Elftes Kapitel.

[441] Von dem Verdrusse, welcher dem Sancho Pansa bei dem Besuche auf den Galeeren begegnete, nebst dem neuen Abenteuer von der schönen Moriskin.


Don Quixote stellte viele Überlegungen über die Antwort des bezauberten Kopfes an, wovon keine einzige auf den wahren Zusammenhang traf, doch beruhigte er sich bei dem Versprechen, welches er für zuverlässig hielt, daß Dulcinea entzaubert werden sollte. Dies nur war sein Dichten und Trachten, und er freute sich schon bei sich selbst, daß er bald alle seine Wünsche erfüllt sehen würde, und Sancho, ob er es gleich, wie gesagt, verabscheute, ein Statthalter zu sein, hatte doch von neuem Lust, zu befehlen und sich gehorchen zu sehen: solches Übel steckt im Befehlen, wenn es einer auch nur einmal im Spaße getan hat. Am Nachmittage begaben sich Don Antonio Moreno, sein Wirt, nebst seinen beiden Freunden mit Don Quixote und Sancho auf die Galeeren. Der Admiral, der schon die Nachricht bekommen hatte, daß ihn die berühmten Leute Don Quixote und Sancho besuchen wollten, ließ sogleich, als sie am Ufer waren, die Decken herunternehmen und die Trompeten blasen; alsdann setzte man ein Boot ins Wasser, das mit reichen Tapeten und karmesinroten Kissen von Samt bedeckt war, und sowie Don Quixote den Fuß nur in das Boot hineinsetzte, wurde auf der Hauptgaleere die große Kanone gelöst, die übrigen Galeeren taten das nämliche, und als Don Quixote die Leiter hinaufstieg, begrüßte ihn das ganze Schiffsvolk, wie es gebräuchlich ist, wenn eine Standesperson die Galeere betritt, mit einem dreimaligen: »Hussa!« Der General, denn so wollen wir ihn nennen, der ein angesehener valenzischer Ritter war, reichte ihm[442] die Hand; er umarmte Don Quixote und sagte: »Diesen Tag werde ich mit einem weißen Steine bezeichnen, denn er ist einer von den glücklichsten, welche ich zu erleben denke, da ich an diesem Tage den Herrn Don Quixote von la Mancha gesehen habe: den Inbegriff und die Blüte aller Tapferkeit der ganzen irrenden Ritterschaft.«

Don Quixote antwortete mit anderen, nicht weniger höflichen Reden und freute sich über die Maßen, sich so als einen großen Herrn behandelt zu sehen. Alle begaben sich nach dem Hinterteile, welches schön aufgeschmückt war, und setzten sich dort auf den Bänken nieder; der Schiffspatron ging nach den Ruderbänken und gab mit seiner Pfeife ein Zeichen, daß alle Ruderknechte die Kleider ablegen sollten, welches auch in einem Augenblicke geschah. Sancho, der so viele halbnackte Menschen sah, wurde bange, vorzüglich, da er nun die Arbeit selbst in größter Eile vornehmen sah, denn er glaubte nicht anders, als daß alle Teufel dort wirtschafteten; das war aber alles nur noch Feinheit und liebliche Sache gegen das, was wir jetzt erzählen werden. Sancho saß hinten auf der Stange neben dem rechten Steuermann, dieser, der schon unterrichtet war, was er zu tun habe, faßte den Sancho und hob ihn in seinen Armen auf, alle Ruderknechte waren indessen aufgestanden und in Bereitschaft, und die auf der rechten Seite fingen an, ihn mit der größten Schnelligkeit von Bank zu Bank aus einer Hand in die andere zu reichen und herumzuwerfen, so daß dem armen Sancho Hören und Sehen verging und er gewiß glaubte, daß ihn alle Teufel holten; sie hörten auch nicht eher auf, als bis er auch die linke Seite so durchgemacht hatte, worauf sie ihn wieder auf das Hinterteil des Schiffes niederlegten. Der Arme war ermattet, ohne Atem und in Schweiß, ohne sich nur besinnen zu können, was ihm eigentlich begegnet sei. Don Quixote, welcher sah, wie Sancho ohne Flügel fliegen lernte, fragte den General, ob dieses eine Zeremonie sei, die man gewöhnlich mit denen vorzunehmen pflege, welche zuerst die Galeeren betreten; wenn dieses der Fall sei, so wolle er sich, da er nicht die Absicht habe, ein Seemann zu werden, dieser Übung durchaus nicht unterwerfen und er schwöre zu Gott, daß, wenn ihn einer anfasse, um ihn auch so fliegen zu lassen, er ihm die Seele in Stücke hauen wolle. Und mit diesen Worten stand er auf und legte die Hand an den Degen. Indem zog man die Segel ein und ließ mit lautem Krachen die Segelstange von oben niederfallen. Sancho glaubte, der Himmel drehe sich aus seinen Angeln und stürze ihm auf den Kopf, weshalb er diesen furchtsam einzog und ihn zwischen die Beine steckte. Auch Don Quixote blieb nicht ganz ruhig, er erschrak ebenfalls, zog die Schultern ein und verlor die Farbe im Gesichte. Das Schiffsvolk erhob hierauf die Segelstange wieder mit ebender Schnelligkeit und dem Gepolter, wie sie sie niedergelassen hatten, und alles schweigend, als wenn sie weder Stimme noch Atem gehabt hätten. Der Patron gab ein Zeichen, die Anker zu lichten, und indem er mit einer Karbatsche oder einem Kantschu auf die Bänke sprang, fing er an, auf die Rücken der Ruderknechte zu peitschen und nach und nach das Meer zu gewinnen. Als Sancho sah, daß sich viele farbige Beine auf einmal bewegten – denn dafür hielt er die Ruder –, sagte er zu sich selber: Dieses sind wahrhaftig bezauberte Dinge, nicht aber die, die mein Herr dafür hält. Was haben die armen Kerle getan, daß sie so geprügelt werden? Und wie kann sich dieser einzige Mensch, der da mit seiner Pfeife herumläuft, unterstehen, so viele Leute zu schlagen? Ja wahrhaftig, das muß hier die Hölle sein oder doch wenigstens das Fegefeuer.

Don Quixote, welcher die Aufmerksamkeit sah, mit welcher Sancho alles betrachtete, was vorging, sagte zu ihm: »Nun, Freund Sancho, ei wie schnell und mit wie wenigen Umständen könntest du jetzt, wenn du wolltest, dich bis auf den Gürtel ausziehen, dich unter diese Herren setzen und so die Entzauberung der Dulcinea vollenden! denn unter der Angst und Not so vieler Leute würdest du die deinige kaum bemerken; es könnte sich außerdem noch fügen, daß der weise Merlin jeglichen von diesen Streichen, weil sie so derb fallen, für zehn von denen rechnete, die du dir doch endlich geben mußt.«[443]

Der General wollte fragen, was das mit den Streichen oder der Entzauberung der Dulcinea sei, als der Bootsmann rief: »Der Monjuich gibt ein Zeichen, daß sich ein Schiff mit Rudern auf der westlichen Seite sehen läßt.«

Als der General dies hörte, sprang er auf die Bänke und sagte: »Auf, Kinder, das soll uns nicht entrinnen; das muß eine korsarische Brigantine von Algier sein, die jene auf dem Turme gesehen haben.«

Es näherten sich sogleich die drei anderen Galeeren dem Admiralschiffe, um die Befehle zu vernehmen. Der General befahl, daß die beiden anderen sich in das Meer begeben sollten, er aber wollte sich mit den seinigen hart am Lande halten, denn so könne ihnen das Fahrzeug nicht entwischen. Das Schiffsvolk legte die Ruder ein, worauf sie mit solcher Wut zu arbeiten anfingen, daß es aussah, als wenn die Galeeren davonflögen. Diejenigen, die sich ins Meer begeben hatten, entdeckten in der Entfernung von zwei Meilen ein Fahrzeug, das sie als von etwa vierzehn oder funfzehn Rudern bezeichneten, wie es sich auch in der Tat verhielt. Das Fahrzeug, als es die Galeeren sah, machte sich auf die Flucht, in der Absicht und Hoffnung, durch seine Leichtigkeit zu entwischen; aber es geriet ihm übel, denn die Hauptgaleere war eins der leichtesten Fahrzeuge, und darum sahen die auf der Brigantine wohl ein, daß sie nicht entfliehen könnten, deshalb wollte ihr Anführer, sie sollten die Ruder fallen lassen und sich ergeben, um nicht den Zorn des Kapitäns zu reizen, welcher unsere Galeeren kommandierte; das Schicksal aber, welches es anders lenkte, fügte, daß die Hauptgaleere, indem sie so nahe gekommen waren, daß die auf dem Fahrzeuge hören konnten, wie man ihnen zurief, sie sollten sich ergeben, von den zwölf Türken, die sich auf der Galeere befanden, zwei, welche betrunken waren, ihre Musketen abfeuerten, womit sie zwei Soldaten töteten, die sich auf dem Verdeck befanden. Als dies geschehen war, schwur der General, keinem, so viele sich auch auf dem Fahrzeuge befinden möchten, das Leben zu schenken, worauf er es mit aller Wut angreifen ließ, es ihm aber unter den Rudern entwischte. Die Galeere kam ihm eine ziemliche Strecke voraus; die auf dem Fahrzeuge sahen sich verloren; sie setzten alle Segel bei, indessen sich die Galeere wieder wandte, und machten sich von neuem mit allen Segeln und Rudern auf die Flucht; diese Eile aber war ihnen ebensowenig nützlich, als ihnen ihre Verwegenheit sehr schädlich gewesen war, denn auf eine halbe Meile holte sie die Hauptgaleere wieder ein und nahm sie alle lebendig gefangen. Indem kamen auch die beiden Galeeren wieder herzu, und alle vier begaben sich mit ihrer Beute nach dem Strande, wo unzählige Menschen standen und sehen wollten, was sie mit sich brächten. Der General ließ nahe am Lande Anker werfen und sah, daß sich am Ufer der Vizekönig der Stadt befand. Er ließ ein Boot aussetzen, um ihn herbeizuführen, und die Segelstange herunterlassen, um den Anführer und die übrigen Türken aufzuhängen, die er in dem Fahrzeuge gefangen hatte, welches an sechsunddreißig waren, alles schöne Leute und die meisten türkische Schützen. Der General fragte, wer der Anführer der Brigantine sei, und einer von den Gefangenen antwortete in kastilianischer Sprache – von dem man nachher erfuhr, daß er ein spanischer Renegat war –: »Dieser junge Mensch, den Ihr hier seht, gnädiger Herr, ist unser Anführer«; wobei er auf einen der schönsten und lieblichsten Jünglinge zeigte, den sich die menschliche Phantasie nur vorstellen kann; dem Anscheine, nach hatte er noch keine zwanzig Jahre er reicht. Der General fragte ihn: »Sage mir, wütender Hund, was hat dich bewogen, meine Soldaten umzubringen, da du doch sahst, es war unmöglich, zu entrinnen? Darf man sich so gegen Hauptgaleeren betragen? Weißt du denn nicht, daß Tollkühnheit keine Tapferkeit ist? Eine ungewisse Hoffnung darf den Menschen wohl mutig, aber nicht verwegen machen.« Der Anführer wollte antworten, aber der General konnte ihn in diesem Augenblicke nicht hören, weil er fortging, um den Vizekönig zu empfangen, der soeben in die Galeere stieg, mit dem zugleich einige seiner Bedienten und einige Leute aus der Stadt kamen. »Ihr habt gute Jagd gehabt, Herr General«, sagte der Vizekönig.[444]

»Nicht mehr, nicht weniger«, antwortete der General, »als sie Eure Exzellenz sogleich an dieser Segelstange wird angeknüpft sehen.«

»Wie das?« versetzte der Vizekönig.

»Weil sie mir«, antwortete der General, »gegen alles Gesetz, Kriegsgebrauch und Recht zwei meiner besten Soldaten umgebracht haben, die auf diesen Galeeren waren, und ich habe geschworen, alle Gefangenen aufzuknüpfen, vorzüglich diesen Burschen, der der Anführer der Brigantine ist«; wobei er auf ihn zeigte, dem schon die Hände gebunden und der Strick um den Hals gelegt war, so daß er seinen Tod erwartete.

Der Vizekönig betrachtete ihn, und da er ihn so schön, edel und demütig fand, indem in diesem Augenblicke seine Schönheit einen Empfehlungsbrief abgab, faßte er den Entschluß, seinen Tod zu verhindern, darum fragte er ihn: »Sage mir, Anführer, bist du ein Türke von Geburt oder ein Mohr oder ein Renegat?«

Worauf der Jüngling in der nämlichen kastilianischen Sprache antwortete: »Weder bin ich ein Türke von Geburt noch ein Mohr, noch ein Renegat.«

»Aber was bist du denn?« versetzte der Vizekönig.

»Ein christliches Mädchen«, antwortete der Jüngling.

»Ein christliches Mädchen, in dieser Kleidung und in dieser Lage? Darüber mag man sich leicht wundern, es aber schwerer glauben.«

»Schiebt noch«, sagte der Jüngling, »meine Hinrichtung auf, denn Eure Rache wird nichts dabei verlieren, wenn Ihr sie noch so lange verzögert, bis ich Euch die Geschichte meines Lebens erzählt habe.«

Welches Herz wäre wohl so hart gewesen, das sich bei diesen Worten nicht erweicht hätte, wenigstens um das anzuhören, was der schwermütige und klagende Jüngling erzählen wollte. Der General sagte, er möchte sprechen, was er wolle, er möge aber nicht hoffen, Verzeihung für seine offenbare Schuld zu erlangen. Mit dieser Erlaubnis fing der Jüngling auf folgende Weise an:

»Unter jener Nation, die mehr unglückselig als weise war und auf welche seit kurzem ein Meer von Elend herniedergeregnet ist, wurde ich geboren, von mohrischen Eltern erzeugt. In dem Laufe meines Unglücks wurde ich von zwei Oheimen nach der Barbarei geführt, ohne daß es mir etwas half, daß ich sagte, ich sei eine Christin, wie ich es in der Tat bin, und zwar keine von den verstellten und unlautern, sondern von den wahrhaftigen und katholischen. Diese Wahrheit aber galt bei denen nichts, die das Geschäft unserer unglücklichen Verbannung zu besorgen hatten, ebensowenig wollten sie meine Oheime glauben, sondern sie hielten es für Lüge und Erfindung von mir, um nur in dem Lande zu bleiben, in welchem ich geboren war, und deshalb nahmen sie mich mit sich, indem ich weniger freiwillig ging als mit Gewalt gezwungen wurde. Ich hatte eine christliche Mutter und einen verständigen christlichen Vater; ich sog den katholischen Glauben schon mit der Muttermilch ein und wurde in guten Sitten auferzogen; weder in der Sprache noch in Sitten glaubte ich mich jemals als eine Moriske zu zeigen. Mit diesen Tugenden – denn dafür halte ich sie – nahm meine Schönheit zu, wenn ich einige besitze, und ob ich gleich sehr einsam und zurückgezogen lebte, so mußte dies doch nicht so sehr der Fall sein, daß ein junger Ritter nicht Gelegenheit gefunden hätte, mich zu sehen, welcher Don Gaspar Gregorio hieß, der älteste Sohn eines Ritters, der neben unserm Wohnsitz den seinigen hatte. Wie er mich sah, mit mir sprach, sich in mich verliebte und ich ihm noch nicht sehr zugetan war, wäre zu weitläuftig zu erzählen, besonders in einer Zeit, in der ich fürchten muß, daß dieses grausame Seil, welches mir droht, sich zwischen meine Zunge und Kehle drängt; ich will also nur sagen, wie mich bei unsrer Verbannung Don Gregorio begleiten wollte. Er mischte sich unter die Morisken, die von andern Örtern kamen, weil er ihre Sprache sehr gut zu reden wußte, und auf dem Wege ward er der Freund von meinen beiden Oheimen, mit denen[445] ich gehen mußte: denn mein kluger und vorsichtiger Vater entfernte sich, sowie er den ersten Befehl wegen unsrer Verbannung gehört hatte, aus unserm Ort, um in fremden Reichen einen zu suchen, der uns aufnehmen könnte. An einer Stelle, um welche ich allein nur weiß, hatte er viele Perlen und Steine von großem Werte verborgen und eingegraben, auch eine Summe Geldes in goldenen Dublonen. Er gebot mir, daß ich diesen Schatz auf keine Weise anrühren solle, wenn wir auch vielleicht eher vertrieben würden, als er zurückkomme. Dieses tat ich und kam, wie schon gesagt, mit meinen Oheimen und andern Verwandten und Bekannten in der Barbarei an, und der Ort, in welchem wir uns niederließen, war Algier, welcher für mich die Hölle selber war. Der König bekam Nachricht von meiner Schönheit, auch sagte ihm das Gerücht von meinen Reichtümern, welches noch zum Teil mein Glück war. Er ließ mich vor sich kommen und fragte mich, aus welchem Teile von Spanien ich sei und wieviel Geld und Juwelen ich bei mir hätte. Ich nannte ihm die Gegend und sagte, daß Juwelen und Geld dort eingegraben lägen; daß man sie aber leicht bekommen könnte, wenn ich selber nach ihnen zurückreiste. Alles dieses sagte ich, damit ihn nicht meine Schönheit, sondern seine Habsucht verblenden möchte. Indes er noch mit mir sprach, brachte man ihm die Nachricht, daß mit mir einer der edelsten und schönsten Jünglinge gekommen sei, die man sich nur vorstellen könne. Ich merkte gleich, daß von Don Gaspar Gregorio die Rede sei, dessen Schönheit alles weit übertrifft, was man beschreiben kann. Ich erschrak, weil ich an die Gefahr dachte, in der sich Don Gregorio befand, denn unter diesen barbarischen Türken wird ein schöner Jüngling höher geschätzt als ein Mädchen, wenn sie auch die allerschönste wäre. Der König befahl sogleich, man sollte ihn vorführen, daß er ihn sehen könne, wobei er mich fragte, ob es die Wahrheit sei, was man von diesem jungen Menschen erzähle. Ich, als wenn es mir in diesem Augenblicke vom Himmel eingegeben würde, sagte ja; er müsse aber zugleich erfahren, daß er kein Mann sei, sondern ein Mädchen wie ich, ich bäte ihn daher, er möchte mir erlauben, ihn in seine natürliche Tracht zu kleiden, damit er sich in seiner ganzen Schönheit zeigen und unverdunkelt vor ihm erscheinen möge. Er antwortete, wie er es gern erlaube und daß wir am folgenden Tage darüber sprechen wollten, wie ich nach Spanien zurückkehren könne, um den vergrabenen Schatz zu heben. Ich sprach mit Don Gaspar und erzählte ihm die Gefahr, in der er sich befände, wenn man ihn für einen Mann hielt; ich kleidete ihn als Mohrin und stellte ihn noch am nämlichen Abend dem Könige vor, der, sowie er ihn sah, in Erstaunen geriet und beschloß, ihn aufzubewahren und mit ihm dem Großherrn ein Geschenk zu machen; um ihn aber der Gefahr zu entziehen, in der er sich unter den Weibern seines Serails befinden könne, und weil er sich selber nicht traute, befahl er, ihn in das Haus einiger vornehmen Mohrinnen zu bringen, die ihn bewachten und bedienten, wohin er auch sogleich abgeführt wurde. Was wir beide empfanden – denn ich kann nicht leugnen, daß ich ihn liebe –, laß ich diejenigen erwägen, die getrennt wurden und sich lieben. Der König machte alsbald Anstalt, daß ich in dieser Brigantine nach Spanien zurückkehren und mich zwei geborne Türken begleiten sollten, welches eben diejenigen sind, die eure Soldaten getötet haben. Auch dieser spanische Renegat reiste mit mir« – indem sie auf den zeigte, welcher zuerst gesprochen hatte –, »von dem ich gewiß weiß, daß er ein heimlicher Christ ist und daß er mehr mit dem Vorsatz mitging, in Spanien zu bleiben als nach der Barbarei zurückzukehren; das übrige Schiffsvolk auf der Brigantine sind nur Mohren und Türken, die bloß dazu gedient haben, die Ruder zu regieren. Diese beiden habsüchtigen und verwegenen Türken kehrten sich nicht an den Befehl, der uns mitgegeben war, daß sie mich und diesen Renegaten in christlichen Kleidern, mit denen wir versehen sind, gleich auf der spanischen Küste an das Land setzen sollten, sondern sie wollten erst an diesem Ufer streifen, um, wo möglich, eine Beute zu machen, weil sie fürchteten, daß, wenn sie uns gleich ans Land setzten, es vielleicht durch irgendeinen Zufall, der uns begegnete, entdeckt werden könnte, daß sich eine Brigantine in See befinde und daß sie so von Galeeren, wenn welche da lägen, genommen[446] würden. Heute entdeckten wir diese Reede, und ohne daß wir von diesen vier Galeeren etwas wußten, wurden wir entdeckt, und uns widerfuhr das, was Ihr wißt. Don Gregorio ist nun in Weiberkleidern unter Weibern zurückgeblieben, in der äußersten Gefahr seines Verderbens, und ich stehe hier mit gebundenen Händen, in der Erwartung oder, richtiger zu reden, in der Furcht, ein Leben zu verlieren, dessen ich überdrüssig bin. Dieses, meine Herren, ist der Beschluß meiner traurigen Geschichte, die ebenso wahrhaftig als unglückselig ist; ich bitte Euch nur noch, daß Ihr mich als eine Christin sterben laßt, denn, wie schon gesagt, ich bin durch nichts in die Schuld verwickelt, welcher sich meine Nation teilhaftig gemacht hat.«

Hiermit schwieg sie, die Augen mit rührenden Tränen angefüllt, welche viele von denjenigen, die sich gegenwärtig befanden, ebenfalls vergossen. Der Vizekönig, mitleidig und gerührt, ging, ohne ein Wort zu sprechen, zu ihr und löste die Bande mit seinen Händen auf, mit welchen die überaus schönen der Mohrin gefesselt waren. Während die christliche Mohrin ihre betrübte Pilgerschaft erzählte, heftete die Augen unverwandt auf sie ein alter Pilgrim, der in die Galeere gekommen war, als der Vizekönig einstieg, und kaum hatte die Moriske ihre Rede geendigt, als dieser sich zu ihren Füßen stürzte, sie umschlang und von tausend Seufzern und Tränen unterbrochen ausrief: »O Anna Felix, meine unglückselige Tochter, ich bin dein Vater Ricote, der wiedergekommen ist, dich zu suchen, weil er ohne dich nicht leben kann, denn du bist meine Seele.«

Bei diesen Worten tat Sancho die Augen auf und erhob den Kopf, den er niedergesenkt hielt, immer noch über den Unfall seines Herumschleuderns nachdenkend; er betrachtete den Pilgrim und erkannte ihn für den nämlichen Ricote, dem er an dem Tage begegnet war, als er seine Statthalterschaft verließ; er überzeugte sich auch, daß jene seine Tochter sei, die schon in den Armen des Vaters lag und ihre Tränen mit den seinigen vermischte; dieser sagte zum General und Vizekönige: »Diese, Señores, ist meine Tochter, in ihren Schicksalen unglücklicher als in ihrem Namen. Anna Felix heißt sie, mit dem Zunamen Ricote, ebenso berühmt wegen ihrer Schönheit als wegen meines Reichtums; ich verließ mein Vaterland, um in fremden Ländern eins zu suchen, welches uns aufnähme und Sicherheit verliehe, und nachdem ich es in Deutschland gefunden hatte, kehrte ich in dieser Tracht eines Pilgrims mit andern Deutschen zurück, um meine Tochter zu suchen und viele Kostbarkeiten auszugraben, die ich verborgen hatte. Meine Tochter fand ich nicht, den Schatz fand ich, welchen ich bei mir trage, und jetzt habe ich auf die seltsame Weise, die Ihr gesehen habt, den Schatz gefunden, der mich weit reicher macht, und dieser ist meine geliebte Tochter; können unsere geringe Schuld, ihre Tränen und die meinigen bei Eurer unbestechlichen Gerechtigkeit der Barmherzigkeit Tore eröffnen, so laßt uns sie angedeihen, denn nie haben wir Euch mit einem Gedanken beleidigen wollen, auch haben wir niemals in die Absichten der unsrigen mit eingestimmt, die allerdings mit Recht verbannt sind.«

Sancho sagte hierauf: »Ich kenne den Ricote sehr gut und weiß, daß er darin die Wahrheit sagt, wenn er die Anna Felix für seine Tochter ausgibt, auf die übrigen Weitläuftigkeiten aber von Gehen und Kommen, guter oder schlechter Absicht lasse ich mich nicht ein.«

Fast alle Gegenwärtigen waren über diese seltsame Begebenheit erstaunt, und der General sagte: »Sei es, wie es sei, Eure Tränen erlauben durchaus nicht, daß ich meinen Schwur erfüllen könnte; lebt, schöne Anna Felix, die Jahre Eures Lebens, welche Euch der Himmel bestimmt hat, die Strafe ihres Verbrechens sollen die Verwegenen und Tollkühnen davontragen, welche dieses begangen haben.« Er befahl hierauf, die beiden Türken aufzuknüpfen, welche seine Soldaten getötet hatten; aber der Vizekönig bat ihn sehr dringend, sie nicht umbringen zu lassen, weil sie mehr Torheit als Verwegenheit gezeigt hätten. Der General tat, warum ihn der Vizekönig bat, denn man übt mit kaltem Blute nur selten[447] Rache aus. Es wurde zugleich auf Mittel gesonnen, wie man den Don Gregorio aus der Gefahr befreien könne, in welcher er zurückgeblieben war. Ricote bot für ihn mehr als zweitausend Dukaten, welche er in Perlen und Juwelen bei sich hatte. Viele Anschläge wurden gemacht; aber keiner war so ausführbar als der, welchen der spanische Renegat angab, welcher sich erbot, auf einer kleinen Barke von sechs Rudern, mit christlichen Ruderern besetzt, nach Algier zurückzukehren, denn er wußte, wann, wo und wie er an das Land steigen müßte; auch war ihm das Haus nicht unbekannt, in welchem Don Gaspar geblieben war. Der General und der Vizekönig hatten Bedenken, sich auf den Renegaten zu verlassen und ihm die Christen zu vertrauen, die an die Ruder gestellt werden sollten. Anna Felix verbürgte sich für ihn, und ihr Vater Ricote sagte, daß er die Christen wieder auslösen wolle, wenn sie in die Gefangenschaft geraten sollten. Nachdem dieses beschlossen war, stieg der Vizekönig wieder ans Land, und Don Antonio Moreno führte die Moriske und ihren Vater mit sich, und der Vizekönig bat ihn, sie so gut und freundlich zu bewirten, als es ihm nur möglich sei; wobei er alles anbot, was in seinem Hause zu ihrer Bewirtung dienen könne: so groß war das Wohlwollen und die Freundschaft, welche die Schönheit der Anna Felix seinem Herzen eingeflößt hatte.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 441-448.
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