Kampff wider die Sünde

[203] Empöre dich, mein Geist, es muß gewaget seyn,

Auf! setze dich dem Schwarm der Lüste frisch entgegen:

Greiff an das grosse Werck, weil alles dran gelegen,

Und räume deinem Feind nicht so viel Vortheil ein.

Versuch, obs besser sey, wenn du den Schöpffer ehrest,

Von dessen starcken Hand du überzeuget bist;

Als wenn du immerhin das Maaß der Sünde mehrest,

Die deinen Cörper schwächt, und deine Kräffte frißt.


Denck, was in schnöder Lust für Stacheln sich versteckt,

Was offt ein Augenblick macht für betrübte Stunden,

Wie so genau Genuß und Eckel stets verbunden,

Wie in der Freude selbst dich was verborgnes schreckt;

Wie du, als Cain dort, vor Gottes Antlitz fliehest,

Wie offt dich in dem Schlaff des Satans Larve stört,

Wie du des Himmels Grimm auf dein Geschlechte ziehest,

Und wie der Menschen Gunst sich endlich von dir kehrt.


Bedencke wohl, der Tod, der alles zu sich reißt,

Führt dich selbst bey der Hand auch über jede Schwelle,

Und immer unvermerckt zur finstern Grabes-Stelle.

Du weist nicht, ob er dich nicht heut zu Boden schmeißt,

Diß aber weist du wohl: Solt' itzt das Band zerspringen,

Das dich und diesen Leib, O Geist, zusammen hält,

Du würdest schlechten Zeug vor deinen Richter bringen,

Erwege nur den Spruch, den das Gewissen fällt.


Was dein verderbtes Blut beweget und ergetzt,

Hast du von Jugend auf am eifrigsten getrieben,

Hingegen in der Furcht des Herren dich zu üben,

Bleibt als ein Neben-Werck auf künfftig ausgesetzt.

Worinn dein Gottesdienst besteht, ist, daß zuweilen

Ein Seuffzer ohngefehr aus lauher Andacht fliegt;

Dann du pflegst dergestalt dein Leben einzutheilen,

Daß dessen Kern die Welt, und Gott die Hülsen, kriegt.
[204]

Dein Christenthum ist nichts als Dunst und Sicherheit,

Warum? du machest Gott zum Götzen deiner Sinnen,

In dessen Gegenwart du Dinge darffst beginnen,

Um die ein frecher Mensch sich vor dem andern scheut.

Dein alter Adam pflegt den Moses auszudeuten,

Und macht des Heylands Wort zu deinem Fleisch bequem;

Und wenn zween Lehrer sich um eine Meinung streiten,

Ist der, so deinen Trieb entfesselt, angenehm.


Von stoltzem Eigensinn, dem alles weichen soll,

Von Wahn, der in der Lufft entfernte Schlösser bauet,

Von Mißgunst, die allein des Nechsten Fehler schauet,

Und aller Laster-Bruth, O Seele, bist du voll.

Du schwebst in einem Schiff, das auf den wilden Wellen

Bald hie, bald wieder da, auf neue Klippen geht,

Und bist doch nicht bemüht die Seegel hinzustellen

Nach dem erwünschten Port, der dir vor Augen steht.


Ach Seele, weil du siehst die scheußliche Gestalt,

Die dich zum Greuel macht: die Noth in der du schwebest;

Ists möglich, daß du nicht in allen Gliedern bebest?

Auf! such dein wahres Heyl mit eusserster Gewalt.

Ists möglich, daß du nicht mit bittern Thränen-Bächen

Die Wangen überschwemmst, und deine That bereust,

Und dann bey deinem Gott, den du durch dein Verbrechen

Zum Zorn gereitzet hast, um die Vergebung schreist?


Wie ists? bleibt über dir ein steter Fluch verhengt?

Du fängst, ich merck es wohl, ein wenig an zu wancken;

Doch sieh, wie sich ein Tand der flüchtigen Gedancken,

Ein höllisch Gauckelspiel in deinen Vorsatz mengt.

Noch ist in deinem Thun kein rechter Ernst zu spüren;

Komm, Jesu, dessen Huld die Sünder nicht verstößt,

Komm, oder du wirst bald ein irrend Schaaf verlieren,

Das du so theuer doch mit eignem Blut erlößt.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 203-205.
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