold hatte mehr als Kunstsinn hier vollbracht;

Das kömmt wohl vor in türkischen Palästen;

Ich kenn' indessen sieben oder acht

Monarchensitz' in unsrem feinen Westen,

Da fand ich den Geschmack (auch ohne Pracht

Von Gold und Diamanten) nicht vom besten

Recht schlechte Statuen, Möbel, Malerein, – –

Ich habe jetzt nicht Zeit moquant zu sein.


95.

In diesem kaiserlichen Saale nun

Lag, hingegossen unterm Baldachin,

Recht nonchalant, wie Königinnen ruhn,

Lag eine Dame. Baba kniete hin;

Juan, sonst nicht gewohnt devot zu thun,

Kniet' aus Instinct und dacht' in seinem Sinn:

Was wird dies geben? während sein Gefährte

Sich krümmt' und wand, so lang die Scene währte.
[229]

96.

Die Dam' erhob sich stolz von ihrer Stelle,

Wie Venus sich erhob aus Wogenschaum;

Paphische Augen, Augen der Gazelle

Verlöschten die Juwelen rings im Raum;

Ein Arm erhob sich, weiß wie Mondenhelle,

Und winkte Baba, welcher erst den Saum

Der Purpurrobe küßt' und flüsternd dann

Hindeutet' auf den knieenden Juan.


97.

Ihr Aussehn war erhaben wie ihr Rang,

Die Sorte Schönheit, die uns überwindet

Und die zu schildern keinem noch gelang.

Malt sie euch selbst, wie ihr es passend findet,

Statt zu verlangen, daß ich breit und lang

Sie zeichnen soll. Ihr wäret all' erblindet,

Wenn ich sie treffen könnt' in allen Zügen,

Ein Glück für euch, daß Phrasen nicht genügen.


98.

Nur eins: sie prangt' in reifer Ueppigkeit,

Gereift von etwa sechsundzwanzig Maien;

Doch giebt es Formen, welche selbst die Zeit

Sich scheut mit ihrer Sichel zu entweihen.

So war Maria Stuart. Lieb' und Leid

Entzaubern zwar der Schönheit Zaubereien,

Doch Ein'ge werden niemals häßlich; so

Zum Beispiel jene Ninon de l'Enclos.


99.

Sie sprach zu ihren Zofen ein'ge Worte,

Die sie umstanden, um sie zu bedienen;

Sie trugen sämmtlich Kleider von der Sorte,

Die Baba für Juan so passend schienen;

Recht eine nymphenartige Cohorte,

Dem Chor Dianens ähnlich wie Cousinen,

Das heißt, so lange man vom Aussehn spricht, –

Für irgend etwas Weit'res bürg' ich nicht.
[230]

100.

Sie neigten sich und gingen, aber nicht

Durch jenes Thor, durch das die Beiden kamen;

Juan indeß, Erstaunen im Gesicht,

Besah sich den Salon, den wundersamen,

Der Lob und Staunen fast erzwang als Pflicht.

Lob, Staunen siegt, wann andre Ding' erlahmen,

Und ich gesteh', mir scheint nur Larifari

Das große Glück des »Nihil admirari.«


101.

»Nichts zu bewundern ist die einz'ge Art,

(Wahrheit, mein Murray, braucht der Floskeln nicht,)

Die Glück begründet oder Glück bewahrt,

(Nimm denn die Worte so, wie Creech sie spricht.)«

So schrieb Horaz, eh' ihr geboren wart,

Und so verdolmetscht Pope uns sein Gedicht

Indeß, wenn sie Bewundrung nie errungen,

Hätt' Pope gedichtet und Horaz gesungen?


102.

Die Zofen gingen, und der Schwarze nickte

Und winkte, daß Juan sich nähern solle

Und wieder knien und, so wie es sich schickte,

Den Fuß der Dame küssen. Diese Rolle

Behagt' ihm nicht, so daß er finster blickte,

Er warf sich in die Brust und sprach im Grolle,

Er bücke sich, so leid es ihm auch thue,

Vor keinem Schuh, der nicht den Papst beschuhe.


103.

Baba, von solchem Hochmut schlecht erbaut,

Drang heftig in ihn, brummt' etwas von Kette

Und Bogensennen, (aber dies nicht laut,)

Jedoch es half ihm nichts, der Junge hätte

Sich nicht gebückt vor des Propheten Braut.

Nichts in der Welt geht über Etikette,

In Königs Cabinet, in Kaisers Halle,

Beim Pferderennen, auf dem Grafschaftsballe.
[231]

104.

Wie Atlas stand er da in trotz'gem Mut,

Mit einer Welt von Worten um die Ohren;

Es kocht' in ihm das Castilianerblut

Des alten Hauses, welches ihn geboren,

Und eh' er dem zur Schande etwas thut,

Laßt tausend Dolch' ihn tausendmal durchbohren!

Als Baba merkte, daß der »Fuß« nicht stand,

Empfahl er einen Kuß auf ihre Hand.


105.

Das war ein Gütevorschlag, so ein Haus

Auf halbem Wege, wo sich Diplomaten

Begegnen mögen ohne Streit und Strauß.

Juan erklärte sich zu allen Thaten

Der Höflichkeit bereit; dies sei durchaus

Gewöhnlich und Gebrauch in andern Staaten.

So ist es noch: In Südeuropa müssen

Die Herrn die Hände ihrer Damen küssen.


106.

Er trat heran, ein Bischen mürrisch zwar,

Obwohl noch nie vornehmre, weißre Finger

Den Lippen sich zum Gruße boten dar.

Auf solchen zögert unser Mund, als bring' er

Statt eines Kusses lieber gleich ein Paar, –

Wenn jemand hieran zweifelt, so erzwing' er

Des Liebchens Hand zur Probe, – manchmal werden

Auch fremde Händ' einjähr'ge Treu' gefährden.


107.

Die Dame mustert' ihn genau und lange,

Dann hieß sie Baba gehn. Baba verschwand,

Als ob man sein Verschwinden oft verlange.

Er merkte längst schon wie die Sache stand,

Und flüsterte Juan zu: »Seid nicht bange;«

Dann seltsam lächelnd, wie ein Intrigant,

Ging er mit so zufriedenem Gesicht

Wie gute Menschen nach vollbrachter Pflicht.
[232]

108.

Er ging und plötzlich trat ein Wandel ein;

Ich weiß nicht, was die Dame wollt' und dachte –

Die helle Stirn umwölkte dunkle Pein,

Die Glut in ihre klaren Wangen brachte,

Blutrot wie Sturmgewölk im Abendschein,

Und in den großen Augen jäh erwachte

Kampf der Gefühl', ein rätselhaft Gemisch,

Wollüstig halb und halb gebieterisch.


109.

Wie weich war jede Form an diesem Weibe!

Und ihre Züge reizend wie der Satan,

Als er, vermummt in einem Cherubleibe,

Frau Eva leitete zu böser That an.

Gleichwie von Flecken rein die Sonnenscheibe,

So makellos sah sich ihr Incarnat an,

Doch irgendwo und wie schien was zu fehlen,

Als könne sie nicht geben, nur befehlen.


110.

Ein herrlich oder herrisch Etwas schnürte

In Ketten alles, was sie that, – das heißt,

Daß, wer sie sah, die Kett' am Halse spürte.

Die Wonne selber wird zur Folter meist,

Sobald ein Schein des Zwanges sie berührte;

Die Seele wenigstens ist frei, den Geist

Zwingt man umsonst, des Fleisches Trieb zu stillen;

Zuletzt behält der Geist doch seinen Willen.


111.

Hochmut lag selbst in ihres Lächelns Gruß,

Und wann sie nickte, war es kein Verneigen;

Trotz lag sogar in ihrem kleinen Fuß,

Der wie auf Nacken schritt, als woll' er zeigen,

Er kenne seinen Rang und dann zum Schluß,

Sie trug – (die Sitt' ist ihrem Volke eigen) –

In ihrem Gürtel einen Dolch, als eine

Sultansgemahlin, – Gott sei Dank, nicht meine!
[233]

112.

»Wer hört, gehorcht,« das war die Theorie

All ihrer Freund' und Diener; jeder Grille

Zu fröhnen, jeder flücht'gen Phantasie,

War ihrer Sklaven Glück, ihr eigner Wille.

Fürstlichen Bluts, fast göttlich schön war sie,

Da standen denn die Launen nimmer stille:

Wenn sie nur Christian wär', so würde ein

Perpetuum mobile erfunden sein.


113.

Was sie nur sah und wünschte, ward geschafft,

Und alles, was sie nicht sah, wenn sie dachte,

Man könnt' es sehen, ward mit aller Kraft

Gesucht und flugs gekauft, so wie man's brachte.

Was sie durch Kauf erstand, war fabelhaft,

Und fabelhaft die Mühe, die sie machte,

Doch quälte sie so reizend, daß die Damen

Ihr nichts als ihre Schönheit übel nahmen.


114.

Juan, ihr letzter Einfall, zog im Haufen,

Als er zum Markte ging, ihr Aug' auf sich.

Sie gab Befehl direct ihn anzukaufen,

Und Baba, dem an Eifer keiner glich,

Für Unfug sich die Beine abzulaufen,

Verstand dergleichen Käufe meisterlich.

Sie war nicht klug, er war es; so entstand

Juans Verkleidung, die er albern fand.


115.

Sein hübsches Antlitz kam dabei zu Statten;

Und wenn ihr fragt, ob solchen Streich zu wagen,

Des Sultans Weiber je die Keckheit hatten,

So müßt ihr lieber Sultaninnen fragen.

Selbst Kaiser sind für ihre Fraun nur Gatten,

Auch Fürsten müssen manchmal Hörner tragen,

Das wissen wir auch ohne Offenbarung

Durch Ueberlieferung und aus Erfahrung.
[234]

116.

Zur Hauptsach' aber jetzt, wonach ich steure;

Sie dachte, jetzt sei ihre Straße frei,

Und hielt die Gunst für eine ungeheure,

Wenn sie auf ihn, der ja ihr eigen sei,

Sofort den Blick der Macht und Liebe feure

Aus ihren blauen Augen und dabei

Nichts weiter sag' als nur: »Christ, kannst du lieben?«

Als ob die Wort' ihn schon zur Liebe trieben.


117.

Dies anzunehmen war so thöricht nicht,

Juan war aber so versenkt in Weh

Um Haidi's sanftes Jonisches Gesicht, –

Sein warmes Blut floß aus dem Antlitz jäh

Zurück zum Herzen, und das Rosenlicht

Der Wangen wurde blaß wie Blüthenschnee.

Dies Wort ging ihm durchs Herz wie Lanzenstich,

Er sprach nicht, sondern weinte bitterlich.


118.

Weshalb erschrak sie? Jede Dame kennt

Die Kunst, beliebig Thränen zu vergießen;

Jedoch es ist ein peinlicher Moment,

Wann Tropfen aus des Mannes Auge fließen.

Des Weibes Thräne thaut, des Mannes brennt

Wie heißes Blei, als bohre man mit Spießen

Sie aus dem Herzen, denn (um kurz zu sein)

Es ist für sie ein Trost, uns ist es Pein.


119.

Sie hätt' ihn gern getröstet, aber wie?

Sie hatte nie Gespielen, nichts auf Erden,

Was je sie angesteckt mit Sympathie;

Sie ahnte nichts von Jammer und Beschwerden,

Nur kleine flücht'ge Sorgen kannte sie,

Genug, um manchmal ärgerlich zu werden;

Sie war erstaunt, daß jemand weinen könne,

Dem sie die Nähe ihrer Augen gönne.
[235]

120.

Macht stumpfet ab, jedoch Natur macht fein,

Und wo ein stark Gefühl den Busen schwellt,

Da ist für alle sanften Schwärmerein

Ein weiblich Herz ein sehr empfänglich Feld;

Sie spenden aller Orten »Oel und Wein,«

Sie sind die Samariter dieser Welt.

So fühlt' auch jetzt Gulbeyaz etwas Feuchtes

Im Auge zittern, – neu und seltsam deucht' es.


121.

Na, alles endet mal; auch Thränen fliehn.

Juan, der eben noch dem herben Triebe

Des Grams erlag, weil eine Dame ihn

Zudringlich fragte, ob er jemals liebe,

Rief seinen Trotz zurück ins Aug', es schien,

Als ob es von den Thränen leuchtend bliebe, –

Und wenn sein Schönheitssinn auch noch so reif war,

Er fühlte sich empört, daß er nicht frei war.


122.

Gulbeyaz war zum ersten Mal verlegen;

Sie hört' in ihrem Leben früh und spät

Nur immer Bitten, Schmeichelein und Segen;

Und da sie ihren Kopf und Majestät

Aufs Spiel gesetzt, um ihn auf blum'gen Wegen

Zu gängeln in ein traulich Tête-à-Tête,

So wär's ihr Tod die Stunde zu verlieren, –

Ein Viertel war vergeudet mit dem Zieren!


123.

Vernehmt', ihr jungen Herren, meinen Rat,

Wie lang ihr zögern dürft in solchen Lagen,

Das heißt im Süden; denn im Norden hat

Man größre Muße, um sein Wild zu jagen.

Hier aber ist ein Aufschub Hochverrat;

Die allerhöchste Frist, das laßt euch sagen,

Ist zwei Minuten, um euch zu entscheiden,

Wer länger wartet, dessen Ruf wird leiden.
[236]

124.

Der Ruf Juans war gut, doch wär' er besser,

Wenn nur Haidi ihm nicht den Kopf verrückte.

Ihr Bild wie sonderbar! ward noch nicht blässer,

Was seinen feinen Ton sehr unterdrückte.

Der Dame schien es Undank, als vergess' er,

Daß sie es sei, die huldreichst ihn beglückte;

Sie wurde rot bis an die Augenlider,

Dann todtenbleich und dann wie Purpur wieder.


125.

Jetzt faßt sie seine Hand, recht souverän,

Und ihre Augen, die des Thrones nicht

Bedurften, um zu überreden, spähn

Nach Lieb' und finden nur ein kühl Gesicht.

Die Stirn wird finster, doch sie mag nicht schmähn;

Kein stolzes Weib schmäht, eh' nicht alles bricht;

Nein, sie erhebt sich, – keusche Pause, – dann

Fällt sie ihm um den Hals und hängt nun dran.


126.

Die Situation war curios,

Doch Zorn und Trauer stählten sein Gefühl.

Er wand sich aus den weißen Armen los,

Sanft, aber stark. Sie sank in ihren Pfühl,

Und er erhob sich nun, recht stolz und groß,

Und blickt' ihr ins Gesicht und sagte kühl:

»Gefangner Adler paart sich nicht. Ich bin

Kein Spielzeug einer üpp'gen Sultanin.«


127.

»Du fragst, ob ich geliebt? ermiß, wie sehr

Ich liebte, da ich dich nicht lieben kann!

Die Kunkel stimmt zu diesem Flitter mehr

Als Liebe, – Liebe ziemt nur freiem Mann.

Mich blenden nicht die Schätze rings umher,

Und wärst du auch der mächtigste Tyrann,

Kopf, Knie und Auge mag sich sklavisch neigen

Vor Thronen, – unser Herz bleibt unser eigen.«
[237]

128.

Sehr trivial! – was ich auch nicht bestreite;

Ihr aber war es neu. Sie glaubte ja,

Daß ihr geringstes Wort schon Glück bereite,

Und diese Welt sei nur für Kaiser da.

Sie wußte, glaub' ich, kaum, auf welcher Seite

Das Herz sitzt, – so der höchsten Bildung nah

Bringt Legitimität die Sprossen ächter

Zum Herscherrecht geborener Geschlechter.


129.

Und ihre Schönheit war so auserlesen,

Sie wär' in jeder Sphäre dieser Welt

Anlaß zu Herrschaft oder Zank gewesen.

Kein Wunder, wenn sie große Stücke hält

Auf einen Liebreiz, den ein reizend Wesen

Nie oder selten untern Scheffel stellt;

Ihr schien, dies geb' ein doppelt göttlich Recht,

Und dieser Schluß war nur zur Hälfe schlecht.


130.

Mal' dir, und wenn du kannst, erinnre dich,

Der du in deiner Jugend keusch geblieben,

Wann eine Wittib wütend dich bestrich

Mit Liebesfeuer und du verwarfst ihr Lieben,

Bedenke, wie sie raste! – fürchterlich!

Bedenke, was gedruckt steht und geschrieben

Hinsichtlich dieses Punkts, und wend' es dann

Auf eine junge stolze Schönheit an.


131.

Stell' dir – du hast sie dir schon vorgestellt –

Die Lady Booby vor, die Potiphar,

Phädra und alle Damen, die der Welt

Ein gutes Beispiel gaben! – (allzu rar

Sind sie in Schul' und Dichtung bloßgestellt,

Um euch zu bilden, junge Christenschaar!)

Die kannst du dir vorstellen, aber nicht

Gulbeyaz und ihr zornig Angesicht.
[238]

132.

Beraubte Löwenmutter, Tigerin,

Nebst andern interessanten wilden Thieren,

Sind Gleichnisse für den verstörten Sinn

Der Damen, die ihr zartes Spiel verlieren;

Jedoch die Stimmung meiner Sultanin

Kann solch ein Bild nur dürftig illustriren;

Wer Junge raubt, ist schlimm, doch mehr ergrimmt

Wer uns die Hoffnung, sie zu kriegen, nimmt.


133.

Die Elternliebe herscht im ganzen All,

In Tigerhöhlen wie am Entenweiher;

Nichts wetzt den Schnabel so und schärft die Krall'

Wie Angriff auf Brut, Säugling' oder Eier;

In Kinderstuben ist's der gleiche Fall,

Wie schwärmt Mama für ihre kleinen Schreier!

Die starke Wirkung lehrt, die Ursach muß

Noch stärker sein; das ist ein richt'ger Schluß.


134.

Sagt' ich, Gulbeyaz' Auge flammt' und lohte,

So sagt' ich nichts: ihr Auge flammte immer.

Sagt' ich, die Wange glüht' im tiefsten Rote,

So wär' mein Ausdruck nur ein blasser Schimmer

Der Leidenschaft, die übermenschlich drohte;

Durchkreuzte Wünsche kannte sie ja nimmer, –

Ihr kanntet Fraun in dieser Lage? wie?

Die schlimmste war ein Lämmchen gegen sie.


135.

Zum Glücke war ihr Zorn so kurz wie groß,

Sonst hätt' er sie erwürgt. Es war, als walle

Ein jäher Blitz aus einem Höllenschooß.

Nichts ist erhabner als empörte Galle,

Graunvoll zu sehn, zu schildern grandios,

Wie Ocean im Kampf mit fels'gem Walle.

Die Leidenschaften blitzten in den Mienen,

Die schön wie fleischgewordner Sturm erschienen.
[239]

136.

Wie dem Orkan gemeiner Landwind gleicht,

So glich ein Alltagszürnen ihrer Wut;

Doch war's kein Zorn, der nach dem Monde reicht,

Wie Heißsporn in dem ew'gen Drama thut, –

Ihr Grimm war minder hoch gestimmt, vielleicht

Weil sie ein Weib war und ein junges Blut;

Gleich Lear war »tödten, tödten« all ihr Sehnen,

Und dann erlosch ihr Durst nach Blut in Thränen.


137.

Wie Wetter kam's, wie Wetter flog's vorbei,

Lautlos, – denn Reden war unmöglich noch,

Und ein Gefühl, von dem sie sonst sich frei

Gehalten hatte, – Scham, – jetzt siegt' es doch

Und floß nun schnell ohn' alle Ziererei,

Wie Wasser durch ein unbemerktes Loch.

Sie fühlte sich beschämt, – Beschämung thut

Mitunter Leuten ihres Ranges gut.


138.

Es lehrt sie, daß auch sie nur Fleisch und Blut sind,

Es predigt ihnen glimpflich und gelind,

Daß andre Leute Staub, jedoch kein Schmutz sind,

Daß Urn' und Topf nur morsche Brüder sind

Und eines Töpfers Werk, schlecht oder gut, sind,

Wenn auch nicht just derselben Eltern Kind;

Es lehrt sie ... weiß der Himmel, was es lehrt,

Doch glaub' ich, daß es einzelne bekehrt.


139.

Erst riet ihr Zorn den Kopf ihm abzuschlagen,

Und zweitens dann: zerschlag' – eu'r Umgang sich;

Dann drittens: schilt sein tölpelhaft Betragen;

Dann viertens: sanft ihm ins Gewissen sprich;

Dann fünftens: eil' ihm gute Nacht zu sagen;

Dann sechstens: prügle Baba; siebtens: stich

Dich selber todt. Jedoch der Schluß war endlich,

Daß sie sich setzt' und weinte, selbstverständlich.
[240]

140.

Sie wollte sich erstechen, – das Stilett

War nur so nah zur Hand, und das genirte;

Der Dolch, wenn man recht stößt, geht durchs Corsett,

Im Orient trägt man nämlich unwattirte.

Sie wollte ihn umbringen, – ja, er hätt'

Es wohl verdient, weil er so sehr sich zierte;

Nur, wenn man ihm den Kopf herunter hiebe,

Wär' man nicht im Besitze seiner Liebe.


141.

Er war gerührt; denn er versah sich dessen

Gepfählt zu werden oder für die Hunde

Zerhackt, vielleicht von Löwen aufgefressen,

Vielleicht von Fischen auf dem Meeresgrunde.

Heroisch hatt' er sich bereits vermessen

Kein Unrecht zu begehn, – das ihm nicht munde,

Bis all sein Heldenmut und Todesstolz

Wie Schnee vor eines Weibes Thränen schmolz.


142.

Wie durch die Haut Bob Acre's Tapferkeit

Wegschwitzt, so war Juans Moral verweht:

Er dachte erst, du warst nicht recht gescheit,

Er dachte dann, es ist noch nicht zu spät.

Er fluchte seiner keuschen Albernheit,

Just wie ein Mönchlein sein Gelübde schmäht

Und eine Dam' ihr ehliches Versprechen,

(Wobei denn die Gelübde meistens brechen.)


143.

Er stottert' einige Entschuldigungen,

Doch Worte thun's in solchen Fällen nicht,

Ob man auch singt, wie Musen je gesungen,

Ob man auch süß wie süße Herren spricht,

Oder wie Castlereagh in dunklen Zungen.

Gerade zeigt' ein Lächeln im Gesicht

Der Friedenshoffnung ersten matten Schimmer,

Da trat der alte Baba rasch ins Zimmer.
[241]

144.

»Schwester des Mondes und der Sonne Braut!«

So sprach er, »und Beherscherin der Erde!

Vor deren Zorn verstummt der Sphären Laut,

Bei deren Lächeln hüpft die Sternenherde, –

Dein Sklav bringt – nicht zu früh, wie er vertraut, –

Botschaft, die deines Ohrs gewürdigt werde:

Die Sonne selbst schickt mich als ihren Strahl,

Zu melden, daß sie kömmt zu diesem Saal.«


145.

Gulbeyaz rief: »Wenn so die Sache steht,

So wollt' ich lieber, daß sie unterginge, –

Auf! rufe die Gestirne, mein Komet!

Damit der Frauen Milchstraß' uns umringe.

Und Christ, du schließ dich an, so gut es geht,

Und hoffst du Gnade für gewisse Dinge ...«

Hier unterbrach sie ein Gesumm, erst leiser,

Dann lauter, und zuletzt der Ruf »der Kaiser!«


146.

Die Zofen kamen erst, ein schmuckes Corps,

Dann folgten die Eunuchen lobesam;

Wohl zehn Minuten zogen sie durchs Thor,

Weil Seine Hoheit stets die Rücksicht nahm

Sich selber anzumelden, lang bevor

Er eintrat, vollends wann er Abends kam.

Sie war von seinen Gattinnen die letzte,

Weshalb er sie mit Fug am meisten schätzte.


147.

Der Sultan war von stattlicher Figur,

Shawl bis zur Nase, bis ans Auge Bart.

Sein Bruder starb an einer Bogenschnur,

Und aus dem Kerker, wo man ihn verwahrt,

Stieg er zum Thron und folgte treu der Spur

Der Souveräne vor ihm, jener Art,

Von der die Bücher Cantemirs vermelden;

Nur Wen'ge glichen Soliman, dem Helden.
[242]

148.

Moscheen besucht' er und Gebete sagt' er

Mit mehr als türkischer Pedanterie;

Nach den Geschäften der Regierung fragt' er

Niemals; der Großvezir besorgte die.

Er war ein Ehemann, doch kein geplagter,

Scheidungsprozesse mind'stens führt' er nie;

Vier Fraun und tausend Mädchen hielt er in

Respect wie eine Christenkönigin.


149.

Ein klein Malheur fiel wohl mitunter vor,

Doch gab es keine laute Katastrophe;

Die Kund' erreichte kaum ein einzig Ohr,

»Die See, der Sack,« so war es Brauch bei Hofe,

Und das Geheimniß tauchte nie empor,

Die Welt erfuhr nicht mehr als diese Strophe,

Und kein Skandal verpestete die Blätter,

Der Anstand blieb gewahrt, der Fisch ward fetter.


150.

Er sah mit Augen, daß der Vollmond rund,

Und wußte, daß die Erde ein Quadrat sei;

Er war einmal gereist, zehn Meilen, und

Bemerkte da ganz deutlich, daß sie platt sei;

Auch wußt' er, daß sein Reich trotz Christenhund

Und trotz Rebell ein unbegrenzter Staat sei;

Die Giaurs und die Empörer mochten stürmen,

Sie kamen nie bis zu den »sieben Thürmen.«


151.

Bloß die Gesandten, die man dort logirt,

Wenn's Krieg giebt, nach den wahren Völkerrechten.

Mit Recht sind solche Schufte proscribirt,

Die mit den schmutz'gen Händen statt zu fechten,

Durch Lügen (auch Depeschen titulirt)

Am liebsten alle Welt in Hader brächten,

Indeß sie selber nicht ein Haar von ihren

Dintebeklexten Bärten exponiren.
[243]

152.

Er hatte Söhn' und Töchter, funfzig Paar;

Die Töchter lebten sämmtlich fromm und zahm

In einem Schloß wie eine Nonnenschar,

Bis irgendwer ein Paschalik bekam;

Dann ward vermählt, wer an der Reihe war,

Mitunter mit sechs Jahren, – wundersam!

Der Grund ist aber der, daß den Gemahlen

Obliegt dem Schwiegervater Geld zu zahlen.


153.

Die Söhne hielt man im Gefängniß, bis

Sie reif zum Throne oder Strange waren;

Dies oder das, – ob aber das, ob dies,

Das konnte nur die Zukunft offenbaren.

Fürstlich erzog man sie, das ist gewiß,

Wie die Erfahrung lehrt' in spätren Jahren,

Denn meistens war der vorgezogne Sohn

So passend für den Strick wie für den Thron.


154.

Der Kaiser grüßt die vierte seiner Frauen

Mit aller Würd' als erster Mann der Welt,

Und sie entwölkt die Augen und die Brauen,

Wie's Damen ziemt, die ihren Mann geprellt.

In solchen Fällen gilt es Selbstvertrauen,

Das der bankrotten Bank Credit erhält;

Den zärtlichsten Empfang fand stets der Gatte,

Der einen Frauenpaß zum Himmel hatte.


155.

Der Sultan sah sich, wie er meistens pflegte,

Mit großen schwarzen Augen um im Kreise;

So sah er auch Juan im Schwarm der Mägde

Und wunderte sich gar nicht, (während leise

Ein Seufzer noch Gulbeyaz' Hauch bewegte;)

Er sagte bloß sehr feierlich und weise:

»Ein neu gekauftes Mädchen? Christenkind?

Wie Schade, daß die Giaurs so niedlich sind!«
[244]

156.

Dies Lob zog alle Augen in der Runde

Auf die Novize, die vor Scham verging;

Der ganze Harem dacht', er geh' zu Grunde:

Allah! beachtet Hoheit solch ein Ding,

Die Giaurin, während aus dem Kaisermunde

Man sonst nur selten einen Gruß empfing!

Man stieß sich an, man zischelte, man hätte

Gekichert, wäre nicht die Etikette.


157.

Die Türken sperren (meistens) mit Verstande

Die Weiber ein, denn allzu wahr ist's nur,

Die Keuschheit hat in diesem armen Lande

Nicht jene adstringirende Natur,

Wie sie bei uns vorbeugt frühreifer Schande.

Ja, wir sind rein wie Schnee auf unsrer Flur;

Die Sonn' indessen, die das Eis verzehrt,

Wirkt auf das Laster grade umgekehrt.


158.

Drum wird im Orient strenges Recht gesprochen,

Und Eheschluß und Schloß sind einerlei,

Nur daß man solch ein Schloß, wenn erst gebrochen,

Nicht wieder flicken kann; – es ist vorbei,

Wie mit dem Wein, wenn man ihn angestochen.

Das liegt indeß an der Vielweiberei;

Wir machen aus zwei Seelen einen Leib,

Den ehlichen Centauren, Mann und Weib.


159.

So weit die Chronik. Und nun rasten wir.

Stoff hab' ich reichlich, aber die Maxime

Des Epos lehrt mich, daß dem Reime hier

Die Segel etwas einzuziehn gezieme.

Lobt dieses fünfte Buch recht mit Manier,

Das sechste streift schon mehr an das Sublime;

Bis dahin, da Homer selbst einnickt, können

Die Leser meiner Mus' ein Schläfchen gönnen.

Quelle:
Lord Byrons Werke. Berlin 1877, Band 5, S. 202-203,206-245.
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