Erstes Kapitel.

[53] Erzählt, was Don Quixote begegnete, als er auf dem Wege war, seine Dame Dulcinea von Toboso zu besuchen.


»Gepriesen sei der mächtige Allah!« ruft Hamete Benengeli beim Anfange dieses Kapitels aus; »gepriesen sei Allah!« wiederholt er zu dreien Malen und erklärt, daß er diese Segensprechung deswegen ausruft, weil er sieht, daß er Don Quixote und Sancho nun doch wieder im freien Felde hat und daß die Leser seiner anmutigen Historie darauf rechnen können, daß von diesem Augenblicke die Taten und Späße des Don Quixote und Sancho ihren Anfang nehmen, wobei sie gebeten werden, alle vergangene Ritterschaft des scharfsinnigen Edlen zu vergessen und die Augen nur auf die Unternehmungen zu richten, die nunmehr kommen werden und die auf dem Wege nach Toboso ihren Anfang nehmen, wie die ehemaligen auf dem Felde Montiel begannen. Was er bittet, ist gegen das, was er verspricht, nicht viel zu rechnen, und auf folgende Weise fährt er nun fort.

Don Quixote und Sancho blieben allein, und Simson hatte sich kaum entfernt, als Rozinante anfing zu wiehern und der Graue zu seufzen, welches von bei den, vom Ritter und Stallmeister, für ein gutes Zeichen und eine glückliche Vorbedeutung gehalten wurde, obgleich, die Wahrheit zu sagen, das Seufzen und Gebrüll des Grauen länger währte als das Wiehern des Rozinante, woraus Sancho den Schluß zog, daß sein Glück dasjenige seines Herrn übersteigen und bei weitem übertreffen würde, wiewohl man nicht weiß, ob er sich auf die astrologia iudiciaria stützte, die er innehaben mochte, wenn dessen gleich die Historie nicht ausdrücklich erwähnt. Man hörte ihn nur das behaupten: daß, wenn er stolperte oder fiel,[53] er sich gefreut haben würde, nicht aus dem Hause gegangen zu sein; denn aus diesem Stolpern und Fallen ergäbe sich nichts anderes als zerrissene Schuhe oder zerschlagene Rippen. Und ob er gleich ein Tor war, so verfehlte er hierin doch nicht völlig den rechten Weg.

Don Quixote sprach zu ihm: »Freund Sancho, die Nacht nimmt immer mehr und mehr zu, so wie wir weiterreisen, und die Finsternis wird dichter, als wir sie nötig hätten, um am Tage Toboso zu erblicken, wohin ich zu gehen entschlossen bin, ehe ich mich in ein anderes Abenteuer einlasse. Dort will ich den Segen und den freundlichen Urlaub der unvergleichlichen Dulcinea mit mir nehmen, mit welchem Urlaub ich überzeugt bin, jedes noch so gefährliche Abenteuer glücklich beendigen zu können; denn nichts in die ser Welt macht die irrenden Ritter so tapfer, als wenn sie sich von ihren Damen begünstigt sehen.«

»Das ist auch mein Glaube«, antwortete Sancho; »ich halte es aber für schwer, daß Ihr mit ihr sprechen oder sie sehen könnt, wenigstens an solchem Orte, wo Ihr ihren Segen empfangen könnt, wenn sie ihn nicht von der Hofmauer herunter geben will, wo ich sie damals sah, als ich ihr den Brief brachte, der von Eueren Narrheiten und Unsinnigkeiten Meldung tat, die Ihr im Herzen des Schwarzen Gebirges ihretwegen vornahmt.«

»Hofmauern spiegelten sich dir vor, jenes zu sein, Sancho«, sagte Don Quixote, »wo oder in welchen du die in Ewigkeit nicht hinlänglich gepriesenen Reize und Schönheit erblicktest. Galerien, Altane oder Balkone mußten es sein, oder wie man dergleichen sonst bei herrlichen und königlichen Palästen benennen mag.«

»Das konnte alles sein«, antwortete Sancho; »mir schien es eine Wand, wenn mich mein Gedächtnis nicht ganz verläßt.«

»Dennoch wollen wir hinziehen, Sancho«, versetzte Don Quixote; »denn wenn ich sie nur sehe und sie mir jenes erteilt, sei es nun über eine Wand oder am Fenster oder durch die Jalousien oder durch das Gitter eines Gartens, so wird jeder Strahl, der von der Sonne ihrer Schönheit meine Augen trifft, meinen Verstand so erleuchten und mein Herz dergestalt ermutigen, daß ich einzig und unvergleichlich sowohl in der Verständigkeit wie in der Tapferkeit sein werde.«

»Aber wahrhaftig, gnädiger Herr, als ich diese Sonne der Dame Dulcinea von Toboso ansichtig wurde, war sie nicht ganz im Klaren, so daß sie hätte Strahlen von sich werfen können, was wohl daher rühren mochte, weil die Gnädige eben, wie schon gesagt, Getreide fegte, so daß der Staub, den sie erregte, sich wie eine Wolke vor ihr Angesicht lagerte und es dadurch verdunkelte.«

»Wie kommst du doch immer wieder darauf, Sancho«, sagte Don Quixote, »zu denken und zu behaupten, zu glauben und darauf zu bestehen, daß meine Dame Dulcinea Getreide gefegt habe, da dieses eine Arbeit und Tätigkeit ist, die weit aus dem Wege von dem liegt, womit sich vornehme Personen beschäftigen und beschäftigen sollen, die zu solcher Tätigkeit und Unterhaltung eingerichtet und erzogen sind, daß man schon auf einen Büchsenschuß ihren vornehmen Stand erkennt? Du erinnerst dich wenig jener Verse, Sancho, in denen unser Poet die Arbeit beschreibt, die in ihren kristallenen Gemächern jene vier Nymphen vornahmen, welche aus dem geliebten Tajo ihre Häupter erhoben und sich auf die grüne Wiese niederließen, um jene kostbaren Gewebe zu wirken, die uns der sinnreiche Poet beschreibt und die ganz aus Gold, Seide und Perlen zusammengefügt waren. Von solcher Art mußte auch die Beschäftigung meiner Dame sein, als du sie erblicktest, wenn nicht der Neid, den irgendein böser Zauberer zu mir trägt, alle meine kostbarsten Güter in unwürdige Gestalten und in ihr Gegenteil entstellt und verwandelt. So fürchte ich auch, daß in der Historie, die von meinen Taten gedruckt sein soll, wenn vielleicht ihr Autor ein Weiser und mein Feind gewesen, ein Ding statt eines andern wird gestellt sein, eine Wahrheit, mit tausend Lügen vermischt, indem er sich daran ergötzt, andere Vorfälle zu erzählen, die weit von[54] denen entfernt sind, welche zur Fortsetzung einer wahrhaftigen Historie gehören. O Neid! Du Wurzel unzähliger Übel, du nagender Wurm der Tugenden! Alle Laster, Sancho, führen eine gewisse Art des Vergnügens mit sich; dem Neide aber folgen nur Verdruß, Zorn und Wut.«

»Das hab ich auch immer gesagt«, antwortete Sancho, »und ich glaube wohl, daß in der Historie oder Legende, die der Baccalaureus Carrasco von uns gesehen hat, meine Ehre wohl auch so rücklings auf dem Pferde sitzen mag oder gar hinkend und stinkend einherziehen, wie man zu sagen pflegt; doch habe ich, meiner Seele, niemals von einem Zauberer übel gesprochen, auch besitze ich nicht so viele Herrlichkeiten, daß mich einer beneiden könnte. Ich habe zwar ein bißchen ein loses Maul, und der Schalk sitzt mir zuweilen im Nacken; aber alles wird von dem großen Mantel meiner immer natürlichen und niemals erkünstelten Einfalt bedeckt. Und wenn es auch keine andere Ursache gäbe, als beständig und wahrhaftig an Gott zu glauben, wie ich tue, und an alles, was unsere heilige römisch-katholische Kirche zu glauben befiehlt, und daß ich ein Todfeind von allen Juden bin, so sollten die Historienmacher schon deswegen Mitleiden mit mir haben und mich in ihren Schriften gut behandeln; sie mögen aber sagen, was sie wollen, nackt bin ich zur Welt gekommen, nackt bin ich noch, ich verliere, ich gewinne nichts dabei, und wenn ich mich nur in Büchern gedruckt befinde und so durch die Welt von einer Hand in die andere spaziere, so schert es mich den Teufel nichts, sie mögen von mir sagen, was sie nur immer wollen.«

»Dies erinnert mich, Sancho«, sagte Don Quixote, »an etwas, das einem berühmten Poeten unserer Zeit begegnete. Dieser hatte eine boshafte Satire gegen alle Damen von freier Lebensart geschrieben; er führte aber darin nicht auf und nannte selbst eine gewisse Dame nicht, von der man zweifeln konnte, ob sie zu jenen gehörte oder nicht; da diese nun sah, daß sie sich nicht in der Liste der übrigen befand, machte sie dem Poeten Vorwürfe und fragte, was er denn an ihr gesehen habe, um sie nicht unter die Zahl der anderen zu stellen. Er möchte seine Satire nur erweitern und sie in dieser Vermehrung aufführen; sonst möge er sehen, was daraus entstehe. Der Poet tat es, zog sie so durch, daß es eine Dueña nicht ärger hätte machen können, und sie war zufrieden, sich genannt, wenn auch beschimpft, zu sehen. Auch gehört das hieher, was man von jenem Hirten erzählt, der den berühmten Tempel der Diana anzündete und verbrannte, welcher zu den sieben Wunderwerken der Welt gerechnet wurde, um seinen Namen in den zukünftigen Jahrhunderten lebendig zu erhalten, und ob man gleich den Befehl gab, daß keiner ihn nennen sollte noch seiner weder mündlich noch schriftlich Erwähnung tun, damit er seine Absicht nicht erreiche, so weiß doch jedermann, daß er Herostratus geheißen. Auch das paßt gut hierher, was dem großen Kaiser Karl dem Fünften in Rom mit einem Ritter begegnete. Der Kaiser wollte nämlich jenen berühmten Tempel, die Rotonde, in Augenschein nehmen, der im Altertume der Tempel aller Götter hieß, jetzt aber, mit einem schöneren Namen, der aller Heiligen genannt wird. Dieses Gebäude ist dasjenige, was am wenigsten verstümmelt auf uns aus den Zeiten des römischen Heidentums gekommen ist und welches zugleich am meisten den Ruhm der Größe und Pracht seiner Erbauer erhält. Es ist wie eine halbe Orange gestaltet: äußerst groß und sehr gut erleuchtet, ob es gleich kein anderes Licht bekömmt, als welches durch ein einziges Fenster fällt oder, richtiger zu reden, durch eine runde Öffnung, die sich oben in seinem Gipfel befindet, von wo der Kaiser eben das Gebäude beschaute und sich ihm zur Seite ein römischer Ritter befand, der ihm die Schönheit und Trefflichkeit dieses großen Baues und der herrlichen Architektur erklärte. Als sie nun von der Öffnung heruntergestiegen waren, sagte dieser zum Kaiser: ›Tausendmal, geheiligte Majestät, ist es mir in den Sinn gekommen, mich mit Eurer Majestät zu umfassen und oben von der Öffnung herunterzustürzen, um mir in der Welt einen unsterblichen Namen zu machen.‹ – ›Ich danke Euch‹, antwortete der Kaiser, ›daß Ihr diesen bösen Gedanken nicht in Ausübung[55] gebracht habt, von nun an will ich Euch keine Gelegenheit weiter geben, Euere Treue von neuem auf die Probe zu stellen; ich befehle Euch also, niemals mit mir zu sprechen noch Euch da aufzuhalten, wo ich sein werde.‹ Nachdem er dies gesprochen, machte er ihm eine tiefe Verbeugung. Damit will ich nur so viel sagen, Sancho, daß der Wunsch, sich berühmt zu machen, auf eine gewaltige Weise wirkt. Was, meinst du, bewog jenen Horatius, sich, mit allen seinen Waffen geharnischt, von der Brücke herunter in den tiefen Strom der Tiber zu stürzen? Was verbrannte den Arm und die Hand dem Mucius? Was trieb den Curtius, hinein in den flammenden Abgrund zu springen, der sich mitten in Rom auftat? Was bewog, allen Vorbedeutungen zum Trotze, die sich feindlich erwiesen, den Caesar, über den Rubikon zu schreiten? Und, um neuere Beispiele zu geben, was versenkte die Schiffe und stellte einsam und abgeschnitten jene hochherzigen Spanier hin, die der unvergleichliche Cortes in die Neue Welt geführt hatte? Alle diese, nebst anderen großen und sehr verschiedenen, Taten sind, waren und werden ein Werk des Ruhmes sein, welchen die Sterblichen als Belohnung und als einen Teil der Unsterblichkeit wünschen, die ihre großen Taten verdienen, obgleich die christlich-katholischen und irrenden Ritter mehr nach der Glorie jener zukünftigen Zeit zu trachten haben, die in den ätherischen und himmlischen Wohnungen ewiglich währt, als nach jener Eitelkeit des Ruhmes, der in dieser gegenwärtigen endlichen Zeit zu erlangen steht, welcher Ruhm, wenn er auch noch so lange dauert, doch endlich mit dieser Welt vergehen muß, welche ihr bestimmtes Ende erreicht. Also, o Sancho, müssen unsere Taten niemals die Grenze überschreiten, die uns die christliche Religion gezeichnet hat, zu welcher wir uns bekennen. In den Riesen müssen wir den Übermut niederkämpfen, den Neid in der Großmut einer edlen Brust, den Zorn durch sanftes Betragen und Seelenruhe, Gierigkeit und Schläfrigkeit durch das wenige Essen, das wir essen, und durch das viele Wachen, das wir wachen, Ausgelassenheit und Wollust in der Treue, die wir denjenigen bewahren, die wir zu Damen unserer Gedanken erwählt haben, die Trägheit dadurch, daß wir durch alle Teile der Welt reisen, um die Gelegenheit aufzusuchen, die uns außer christlichen auch zu berühmten Rittern machen können. Diese, Sancho, sind die Mittel, um die höchste Lobpreisung zu erlangen, die ein guter Name nur immer mit sich führen kann.«

»Alles, was Ihr bisher gesagt habt«, sprach Sancho, »habe ich sehr gut verstanden; nun möcht ich aber wohl, daß Ihr mir noch einen Schuhrubel auflöstet, der mir soeben in die Gedanken gekommen ist.«

»Skrupel willst du sagen, Sancho«, sprach Don Quixote; »sag's in Gottes Namen, denn ich will dir alles antworten, was ich nur irgend weiß.«

»So sagt mir denn, gnädiger Herr«, fuhr Sancho fort, »diese Julier oder Auguster, nebst allen den tatenvollen Rittern, die Ihr genannt habt und die schon tot sind, wo befinden sie sich jetzt?«

»Die Heiden«, antwortete Don Quixote, »sind ohne Zweifel in der Hölle, die Christen aber, wenn sie gute Christen waren, sind entweder im Fegefeuer oder im Himmel.«

»Nun gut«, sagte Sancho, »nun wollen wir nur das untersuchen: Haben die Begräbnisse, wo die Leichen dieser Allerweltsmenschen liegen, brennende Lampen von Silber, oder sind die Wände ihrer Kapellen mit Zähnen ausgeschmückt, mit Totengewändern, mit Haarlocken, mit Beinen und Augen von Wachs? Und wenn das nicht ist, womit sind sie denn ausgeschmückt?«

Worauf Don Quixote antwortete: »Die Begräbnisse der Heiden waren größtenteils prachtvolle Tempel. Die Asche vom Leichname des Julius Caesar wurde unter einer Pyramide begraben, die aus einem ungeheueren Steine bestand und die man heutiges Tages in Rom Sankt-Petri-Spitzsäule nennt. Dem Kaiser Hadrian diente ein Kastell zum Begräbnisse, so groß als eine Stadt, welches sie Moles Hadriani hießen und welches jetzt das Kastell San Angelo in Rom ist. Die Königin Artemisia begrub ihren Gemahl[56] Mausolus in einem Grabmale, welches zu den sieben Wunderwerken der Welt gehörte; aber keins von diesen Grabmälern, nebst vielen anderen, welche die Heiden besaßen, sind mit Totengewändern noch mit anderen Geschenken geschmückt worden, woraus man zu erkennen pflegt, daß Heilige an dergleichen Orten begraben liegen.«

»Da wollt ich eben hinaus«, versetzte Sancho; »nun sagt mir noch: Was ist mehr, einen Toten auferwecken oder einen Riesen umbringen?«

»Die Antwort gibt sich von selbst«, antwortete Don Quixote; »es ist mehr, einen Toten auferwecken.«

»Gefangen«, sagte Sancho; »der Ruhm dessen, der Tote auferweckt, Blinde sehend macht, Krüppel gerade und Kranke gesund macht und vor dessen Begräbnisse Lampen brennen und seine Kapelle mit frommen Leuten angefüllt ist, die seine Reliquien auf den Knien verehren, ein solcher hat in dieser und in der künftigen Zeit einen besseren Ruhm, als alle möglichen heidnischen Kaiser zurückgelassen, haben und zurücklassen werden, nebst allen irrenden Rittern, die auf Erden gelebt haben.«

»Ich gebe zu, daß dieses Wahrheit sei«, antwortete Don Quixote.

»Diesen Ruhm, diese Gnade, diese Vorzüge, oder wie man es nennen will«, antwortete Sancho, »erlangen die Körper und Reliquien der Heiligen, die, mit Bewilligung und Erlaubnis unserer heiligen Mutter Kirche, Lampen haben, Kerzen, Totengewänder, Zähne, Gemälde, Haarlocken, Augen, Beine, womit die Frömmigkeit sowohl wie ihr christlicher Ruhm vermehrt wird. Die Körper der Heiligen oder ihre Reliquien tragen die Könige auf den Schultern; sie küssen Stückchen von ihren Gebeinen; sie schmükken und zieren mit ihnen ihre Kapellen und ihre herrlichsten Altäre.«

»Was soll nun aus allen dem, Sancho, was du gesagt hast, folgen?« fragte Don Quixote.

»Ich will so viel sagen«, sprach Sancho, »daß wir uns darangeben wollen, Heilige zu werden, und wir werden so am kürzesten den guten Ruhm erlangen, den wir haben wollen. Merkt nur, gnädiger Herr, gestern oder vorgestern – es ist gar nicht lange her, und darum mag ich wohl so sprechen – sprachen sie zwei Brüder Barfüßer heilig oder selig, deren eiserne Ketten, womit sie sich umgürteten und ihren Körper marterten, zu küssen und anzurühren jetzt für das allerhöchste Glück gehalten wird; diese werden mehr verehrt, als es je mit dem Schwerte des Roldan geschieht, welches in dem Zeughause unseres allergnädigsten Königs steht, den Gott beschützen wolle. Also, gnädiger Herr, ist es besser, ein demütiger Mönch zu sein, von welchem Orden es auch sein mag, als ein tapferer und irrender Ritter; Gott gefallen zwei Dutzend Geißelhiebe mehr als zweitausend Lanzenstöße, mögen sie nun gegen Riesen oder Drachen oder Gespenster gerichtet sein.«

»Das ist alles wahr«, antwortete Don Quixote; »wir können aber nicht alle Ordensbrüder sein, und der Wege sind mancherlei, auf welchen Gott die Seinigen zum Himmel führt. Ritterschaft ist auch ein Orden, und auch heilige Ritter sind dort in der Herrlichkeit.«

»Ja«, antwortete Sancho; »aber ich habe doch sagen hören, daß es mehr Mönche als irrende Ritter im Himmel gibt.«

»Das ist«, antwortete Don Quixote, »weil die Anzahl der Religiösen größer ist als die der Ritter.«

»Doch gibt es viele irrende«, sagte Sancho.

»Viele«, antwortete Don Quixote; »aber wenige, die den Namen der Ritter verdienen.«

Unter diesen und anderen ähnlichen Gesprächen verstrich diese Nacht und auch der folgende Tag, ohne daß ihnen ein Ding begegnete, was sich erzählen ließe, worüber Don Quixote sehr verdrießlich ward. Endlich am anderen Tage, als es gegen Abend war, entdeckten sie die große Stadt Toboso, bei deren Anblick sich Don Quixotes Lebensgeister ermunterten, die des Sancho aber in Betrübnis fielen, weil er das Haus der Dulcinea nicht wußte, sie auch in seinem Leben nicht gesehen hatte, wie sie auch sein[57] Herr niemals gesehen hatte, so daß der eine, um sie zu sehen, der andere, weil er sie nie gesehen, beide in großer Verwirrung waren und Sancho durchaus nichts anzufangen wußte, wenn ihn sein Herr nun nach Toboso hineinschicken sollte. Endlich beschloß Don Quixote, sich nur mit der Nacht in die Stadt zu begeben. Während der Zeit hielten sie unter einigen Eichen still, die sich bei Toboso befanden; als aber die rechte Zeit heraufgekommen, zogen sie in die Stadt, wo ihnen Dinge begegneten, die wohl große Dinge zu nennen sind.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 53-58.
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