Drittes Kapitel.

[62] Erzählt die List, welche Sancho ausmittelte, um die Dame Dulcinea zu bezaubern, nebst andern ebenso lächerlichen als wahrhaftigen Begebenheiten.


Indem der Verfasser dieser großen Geschichte den Inhalt des gegenwärtigen Kapitels vortragen will, bemerkt er, daß er es lieber mit Stillschweigen übergehen möchte, weil er befürchtet, daß man ihm nicht glauben wird; denn die Torheiten des Don Quixote erreichen hier die Grenze und den Gipfel der allergrößten, die man nur immer ersinnen kann, ja sie gehen noch zwei Steinwürfe über die allergrößten hinaus. Er hat sie aber bei dieser Furcht und Besorgnis dennoch gerade so beschrieben, wie jener sie ausübte, ohne etwas hinzuzufügen oder der Historie ein Atom der Wahrheit zu nehmen, ohne auf jene Einwendungen Rücksicht zu nehmen, die das Ganze eine Lüge nennen möchten. Hierin handelte er recht, denn die Wahrheit läßt sich weit ausstrecken, aber nicht zerbrechen; sie bleibt immer über der Lüge, wie das Öl über dem Wasser. Und darum setzt er die Historie fort und erzählt, daß, als Don Quixote sich in die Wildnis, dem Eichengebüsch oder Walde in der Nähe des großen Toboso verborgen hatte, er dem Sancho befahl, nach der Stadt zurückzukehren und zu ihm nicht eher zurückzukommen, bis er mit seiner Dame seinerseits gesprochen habe, sie anflehend, daß sie es ihrem gefangenen Ritter erlaube, sie zu sehen, und sie von der Gnade sei, ihm ihren Segen zu erteilen, damit er hoffen könne, für sie alle seine Unternehmungen und die schwierigsten Kämpfe mit glücklichem Erfolge gekrönt zu sehen.

Sancho nahm es über sich, alles so auszurichten, wie er es befahl, und ihm eine ebenso gute Antwort[63] zurückzubringen, als er ihm das erstemal gebracht habe. »Geh, mein Sohn«, versetzte Don Quixote, »und sei nicht erschrocken, wann du dich vor dem Glanze der Schönheitssonne siehst, die du aufzusuchen gehst. O du vor allen Stallmeistern in der ganzen Welt Hochbeglückter! Behalte es in deinem Gedächtnisse und laß es dir ja nicht entfallen, wie sie dich aufnimmt, ob sie die Farbe verändert, indem du ihr meine Gesandtschaft ablegst, ob sie beunruhigt und verwirrt wird, wenn sie meinen Namen hört, ob sie sich auf die Kissen lehnt, wenn du sie etwa auf ihrem reichen und köstlichen Ruhebette findest. Und wenn sie auf ihren Füßen steht, so gib wohl Achtung, ob sie sich bald auf den linken, bald auf den rechten stellt, ob sie die Antwort, die sie dir gibt, zwei- bis dreimal wiederholt, ob sie sie aus einer sanften in eine harte, aus einer spröden wieder in eine zärtliche umändert, ob sie die Hand erhebt, um das Haar in Ordnung zu bringen, ob es sich gleich in keiner Verwirrung befindet. Kurz, mein Sohn, beobachte alle ihre Handlungen und Bewegungen; denn wenn du mir nachher alles erzählst, wie es sich zugetragen hat, so kann ich dadurch das ergründen, was sie in den geheimsten Tiefen ihres Herzens verbirgt, meine Liebesbegebenheiten anbetreffend. Denn du mußt wissen, Sancho, wenn du es noch nicht weißt, daß bei den Liebenden die äußern Handlungen und Bewegungen, die sie vornehmen, wenn von ihrer Liebe die Rede ist, die gewissesten Boten sind, die die Nachrichten von dem überbringen, was im Innern der Seele vorgeht. Nun geh, mein Freund, und es werde dir ein besseres Glück als das meinige; es begegne dir ein günstiger Geschick, als ich hier in der bittern Einsamkeit, in welcher du mich zurücklassest, fürchte und erwarte.«

»Ich gehe und will bald zurückkommen«, sagte Sancho. »Macht nur, gnädiger Herr, Euer kleines Herzchen weiter, welches jetzt nicht größer als eine Haselnuß sein kann. Bedenkt, daß man zu sagen pflegt: An einem braven Herzen prallt das Unglück ab, und wo kein Stall ist, da sind auch keine Krippen; auch pflegt man zu sagen: Wo man's nicht denkt, da springt der Hase auf. Ich meine nur, daß, wenn wir in der Nacht nicht die Paläste oder Burgen unserer Dame finden konnten, ich sie jetzt wohl am Tage finde, wo ich's am wenigsten denke; und habe ich sie einmal gefunden, so laßt mich nur machen.«

»Wahrlich, Sancho«, sagte Don Quixote, »du ziehst deine Sprichwörter bei den Haaren herbei; nun möge nur Gott meine Wünsche besser erfüllen, als sie zur Sache passen.«

Nachdem dieses gesprochen war, wandte sich Sancho um und trieb den Grauen an, und Don Quixote blieb zu Pferde, in den Steigbügeln ruhend und auf seine Lanze gestützt, voller traurigen und sehr verworrenen Vorstellungen; womit wir ihn denn lassen wollen, um dem Sancho Pansa zu folgen, der sich ebenso verwirrt und gedankenvoll von seinem Herrn entfernte, als jener zurückblieb, und zwar in solchem Grade, daß, als er kaum den Wald verlassen hatte und er beim Umschauen bemerkte, daß Don Quixote nicht mehr zu sehen sei, er von seinem Esel abstieg, sich am Fuße eines Baumes niedersetzte und auf folgende Weise anfing mit sich selber zu sprechen: Nun, mein Freund Sancho, wohin geht's denn mit Euer Gnaden? Gehst du etwa aus, einen Esel zu suchen, der dir verlorengegangen ist? Nein, wahrhaftig nicht. Nun, was willst du denn suchen? Ich will, wie man mir aufgetragen hat, eine Prinzessin suchen und in ihr zugleich die Sonne der Schönheit, nebst dem ganzen Himmel zusammengenommen. Und wo denkt Ihr denn dieses Ding zu finden, Sancho? Wo? In der großen Stadt Toboso. Nun gut, und von wes seiten zieht Ihr aus, sie zu suchen? Von seiten des berühmten Ritters Don Quixote von la Mancha, der die Krummen zerstört und denen zu essen gibt, die durstig sind, und denen zu trinken, die Hunger haben. Nun, so weit geht alles noch recht gut. Wißt Ihr denn aber das Haus, Sancho? Mein Herr sagt, es wären etliche königliche Paläste oder mehrere sehr prachtvolle Burgen. Und habt Ihr sie denn schon sonst einmal gesehen? Weder ich noch mein Herr haben sie jemals mit Augen gesehen. Und meint Ihr denn, daß das ein gutes Ende nähme, wenn die aus Toboso wüßten, daß Ihr Euch gegenwärtig mit der Absicht hier[64] befindet, ihnen ihre Prinzessinnen fortzuschleppen und ihre Damen aufrührisch zu machen; wenn sie nun kämen und Euch die Rippen mit dürren Hölzern so zerklopften, daß Ihr kein gesundes Gebein behieltet? Wahrhaftig, sie würden sehr recht darin handeln, wenn sie nicht etwa darauf Rücksicht nehmen möchten, daß ich nur ein Abgesandter bin, nämlich:


Nein, mein Freund, Ihr seid ein Bote,

Ihr verdient nicht Strafe, nein.


Verlaß dich darauf nicht, Sancho; denn die Leute in la Mancha sind ebenso hitzig als voll Ehre und lassen sich von niemandem auf der Nase spielen. Bei Gott, wenn sie dich merken, so ist dir das Bad gesegnet! Heiß! Heiß! Au weh! Weit davon ist gut für den Schuß! Jawohl, du aber willst für einen andern den Schwalben Salz auf den Schwanz streuen. Denkst du denn, hier in Toboso eine Dulcinea zu suchen ist so leicht, als Krebse im Wasser zu finden? Der Teufel, der Teufel hat mich in diesen Verdruß gebracht, und niemand sonst.

Dieses Selbstgespräch hielt Sancho mit sich, und was daraus erfolgte, war, daß er also fortfuhr: Frisch auf! Für alle Dinge gibt es ein Mittel, außer für den Tod, unter dessen Joch wir alle durchgehen müssen, so schwer es uns auch ankommt, am Ende unsers Lebens. Dieser mein Herr hat durch tausend Proben bewiesen, daß er toll ist zum Anbinden, und ich lasse mich auch darin nicht lumpen; denn ich bin noch dummköpfiger wie er, weil ich ihm folge und ihm diene, wenn das Sprichwort nämlich recht hat: Sage mir, mit wem du umgehst, so will ich dir sagen, wer du bist; und noch ein anderes: Nicht mit wem du geboren, sondern mit wem du geschoren. Da er nun toll ist, wie er es ist, und in der Tollheit oft ein Ding für das andere nimmt, weiß für schwarz hält und schwarz für weiß, wie es sich damals auswies, als er sagte, die Windmühlen wären Riesen und die Maultiere der Mönche Dromedare und die Herde von Hammeln eine Armee von Feinden, nebst vielen andern Dingen von gleichem Gehalt, so wird es auch nicht schwerhalten, ihn glauben zu machen, eine Bauerndirne, die erste die beste, die ich finde, sei die Dame Dulcinea. Und wenn er's nicht glaubt, so schwör ich; schwört er, schwör ich von neuem; besteht er auf seinem Nein, so bleibe ich noch mehr bei meinem Ja; und so will ich meinen Satz dreist durchfechten, es mag daraus werden, was will. Vielleicht setze ich es mit meiner Standhaftigkeit durch, daß er mich nicht wieder auf solche Gesandtschaften schickt, da er sieht, wie wenige Freude er davon hat; oder vielleicht wird er sich auch, wie ich es mir denke, vorstellen, daß ein böser Zauberer, einer von denen, die ihm immer übelwollen, wie er sich einbildet, die Gestalt verwandelt habe, um ihm Schaden und Verdruß zuzufügen.

Mit dieser Erfindung hatte Sancho Pansa seine Seele beruhigt; denn er hielt nun sein Geschäft für völlig geendigt. Er blieb nur noch bis Nachmittage sitzen, damit Don Quixote denken konnte, er habe diese Zeit gebraucht, um nach Toboso zu gehen und zurückzukommen. Auch gelang es ihm so gut, daß, als er wieder aufstand, seinen Grauen zu besteigen, er von Toboso drei Bäuerinnen auf sich zukommen sah, die auf drei jungen Eseln oder Eselinnen ritten, welches aber der Autor nicht ganz ins Licht setzt; denn es steht mehr zu vermuten, daß es gewöhnliche Eselinnen waren, weil diese am häufigsten von den Bäuerinnen gebraucht werden; da aber hierauf wenig ankömmt, so wollen wir uns dabei nicht aufhalten, es in Richtigkeit zu bringen.

Kurz, sowie Sancho die Bäuerinnen gewahr wurde, ritt er im Trabe zu seinem Herrn Don Quixote zurück, den er in Seufzern fand und indem er tausend verliebte Klagen ausstieß. Als Don Quixote ihn sah, rief er: »Nun, Freund Sancho, soll ich diesen Tag mit einem weißen oder mit einem schwarzen Steine bezeichnen?«[65]

»Lieber noch«, antwortete Sancho, »mögt Ihr ihn mit roter Farbe bezeichnen, wie man die Büchertitel druckt, damit man sie schon von weitem sehen kann.«

»Auf diese Weise«, versetzte Don Quixote, »bringst du gute Zeitungen?«

»So gute«, antwortete Sancho, »daß Ihr weiter nichts zu tun habt, als dem Rozinante die Sporen zu geben und ins Freie zu reiten, um die Dame Dulcinea von Toboso zu sehen, die mit zwei von ihren Jungfrauen kömmt, um Euer Gnaden zu besuchen.«

»Heiliger Gott! was sagst du da, Freund Sancho?« rief Don Quixote aus. »Suche mich ja nicht zu täuschen oder meine wahrhafte Traurigkeit durch eine falsche Freude zu erfreuen.«

»Was hälfe es mir, Euer Gnaden zu täuschen«, antwortete Sancho, »besonders da Ihr so leichtlich die Wahrheit entdecken könnt? Spornt, gnädiger Herr, und kommt, und Ihr werdet unsere gebietende Prinzessin sehen, so gekleidet und geschmückt, daß man sich nichts Schöneres wünschen kann. Ihre Jungfrauen und sie sind alle ein einziger Brand von Gold, lauter Bündel von Perlen, sie sind lauter Diamanten, lauter Rubinen, lauter Brokat von mehr als zehnfachem Gewirke. Ihre Haare hängen über den Schultern und sind ebenso viele Sonnenstrahlen, mit denen die Winde spielen. Und außerdem kommen sie zu Pferde, auf drei gefleckten Keltern, daß man nichts Schöneres sehen kann.«

»Zeltern willst du sagen, Sancho.«

»Da ist wenig Unterschied«, antwortete Sancho, »zwischen Keltern und Zeltern; sie mögen aber reiten, worauf sie wollen, so sind es die prächtigsten Damen, die man sich nur wünschen kann, besonders die Prinzessin Dulcinea, meine Gebieterin, welche alle Sinne in Entzücken versetzt.«

»So gehen wir denn, Sohn Sancho«, antwortete Don Quixote, »und wegen dieser unverhofften herrlichen Zeitung verspreche ich dir zur Belohnung die beste Beute, welche ich im ersten Abenteuer gewinnen werde, worauf ich stoße; und wenn dich dieses nicht zufriedenstellt, so verspreche ich dir die Jungen, die in diesem Jahre meine drei Stuten werfen werden, von denen du weißt, daß ich sie auf die Gemeindeweide unseres Ortes schicke, damit sie trächtig werden.«

»Ich halte mich an die Jungen«, antwortete Sancho; »denn ob die Beute des ersten Abenteuers annehmlich sein wird, ist noch nicht ausgemacht.«

Indem kamen sie aus dem Walde und sahen schon nahe bei sich die drei Bauernmädchen. Don Quixote dehnte seine Augen auf den ganzen Weg nach Toboso aus, und da er nichts weiter als die drei Bäuerinnen sah, ward er verwirrt und fragte Sancho, ob er sie außerhalb der Stadt verlassen habe.

»Wie denn außerhalb der Stadt?« antwortete jener; »habt Ihr denn etwa die Augen hinten im Kopfe, daß Ihr die nicht seht, die daherkommen, ganz in vollem Strahlen, wie die Sonne am Mittage?«

»Ich sehe nichts, Sancho«, sagte Don Quixote, »als drei Bäuerinnen auf Eseln.«

»Nun, so mag mich Gott vom Teufel erlösen!« antwortete Sancho; »aber ist es denn möglich, daß Ihr die drei Zelter, oder wie sie heißen mögen, die so weiß sind wie der frisch gefallene Schnee, für Esel halten könnt? Meiner Seele, den Bart würde ich mir ausreißen, wenn das die Wahrheit wäre!«

»Ich sage dir aber, Freund Sancho«, sagte Don Quixote, »daß dieses so gewiß Esel oder Eselinnen sind, als ich Don Quixote bin oder du Sancho Pansa bist; zum mindesten erscheinen sie mir so.«

»Schweigt doch, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »und sprecht nicht dergleichen Worte, sondern putzt Euch die Augen und kommt, um der Dame Eurer Gedanken die Reverenz zu bezeigen; denn sie ist schon ganz nahe.« Und mit diesen Worten entfernte er sich, um den Bäuerinnen entgegenzugehen; er stieg vom Grauen ab, faßte den Esel des einen Mädchens beim Zaum, ließ sich mit beiden Knien zur Erde nieder und sprach: »Königin und Prinzessin und Herzogin der Schönheit, Eure Hochmütigkeit und Größe sei von der Gnade, zu ihrem Dienste und Wohlgefallen jenen Euren gefangenen Ritter aufzunehmen, der[66] dort wie ein Marmorstein steht, so verwirrt und ohne Leben, sich in Eurer kostbaren Gegenwart zu befinden. Ich bin Sancho Pansa, sein Stallmeister; er aber ist der übermüdete Ritter Don Quixote von la Mancha, mit einem andern Namen genannt der Ritter von der traurigen Gestalt.«

Jetzt hatte sich Don Quixote auch kniend neben Sancho niedergeworfen und schaute mit hervorstarrenden Augen und verwirrtem Blicke diejenige an, die Sancho Königin und Gebieterin nannte; und da er nichts als ein Bauernmädchen gewahr wurde, und zwar von nicht anmutigem Ansehen, denn sie hatte ein rundes Gesicht mit einer plattgedrückten Nase, so blieb er voll Erstaunen und Verwunderung, ohne es zu wagen, die Lippen zu öffnen. Die Bauernmädchen waren ebenfalls nicht wenig betroffen, da sie diese beiden so verschiedenen Leute sahen, die vor ihnen niederknieten und ihre Gefährtin nicht fortlassen wollten. Die Angehaltene brach zuerst das Stillschweigen und sagte sehr unwillig und verdrießlich: »Marsch da! aus dem Wege, zum Henker! Laßt uns gehen, denn wir haben keine Zeit übrig!«

Worauf Sancho antwortete: »O Prinzessin und Universaldame von Toboso, wird denn Euer großmütiges Herz nicht gerührt, wenn es vor Eurer sublimierten Gegenwart die Säule und Stütze der irrenden Ritterschaft knien sieht?« Als dies eine von den andern beiden hörte, sagte sie: »Sieh doch, das fehlte mir noch; ja, links um die Ecke! Da kommen die Kerlchen her, um sich mit Bauernmädchen einen Spaß zu machen, als wenn wir hier nicht auch die Kunst könnten, einem etwas abzugeben. Schert euch eurer Wege und laßt uns auf unserem gehen, das wird euch gesund sein.«

»Stehe auf, Sancho«, sagte hierauf Don Quixote; »denn ich sehe, daß ›das Glück, noch meiner Leiden nicht gesättigt‹, alle Wege versperrt, auf denen einige Lust zu dieser entmuteten Seele kommen könnte, die in meinem Fleische wohnt. Und du, o Ausbund aller Trefflichkeit, die man nur wünschen kann, du Gipfel der menschlichen Vollendung, du einziges Labsal dieses gekränkten Herzens, welches dich verehrt, wenn auch jener boshafte Zauberer mich verfolgt und mir mit Wolken und Nebel die Augen verhüllt hat, so daß er einzig für sie und nicht für andere deine unvergleichliche Schönheit und dein Antlitz in die Gestalt einer armseligen Bäuerin entstellt und verwandelt hat; hat er meine Gestalt nicht auch vielleicht gegen die eines Gespenstes vertauscht, um mich in deinen Augen abscheulich zu machen, so blicke zärtlich und liebevoll auf mich herab; betrachte in dieser kniegebeugten Unterwerfung, die ich deiner entstellten Schönheit erweise, die Demütigkeit, mit welcher meine Seele dich vergöttert!«

»Da hat's mir auch weh getan«, antwortete das Bauernmädchen; »als wenn es mir pluzierlich wäre, mit mir kurassieren zu lassen; marsch weg da, daß wir fort können, und Gotts Lohn dafür!«

Sancho ließ sie frei, sehr zufrieden, daß er so gut aus seiner Verwicklung losgekommen sei. Kaum sah sich die Bäuerin, welche die Dulcinea vorgestellt hatte, befreit, als sie ihren Zelter mit einem Stachel spornte, den sie vorn an einem Stocke hatte, und schnell fort über die Wiese rannte; da aber der Esel die Spitze des Stachels mehr als gewöhnlich fühlte, so fing er an, so übermäßige Sprünge zu machen, daß er die Dame Dulcinea bald auf die Erde warf. Als dies Don Quixote sah, lief er hinzu, sie aufzuheben, Sancho aber, ihr das Reitkissen wieder zurechtzuschnallen, welches auch unter den Bauch des Füllens gerutscht war. Als das Reitkissen zurechtgemacht war und Don Quixote seiner bezauberten Dame in seinen Armen auf den Esel helfen wollte, stand die Dame vom Boden auf und überhob ihn dieser Mühe; denn sie trat ein weniges zurück, setzte sich in einen Galopp, stemmte beide Hände auf die Hüften des Füllens und schwang sich leichter als ein Falke mit dem Körper in den Sattel, wo sie, wie ein Mann, mit geteilten Beinen sitzen blieb. Sancho rief hierauf aus: »Hol mich der Satan, unsere Beherrscherin und Dame ist so leicht wie ein Vogel, die kann dem geschicktesten Korduaner oder Mexikaner im Voltigieren Unterricht geben! Mit einem einzigen Sprunge ist sie im Sattel und läßt nun ohne Sporen den Zelter wie einen Hirsch laufen, und ihre Jungfrauen geben ihr auch nichts nach, denn da fliegen sie alle wie der Wind hin.« Und dies war[67] in der Tat der Fall; denn da sich Dulcinea wieder beritten sah, eilten sie ihr alle nach und so im schnellsten Laufe davon, ohne in einer halben Meile den Kopf wieder umzuwenden.

Don Quixote folgte ihnen mit den Augen, und als sie endlich verschwunden waren, wandte er sich zu Sancho und sagte: »Sancho, was meinst du nun? Wie sehr bin ich doch von Zauberern gehaßt! Ha! sieh, wie weit sich ihre Bosheit und ihre Wut gegen mich erstreckt, da sie mich des Vergnügens zu berauben gesucht, welches ich empfunden hätte, meine Gebieterin in ihrer wahren Gestalt zu erblicken. Wahrlich, ich bin geboren, das Ziel und die Scheibe vorzustellen, wohin sie alle Pfeile des Elendes abschießen. Zugleich mußt du auch dieses bemerken, Sancho, daß die Verräter sich nicht daran begnügt haben, meine Dulcinea zu verwandeln und zu entstellen, sondern sie mußten sie in eine so gemeine und häßliche Gestalt verwandeln und verkehren, als jene Bäuerin war, und zugleich nahmen sie ihr auch das, was immer die Eigenschaft der vornehmen Damen ist, nämlich den schönen Geruch, weil sie immer von Ambra und Blumen duften; du mußt aber wissen, Sancho, daß, als ich hinzulief, der Dulcinea auf ihren Zelter zu helfen – wie du ihn nennst, der mir aber ein Esel schien –, mir von ihr ein solcher Duft von rohem Knoblauch entgegenkam, daß sich mir die Seele im Leibe umwandte.«

»O Lumpengesindel!« fing Sancho an zu heulen, »o ihr niederträchtigen und schlecht denkenden Zauberer, ei, wenn man euch doch alle einmal an den Kiefern, wie Sardellen auf die Schnur gezogen, hängen sähe! Ihr wißt viel, ihr könnt viel, und noch viel mehr übt ihr aus. Es wäre ja wohl genug gewesen, ihr Spitzbuben, daß ihr die Perlenaugen meiner Dame in Galläpfel verwandelt habt, ihre Haare vom reinsten Golde in die Borsten eines nichtswürdigen Kuhschwanzes, und kurz, alle ihre trefflichen Eigenschaften in schlechte; ohne sie gerade am Geruch anzutasten, so daß wir aus ihm wenigstens abgenommen hätten, was unter der häßlichen Rinde verborgen liege; obgleich ich, die Wahrheit zu gestehen, nichts von ihrer Häßlichkeit, sondern nur ihre Schönheit gesehen habe, woran das Allerschönste und Zarteste ein Mal war, das sie unter der rechten Wange hatte, nach Art eines Schnauzbartes, mit sieben oder acht rötlichen Haaren, wie Strahlen von Gold und so lang wie meine Hand.«

»Nach diesem Male zu schließen«, sagte Don Quixote, »da eine Beziehung zwischen dem Gesichte und dem übrigen Körper stattfindet, muß Dulcinea ein gleiches Mal am fleischigsten Teil des Schenkels haben, welches auf derselben Seite liegt, auf welchem es in ihrem Gesichte steht; aber für ein Mal sind die Haare von ungemeiner Länge, so wie du sie beschrieben hast.« »Doch muß ich Euch sagen«, antwortete Sancho, »sie machen sich so schön, als wenn es nicht anders sein könnte.«

»Ich glaube dir, mein Freund«, versetzte Don Quixote, »denn Dulcinea erhielt von der Natur nichts, das nicht vollkommen und durchaus vollendet wäre; hätte sie also auch hundert dergleichen Male, so wären es keine Male, sondern gleichsam Göttermale mit Ambrosia und Nektar. Aber sage mir doch, Sancho, das, was mir ein Reitkissen schien und was du wieder zurechtschnalltest, war es ein flacher oder ein ausgepolsterter Sattel?« »Keines von beiden«, antwortete Sancho, »sondern ein Sattel zu kurzen Bügeln, mit einer Schaberacke darüber, die wohl die Hälfte eines Königreichs wert ist, so kostbar war sie.«

»Und wie habe ich nichts von allem gesehen, Sancho!« rief Don Quixote; »ich sage es wieder und will es tausendmal wiederholen, daß ich der unglückseligste von allen Menschen bin.«

Es wurde dem Schelm Sancho sauer, sein Lachen zu verbergen, da er diese Narrheiten seines Herrn hörte, den er auf so feine Art betrogen hatte. Nach vielen andern Gesprächen, die zwischen den beiden vorfielen, stiegen sie wieder auf ihre Tiere und verfolgten den Weg nach Saragossa, wo sie zu der Zeit einzutreffen gedachten, wenn in dieser vornehmen Stadt prächtige Feste gefeiert würden, die dort jährlich angestellt werden; ehe sie aber dort hinkamen, begegneten ihnen Dinge, die, weil sie so mannigfach, wichtig und neu sind, verdienen, beschrieben und gelesen zu werden, wie man im Verfolge sehen wird.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 62-68.
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