Erstes Kapitel.

[459] Handelt von dem, welches der sehen wird, der es liest, oder der hören, der es sich vorlesen läßt.


Beim Ausgange aus Barcelona betrachtete Don Quixote noch einmal die Stelle, wo er gefallen war, und sagte: »Hier war Troja! Hier hat mein Unglück, aber nicht meine Feigheit mir meinen wohlverdienten Ruhm entrissen; hier bewies mir Fortuna ihren Wankelmut; hier verdunkelten sich meine Taten; hier, mit einem Worte, sank mein Glück, um niemals wieder aufzustehen.«

Als Sancho dies hörte, sagte er: »Für ein tapferes Gemüt, gnädiger Herr, ziemt es sich, ebensowohl die Leiden mit Geduld zu ertragen als im Glücke fröhlich zu sein; das kann ich von mir selber abnehmen, denn da ich Statthalter war, war ich fröhlich, und jetzt, da ich Stallmeister zu Fuß bin, bin ich nicht traurig; ich habe sagen hören, daß die sogenannte Fortuna ein betrunkenes, eigensinniges und überdas noch blindes Weibsbild sei, so daß sie nicht sieht, was sie tut, und selber nicht weiß, wen sie erniedrigt und wen sie erhebt.«

»Du bist sehr philosophisch, Sancho«, antwortete Don Quixote, »und sprichst äußerst verständig, ich weiß nicht, wer es dir gelehrt hat. Ich muß dir aber sagen, daß es keine Fortuna in der Welt gibt und daß alles, was geschieht, das Gute sowohl wie das Böse, nicht von ungefähr kommt, sondern durch eine besondere Vorsehung des Himmels, und darum pflegt man zu sagen, daß jeder seines eignen Glückes[459] Schmied sei. Ich war es von dem meinigen; aber nicht mit der nötigen Vorsicht, und darum sind meine Anmaßungen auf ein Unmögliches hinausgelaufen, denn ich hätte nach der außerordentlichen Wucht jenes Rosses des Ritters vom silbernen Monde urteilen sollen, daß ihm die Schwachheit des Rozinante keinen Widerstand leisten könne. Ich unterwand mich dessen, tat, was ich konnte, wurde niedergeworfen, und ob ich gleich die Ehre verloren habe, habe ich doch die Tugend weder verloren, noch kann ich sie verlieren, nach welcher ich mein Wort erfüllen werde. Als ich irrender Ritter war, zeigte ich mich kühn und tapfer, mit meinen Werken und Händen bekräftigte ich meinen Beruf, und jetzt, da ich ein gemeiner Stallmeister bin, will ich meine Worte bekräftigen, indem ich mein gegebenes Versprechen in Erfüllung setze. Frisch denn, Freund Sancho, auf daß wir nach Hause kommen und das Jahr unseres Noviziats überstehen, mit dessen Schluß wir neue Kraft erwerben wollen, um zu dem mir unvergeßlichen Waffenhandwerke zurückzukehren.«

»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »es ist kein großes Vergnügen, zu Fuß zu laufen, so daß es mich bewegen könnte, große Tagereisen zu machen. Wir wollen diese Waffen an irgendeinen Baum aufknüpfen, wie einen Gehenkten, und wenn ich dann auf dem Buckel des Grauen sitze und die Beine über der Erde habe, so könnt Ihr die Tagereisen so stark einrichten, als es Euch nur immer gefällig ist: denn wenn Ihr meint, ich soll zu Fuß und dabei alle Tage sehr weit laufen, so seid Ihr einer irrigen Meinung.«

»Du hast recht gesprochen, Sancho«, antwortete Don Quixote; »wir wollen meine Waffen wie eine Trophäe aufstellen und zu ihren Füßen oder in der Nähe derselben dasjenige in die Bäume graben, was unter der Trophäe geschrieben stand, welche die Waffen des Roldan bildeten:


– – – Keiner darf an sie rühren,

Der es nicht wagt, mit Roldan Streit zu führen.«


»Das scheint mir alles so herrlich wie Gold«, antwortete Sancho, »und wenn es nicht wegen der Reise wäre, auf der wir den Rozinante noch nötig haben, so wäre es gut, ihn ebenfalls daneben aufzuknüpfen.«

»Weder er noch die Waffen«, versetzte Don Quixote, »sollen mit meinem Willen gehenkt werden, damit man nicht sagen könne, für gute Dienste schlechten Lohn.«

»Da habt Ihr sehr recht«, antwortete Sancho, »denn nach der Meinung der weisen Leute soll man die Schuld des Esels nicht am Sacke auslassen; und da Ihr selbst von dieser Sache die Schuld tragt, so müßt Ihr Euch auch selbst bestrafen und Euren Zorn nicht die schon zerbrochenen und blutbespritzten Waffen entgelten lassen, ebensowenig die Sanftmut des Rozinante oder die Zartheit meiner Füße, daß sie mehr laufen sollten, als es billig ist.«

Unter diesen Reden und Gesprächen ging dieser ganze Tag hin und noch vier andere, ohne daß ihnen etwas begegnet wäre, was sie auf ihrem Wege aufgehalten hätte; am fünften aber fanden sie am Eingange eines Dorfes viele Leute vor der Tür eines Hauses versammelt, die sich dort vergnügten, weil es ein Festtag war. Als Don Quixote zu ihnen gekommen war, rief ihn ein Bauer laut an und sagte: »Einer von diesen Herren, die dort kommen und die Parteien nicht kennen, soll sagen, was wir bei unserer Wette zu tun haben.«

»Das will ich wahrlich und gewiß sagen«, antwortete Don Quixote, »falls ich den Handel verstehe.«

»Die Sache, mein lieber Herr«, sagte ein Bauer, »ist die, ein Einwohner hier im Orte ist so dick, daß er eilf Stein wiegt, und der hat einen andern Einwohner zum Wettlauf aufgefordert, der nicht mehr als fünf schwer ist. Die Bedingung war, sie sollten eine Strecke von hundert Schritten mit gleichem Gewichte laufen, und da man den Ausforderer fragte, wie das Gewicht gleichgemacht werden sollte, sagte er, daßder Ausgeforderte, der nur fünf Stein wiegt, die übrigen sechs in Eisen an sich tragen müßte, und dadurch kämen dann beim Magern so gut wie bei dem Fetten eilf Stein heraus.«

»Nein«, sagte Sancho hierauf, ehe noch Don Quixote antworten konnte, »mir kommt es zu, der ich noch kürzlich Statthalter und Richter war, wie die ganze Welt weiß, dergleichen zweifelhafte Sache auszumachen und jeden Prozeß zu entscheiden.«

»Antworte in Gottes Namen, Freund Sancho«, erwiderte Don Quixote, »denn ich bin nicht in der Laune, einer Katze Krümchen zu geben, so wie mir der Verstand erschüttert und umgedreht ist.«

Mit dieser Erlaubnis sagte Sancho zu den Bauern, die mit offnem Munde um ihn her standen und seinen Urteilsspruch erwarteten: »Lieben Freunde, das, was der Dicke fordert, ist unvernünftig und hat auch keinen Schein des Rechts für sich, denn wenn das seine Richtigkeit hat, daß der Ausgeforderte die Waffen wählen kann, so wird er keine solchen wählen, die ihm verhinderlich sind, ja, es ihm unmöglich machen, der Sieger zu sein; daher ist meine Meinung, daß der dicke Ausforderer sich abschabe, schabe, ausschneide, abnehme und herunterzwacke sechs Stein von sei nem Fleische, hier oder da an seinem Körper, wo es ihm am besten dünkt, so werden ihm dann nur noch fünf Stein an Gewicht übrigbleiben, wodurch er dann mit den fünfen seines Gegners gleich und übereinstimmend wird, und so können sie mit gleichen Lasten laufen.«

»Meiner Seele«, sagte ein Bauer, der den Urteilsspruch des Sancho hörte, »der Herr hat wie ein Engel gesprochen und ein Urteil gegeben wie ein Canonicus; aber der Dicke wird sich wahrhaftig nicht eine Unze von seinem Fette abschneiden lassen, viel weniger sechs Stein.«

»Das beste ist, daß sie gar nicht laufen«, antwortete ein anderer, »damit der Magere nicht von der Last zerdrückt und dem Dicken nicht sein Fleisch abgeschnitten werde, sondern wir wollen die halbe Wette in Wein vertrinken und diese Herren mit uns in das beste Wirtshaus nehmen, und somit nehme ich den Mantel um, wenn es regnet.«

»Ich, meine Herren«, antwortete Don Quixote, »sage Euch Dank; ich kann mich aber keinen Augenblick aufhalten, denn Gedanken und traurige Begebenheiten zwingen mich, unhöflich zu scheinen und meinen Weg nicht langsam fortzusetzen.« Hiermit gab er dem Rozinante die Sporen und ritt fort, indem er sie alle verwundert zurückließ, da sie sowohl seine seltsame Gestalt wie den Verstand seines Dieners, denn dafür hielten sie den Sancho, gesehen und bemerkt hatten. Ein anderer Bauer sagte: »Wenn der Diener schon so verständig ist, wie sehr muß es nicht erst der Herr sein? Ich wette, daß, wenn sie zum Studieren nach Salamanca gehen, sie, ehe man sich's versieht, oberste Alkalden werden, denn alles ist Spaß, es darf einer nur tüchtig studieren und dann Freunde und Glück haben, so hat der Mensch, ehe er's am wenigsten denkt, einen Richterstab in der Hand oder eine Bischofsmütze auf dem Kopfe.«

Diese Nacht brachten Herr und Diener mitten auf dem Felde unter dem freien und offnen Himmel zu, und als sie am folgenden Tage ihre Reise fortsetzten, sahen sie, daß ihnen ein Mann zu Fuß entgegenkam, mit einer Tasche um den Hals und einem Spieße oder spitzen Stocke in der Hand, die gewöhnlichen Abzeichen eines Fußboten; als dieser Don Quixote näher gekommen, verdoppelte er seine Schritte und lief schnell auf ihn zu, umarmte seinen rechten Schenkel, denn höher konnte er nicht reichen, und sagte zu ihm mit den Zeichen der größten Freude: »O mein gnädiger Herr Don Quixote von la Mancha, ach! welche große Freude wird in dem Herzen meines gnädigsten Herzogs entstehen, wenn er erfährt, daß Ihr nach seinem Schlosse zurückkehrt, denn er befindet sich noch immer mit der Frau Herzogin dort!«

»Ich kenne Euch nicht, mein Freund«, antwortete Don Quixote, »auch weiß ich nicht, wer Ihr seid, wenn Ihr es mir nicht sagt.«[465]

»Ich, gnädiger Herr Don Quixote«, antwortete der Bote, »bin Tosilos, der Lakai meines gnädigen Herzogs, der mit Euch wegen der Verheiratung der Tochter der Dueña Rodriguez nicht kämpfen wollte.«

»Hilf Himmel!« rief Don Quixote aus, »ist es möglich, daß Ihr derjenige seid, welchen die Zauberer, meine Feinde, in diesen Lakaien verwandelt haben, um mir die Ehre jenes Treffens zu rauben?«

»Still nur, lieber Herr«, versetzte der Briefträger, »es war da nichts von Bezauberung oder von Verwandlung der Gesichter; als Lakai Tosilos kam ich in die Schranken, und als Lakai Tosilos ging ich wieder hinaus. Ich dachte mich zu verheiraten, ohne zu kämpfen, denn mir gefiel das Mädchen; aber es geriet mir ganz anders, als ich dachte, denn Ihr waret kaum von unserem Schlosse abgereist, als mir der Herzog hundert Prügel geben ließ, weil ich dem Befehl zuwidergehandelt, den er mir gegeben, ehe ich in das Treffen ging, und das Ende ist gewesen, daß das Mädchen nun eine Nonne und die Doña Rodriguez nach Kastilien zurückgekehrt ist, ich gehe aber jetzt nach Barcelona, um eine Tasche mit Briefen dem Vizekönige zu bringen, die ihm mein Herr übersendet. Wenn es Euch gefällig ist, einen Trunk zu tun, so habe ich hier eine Kürbisflasche voll vom besten Wein, der zwar nicht ganz kühl, aber unverfälscht ist, dabei etliche Stückchen Käse von Tronchon, die den Durst herbeilocken und erwecken, wenn er vielleicht eingeschlafen sein sollte.«

»Ich nehme die Einladung an«, sagte Sancho, »her mit dem höflichen Anerbieten, der wackere Tosilos tafele nur auf, allen Zauberern zum Possen und Verdruß, die es nur in beiden Indien gibt.«

»Du bleibst doch, Sancho«, sagte Don Quixote, »der größte Fresser von der Welt und der größte Dummkopf auf Erden, weil du nicht einsiehst, daß dieser Bote bezaubert und ein nachgemachter Tosilos ist; bleibe bei ihm und iß, ich aber will sacht voranreiten und warten, bis du nachkommst.«

Der Lakai lachte, zog seine Kürbisflasche hervor, packte seine Stückchen Käse aus und brachte ein kleines Brot hervor, worauf er und Sancho sich auf dem grünen Rasen niedersetzten und in guter Eintracht und Geselligkeit schmausten, so daß sie auch bald dem ganzen Vorrate des Beutels auf den Grund kamen und noch so guten Appetit behielten, daß sie selbst die Brieftasche ableckten, weil sie nach Käse roch. Tosilos sagte zu Sancho: »Dieser dein Herr, lieber Sancho, muß sich gewiß vieler Narrheiten schuldig machen.«

»Wie schuldig machen?« antwortete Sancho, »er bleibt keinem etwas schuldig, er bezahlt alles, vollends wenn die Geldsorte Narrheit ist; ich sehe es recht gut und sage es ihm oft genug, aber was hilft's? Und jetzt ist er ganz toll, seit er von dem Ritter vom silbernen Monde besiegt ist.«

Tosilos bat, daß er ihm diese Begebenheit erzählen möchte; aber Sancho antwortete, es sei unhöflich, seinen Herrn so lange warten zu lassen, ein anderes Mal, wenn sie sich wieder träfen, würde er Zeit dazu haben; damit stand er auf, nachdem er von dem Kleide und aus dem Barte die Krümchen geschüttet hatte, nahm seinen Grauen, sagte dem Tosilos Lebewohl und holte seinen Herrn wieder ein, der im Schatten eines Baumes auf ihn gewartet hatte.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 459-461,465-466.
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