Zehntes Kapitel.

[431] Welches von dem Abenteuer mit dem bezauberten Kopfe handelt, nebst andern Kindereien, die in der Erzählung nicht ausgelassen werden dürfen.


Don Antonio Moreno hieß der Wirt des Don Quixote, ein reicher und gebildeter Ritter, der sich gern auf eine anständige Weise ergötzte; da dieser den Don Quixote in seinem Hause hatte, dachte er auch auf eine Art, wie er, ohne ihm zu schaden, seine Narrheit in Tätigkeit bringen könne, denn das ist kein Scherz, der wehe tut, und kein Zeitvertreib ist zu rühmen, wenn er einem Dritten zum Nachteile gereicht. Was er zuerst tat, war, sich den Don Quixote entwaffnen zu lassen, worauf er ihn in seiner engen, gemsledernen Kleidung – wie wir ihn schon mehrmals beschrieben und geschildert haben – auf einen Balkon hinausführte, der auf eine der Hauptstraßen der Stadt stieß, wo er von allen Leuten und den Gassenjungen nicht anders beschaut wurde, als wenn er ein Affe wäre. Die in den Livreen machten aufs neue vor ihm ihre Übungen, als wenn es nur seinetwegen allein geschähe, nicht aber den Festtag zu begehen, daß sie so geschmückt waren; und Sancho war äußerst vergnügt, denn er glaubte plötzlich und ohne sein Zutun eine zweite Hochzeit des Camacho, ein zweites Haus wie das des Diego de Miranda und ein zweites Schloß wie das des Herzogs gefunden zu haben.

An diesem Tage speiste Don Antonio mit einigen seiner Freunde, die alle dem Don Quixote als einem irrenden Ritter mit der größten Ehrerbietung begegneten, worüber er sich so stolz und aufgeblasen fühlte, daß er sich vor Vergnügen nicht zu lassen wußte. Sancho machte so viele Spaße, daß alle Bedienten im[432] Hause und alle, die ihm zuhörten, an seinen Mund gleichsam gefesselt waren. Bei Tische sagte Don Antonio zu Sancho: »Wir haben hier erfahren, wackerer Sancho, wie Ihr ein so großer Freund von Gallert und Fleischklößchen seid, daß, wenn Euch davon etwas übrigbleibt, Ihr es im Busen für den folgenden Tag aufbewahrt.«

»Nein, gnädiger Herr, dem ist nicht so«, antwortete Sancho, »denn ich bin reinlich und nicht gierig, und mein gnädiger Herr Don Quixote, der sich gegenwärtig befindet, weiß recht gut, daß wir uns oft mit einer Handvoll Eicheln und Nüsse wohl acht Tage zu behelfen pflegen; es ist wahr, daß, wenn es mir einmal begegnet, daß sie mir schenken die Kuh, so lauf ich mit dem Stricke zu; ich meine, daß ich esse, was man mir gibt, und daß ich die Zeiten nehme, wie ich sie finde; wer aber sagen will, daß ich ein ungeziemlicher und unreinlicher Fresser sei, der mag mir glauben, daß er nicht die Wahrheit spricht, und ich würde dies noch auf eine andre Art sagen, wenn ich nicht die ehrenvollen Bärte bedächte, die hier am Tische sind.«

»Wahrlich«, sagte Don Quixote, »die Kärglichkeit und Reinlichkeit, mit welcher Sancho ißt, verdient wohl auf erzene Tafeln geschrieben und gegraben zu werden, damit sie den künftigen Zeitaltern zum ewigen Gedächtnisse bleiben. Wahr ist es, daß, wenn er Hunger hat, er etwas gierig scheint, denn er ißt alsdann hastig und kaut auf beiden Backen; aber dennoch geht ihm die Sauberkeit über alles, und in der Zeit, in welcher er Statthalter war, aß er mit solcher Zimpferlichkeit, daß er sogar die Weinbeeren, ja selbst die Kerne der Granate mit dem Munde von der Gabel nahm.«

»Wie!« rief Don Antonio aus, »Statthalter ist Sancho gewesen?«

»Ja«, antwortete Sancho, »und zwar von einer Insel, die Barataria hieß. Zehn Tage habe ich sie regiert, daß es nur so sein mußte; in der Zeit verlor ich meine Ruhe und lernte alle Statthalterschaften auf der Welt verachten; ich lief endlich heraus, fiel in eine Höhle, wo ich mich schon für gestorben hielt, aus der ich aber doch durch ein Wunderwerk lebendig herauskam.«

Don Quixote erzählte umständlich den ganzen Verlauf von der Statthalterschaft des Sancho, womit er den Zuhörern ein großes Vergnügen verschaffte.

Man stand vom Tische auf, und Don Antonio faßte den Don Quixote bei der Hand und ging mit ihm in ein abgelegenes Zimmer, in welchem sich keine andere Verzierung befand als ein Tisch, dem Anscheine nach von Jaspis, der auf einem Fuße von dem nämlichen Steine ruhte und auf den nach Art der Köpfe von römischen Kaisern eine Büste gestellt war, die von Bronze zu sein schien. Don Antonio ging mit Don Quixote im Zimmer auf und ab, indem sie oftmals um den Tisch gingen; endlich sagte er zu ihm: »Jetzt, Herr Don Quixote, da ich überzeugt bin, daß uns keiner sehen oder hören kann und daß diese Tür verschlossen ist, will ich Euch, mein Herr, eins der wunderbarsten Abenteuer oder, richtiger zu reden, eine Seltsamkeit erzählen, die man kaum wunderlicher ersinnen könnte, doch unter der Bedingung, daß dasjenige, was ich Euch sagen will, in den letzten Tiefen des Geheimnisses aufbewahrt werden muß.«

»Das schwöre ich Euch«, antwortete Don Quixote, »ja, ich will zu größerer Sicherheit einen Grabstein darüber wälzen, so daß Ihr wissen müßt, Herr Don Antonio« – denn sein Name war ihm schon bekannt –, »daß derjenige, mit dem Ihr sprecht, zwar ein Ohr hat, zu hören, aber keine Zunge, um zu sprechen, so daß Ihr mit Sicherheit dasjenige in meinen Busen ausschütten könnt, was Ihr in dem Eurigen habt, und zugleich überzeugt sein, daß Ihr es alsdann zu den Abgründen des Stillschweigens hinunterstürztet.«

»Im Vertrauen auf dieses Versprechen«, antwortete Don Antonio, »will ich Euch durch das, was Ihr sehen und hören werdet, in Verwunderung versetzen und mir selbst eine Erleichterung meiner Qual verschaffen, die dadurch entsteht, daß ich niemanden habe, dem ich meine Geheimnisse mitteilen kann, denn sie sind von der Art, daß man sie nicht allen vertrauen darf.«[433]

Don Quixote war gespannt, indem er erwartete, wo diese Einleitungen hinauswollten. Indes faßte Don Antonio seine Hand und führte sie über den Kopf von Bronze, über den ganzen Tisch und über das Fußgestell von Jaspis, auf welchem er ruhte, und sagte hierauf: »Dieser Kopf, Herr Don Quixote, ist ausgearbeitet von einem der größten Zauberer und Hexenmeister, die die Welt noch gehabt hat; ich glaube, er war seiner Geburt nach ein Pole und ein Schüler des berühmten Scoto, von dem so viele Wunder erzählt werden; er war hier in meinem Hause und hat mir für die Belohnung von tausend Talern, die ich ihm gab, diesen Kopf verfertigt, der die Eigenschaft und Tugend besitzt, daß er auf alles antwortet, worüber man ihn ins Ohr befragt. Er machte seine Zirkel, malte Charaktere, beobachtete die Gestirne, zeichnete seine Punkte, und kurz, brachte ihn mit der Vollkommenheit hervor, die wir morgen an ihm sehen werden, denn alle Freitage ist er stumm, und da heute dieser Tag ist, so müssen wir notwendig bis morgen warten. Indessen könnt Ihr darüber nachdenken, was Ihr ihn fragen wollt, denn ich weiß aus Erfahrung, daß er in allen seinen Antworten die Wahrheit spricht.«

Don Quixote war über die Tugend und Eigenschaft des Kopfes in Verwunderung und konnte dem Don Antonio keinen Glauben beimessen; da aber nur ein so kurzer Zwischenraum war, um die Erfahrung zu machen, so wollte er nichts weiter sagen, außer daß er ihm dafür dankte, daß er ihm ein so großes Geheimnis anvertraut habe. Sie verließen das Zimmer, Don Antonio verschloß die Tür mit einem Schlüssel, worauf sie sich in den Saal begaben, in welchem sich die übrigen Ritter befanden. Indessen hatte Sancho diesen viele Abenteuer und Begebenheiten erzählt, die seinem Herrn zugestoßen waren. Am Abend nahmen sie Don Quixote, um mit ihnen auszugehen, nicht bewaffnet, sondern zum Spazierritt, bekleidet mit einem langen Talar von lichtbraunem Tuche, in welchem der Frost damals Schweiß hätte vergießen können. Sie befahlen ihren Dienern, den Sancho so zu unterhalten, daß er durchaus nicht aus dem Hause käme. Don Quixote ritt nicht auf dem Rozinante, sondern auf einem ansehnlichen Maultiere, das bequem ging und schön aufgeschmückt war. Sie legten ihm den Talar an und hefteten ihm, ohne daß er es gewahr wurde, auf dem Rücken ein Pergament fest, auf dem mit großen Buchstaben geschrieben stand: Dieses ist Don Quixote von la Mancha. Sowie sie ihren Ritt anfingen, zog der Zettel die Augen aller auf sich, die ihn betrachten wollten, und sowie sie lasen: Dieses ist Don Quixote von la Mancha, verwunderte sich Don Quixote, daß alle, die ihn sahen, ihn nannten und kannten, er wendete sich zu Don Antonio, der an seiner Seite ritt, und sprach zu ihm: »Groß ist der Vorzug, den die irrende Ritterschaft in sich begreift, denn derjenige, der sich ihr widmet, wird dadurch in allen Teilen der Erde bekannt und berühmt: denn seht nur, Herr Don Antonio, daß selbst die Gassenjungen dieser Stadt mich kennen, ohne mich jemals gesehen zu haben.«

»So ist es, Herr Don Quixote«, antwortete Don Antonio, »denn wie das Feuer nicht verschlossen und verborgen bleiben kann, so kann auch die Tugend nicht unbekannt bleiben, und der Ruhm, der durch die Ausübung der Waffen erworben wird, überleuchtet und überglänzt jeden andern Ruhm.«

Es traf sich, daß, indem Don Quixote unter dem Geschrei fortritt, ein Kastilianer, der den Zettel auf den Schultern las, mit lauter Stimme sagte: »Hole doch der Teufel den Don Quixote von la Mancha; wie, bis hierher bist du gekommen, ohne an den unzähligen Prügeln zu sterben, die du auf dem Buckel hast? Du bist ein Narr, und wenn du es nur allein wärst und innerhalb des Gebietes deiner Narrheit bliebst, so wäre das Übel noch geringer; aber du hast die Eigenschaft, alle diejenigen in Narren und Dummköpfe zu verwandeln, die sich mit dir abgeben und mit dir umgehen, zum Beispiel diese Herren, die dich begleiten. Gehe doch, Dummkopf, nach deinem Hause zurück und sieh nach deinem Vermögen, nach deiner Frau und deinen Kindern und unterlaß diese einfältigen Streiche, die dir das Gehirn verzehren und den Verstand ganz abschöpfen.«[434]

»Freund«, sagte Don Antonio, »geht Eures Weges und gebt nicht Rat, wo man keinen von Euch verlangt. Der Herr Don Quixote von la Mancha ist sehr gescheit, und wir, die wir ihn begleiten, sind keine Toren; die Tugend muß geehrt werden, wo man sie auch immer finden mag, geht zum Henker und mengt Euch nicht in Sachen, die Euch nichts angehen.«

»Ihr habt bei Gott recht«, antwortete der Kastilianer, »denn diesem trefflichen Manne Rat geben heißt gegen den Stachel lecken; aber ich bedauere es dessenungeachtet sehr, daß der gute Verstand, den dieser Dummkopf in allen Dingen haben soll, so durch den Kanal seiner irrenden Ritterschaft abgeleitet wird; und der Henker, den Ihr nanntet, sei mit mir und mit allen meinen Nachkommen, wenn ich von heute an, und sollte ich selbst mehr Jahre als Methusalem erleben, irgend jemandem einen guten Rat gebe, und wenn er mich selbst darum bittet.«

Damit ging der Ratgeber weg, und der Spazierritt wurde fortgesetzt; aber das Gedränge der Jungen und der übrigen Leute, die den Zettel lesen wollten, war so groß, daß ihn Don Antonio ablösen mußte, als wenn er ihm sonst etwas abnähme.

Die Nacht kam, sie ritten nach Hause, wo sich eine Tanzgesellschaft von Damen befand, denn die Gemahlin des Don Antonio, die ebenso aufgeräumt als schön und verständig war, hatte einige Freundinnen zu sich eingeladen, damit sie ihrem Gaste Ehre erwiesen und sich an seinen unerhörten Narrheiten ergötzten. Es kamen verschiedene, die Abendmahlzeit war prächtig, und um zehn Uhr wurde der Ball eröffnet. Unter diesen Damen waren zwei, die zu Schelmereien und Possen aufgelegt waren, und ob sie gleich durchaus sittsam waren, konnten sie dennoch leichtfertig scheinen, um Veranlassung zu geben, daß ohne Widerwärtigkeit der Scherz alle erheitere. Diese wetteiferten miteinander, den Don Quixote zum Tanze aufzufordern, den sie nicht nur am Leibe, sondern auch in der Seele ermatteten. Es war merkwürdig, die Gestalt des Don Quixote zu sehen, so hoch, ausgereckt, dürr, bleich, mit engen Kleidern, ohne Anstand zum Tanz und äußerst schwerfällig. Die ausgelassenen Weiber bewarben sich wie heimlich um ihn, und er verschmähte sie ebenso heimlich; da er sich aber von ihren Zärtlichkeiten mehr bedrängt sah, rief er mit lauter Stimme: »Fugite, partes adversae! Laßt mich in Ruhe, ungeziemende Gedanken, fort von mir, Ihr Damen, mit Euren Wünschen! denn diejenige, welche meine Seele regiert, die unvergleichliche Dulcinea von Toboso, gibt es nicht zu, daß andere Reize als die ihrigen mich zum Sklaven machen.« Und mit diesen Worten setzte er sich in die Mitte des Saals auf die Erde nieder, ermüdet und zermalmt von der Arbeit des Springens. Don Antonio veranstaltete, daß man ihn in sein Bett trug, und der erste, der ihn anfaßte, war Sancho, welcher sagte: »Nun wißt Ihr's doch, mein gnädiger Herr, daß Ihr gesprungen habt; meint Ihr, daß alle tapfern Leute tänzerisch sind und alle irrenden Ritter springerisch? Nun, wenn Ihr das geglaubt habt, so seid Ihr im Irrtum gewesen; es gibt manchen, der sich untersteht, einen Riesen totzuschlagen, und der darum doch keine Kapriole schneiden kann; wär es darauf angekommen, einen Klatschtanz mit den Sohlen zu machen, so hätte ich mich für Euch einstellen können, denn mit den Sohlen kann ich klatschen wie ein Engel; aber im Tanzen bin ich auch nur ein Stümper.«

Mit diesen und andern Reden brachte Sancho alle zum Lachen, die auf dem Balle waren, er schaffte seinen Herrn ins Bett und deckte ihn warm zu, damit er die Erkältung von seinem Tanze ausschwitzen möchte.

Am folgenden Tage schien es Don Antonio gut, die Probe mit dem bezauberten Kopfe anzustellen, deshalb verschloß er sich mit Don Quixote, Sancho und zwei andern Freunden, nebst den beiden Damen, die Don Quixote zu Boden getanzt hatten und die in dieser Nacht bei der Gemahlin des Don Antonio geblieben waren, in dem Zimmer, in welchem der Kopf war. Er sagte ihnen die Eigenschaft, welche er besäße, empfahl ihnen die Verschwiegenheit und erklärte, daß dieses der erste Tag sei, an welchem er[435] die Kraft des bezauberten Kopfes versuchen wolle; außer den beiden Freunden des Don Antonio wußte keiner weiter um das Wesen mit dem Kopfe, und wenn es diesen Freunden Antonio nicht entdeckt hätte, so würden sie unvermeidlich in dasselbe Erstaunen verfallen sein, in welches die übrigen gerieten: so geschickt und künstlich war die Einrichtung.

Der erste, der sich dem Ohre des Kopfes näherte, war Don Antonio selbst, dieser sagte mit leiser Stimme, doch so laut, daß es alle hören konnten: »Sage mir, Kopf, durch die Kraft, welche du besitzest, welche Gedanken habe ich jetzt?«

Und der Kopf antwortete, ohne die Lippen zu bewegen, mit einer hellen und deutlichen Stimme, so daß alle folgendes vernehmen konnten: »Ich urteile nicht über Gedanken.«

Als sie dies hörten, waren alle erschrocken, da sie wohl sahen, daß weder im ganzen Zimmer noch in der Gegend des Tisches sich eine menschliche Person befand, welche hätte antworten können. »Wieviel sind wir hier«, fragte Don Antonio noch einmal, und zugleich wurde auf die nämliche Weise geantwortet: »Du nebst deiner Gemahlin und zwei Freunden von dir nebst zwei Freundinnen von ihr und ein berühmter Ritter, welcher Don Quixote von la Mancha heißt, und sein Stallmeister, Sancho Pansa mit Namen.«

Von neuem wohl verwunderten sich alle; von neuem richteten sich allen die Haare vor Entsetzen empor. Don Antonio trat vom Kopfe zurück und sagte: »Dies ist mir genug, um einzusehen, daß ich von demjenigen nicht betrogen bin, der dich mir verkauft hat; o du weiser Kopf, redereicher Kopf, antwortsvoller Kopf und bewundernswürdiger Kopf. Jetzt trete ein anderer hin und frage, was er Lust hat.« Da nun die Weiber gewöhnlich voreilig und fürwitzig sind, so war die erste, die hinzutrat, eine von den Freundinnen der Gemahlin des Don Antonio, welche fragte: »Sage mir, Kopf, was muß ich tun, um recht schön zu sein?« Und die Antwort war: »Sei recht tugendhaft.«

»Ich frage nicht mehr«, sagte die Fragerin.

Ihre Gefährtin trat sogleich hinzu und sagte: »Ich möchte wissen, Kopf, ob mein Mann mich liebt oder nicht.«

Und man antwortete: »Sieh, wie er dir begegnet, und du wirst es wissen.«

Die Verheiratete entfernte sich und sagte: »Dieser Antwort wegen war keine Frage nötig, denn aus der Begegnung kann man allerdings den Willen dessen erkennen, von dem sie kommt.«

Jetzt kam einer von den Freunden des Don Antonio und fragte: »Wer bin ich?«

Und er erhielt zur Antwort: »Du weißt es.«

»Das frage ich nicht«, antwortete der Ritter, »sondern du sollst mir sagen, ob du mich kennst.«

»Ich kenne dich«, war die Antwort, »du bist Don Pedro Noriz.«

»Mehr will ich nicht wissen, denn daraus, o Kopf, kann man abnehmen, daß du alles weißt.«

Er trat zurück, und der andere Freund legte ihm die Frage vor: »Sage mir, Kopf, was wünscht mein Sohn, der Majoratsherr?«

»Ich habe schon gesagt«, wurde geantwortet, »daß ich über Wünsche nicht urteile; dessenungeachtet kann ich dir sagen, die deines Sohnes laufen darauf hinaus, dich zu beerdigen.«

»Das«, sagte der Ritter, »kann ich mit Augen sehen und mit Händen greifen, und ich frage nicht mehr.«

Die Gemahlin des Don Antonio trat hinzu und sagte: »Ich weiß nicht, Kopf, was ich fragen soll, nur das will ich von dir wissen, ob ich meinen lieben Mann noch viele Jahre behalten werde.«

Die Antwort war: »Ja, denn seine Gesundheit und seine Mäßigkeit versprechen ihm noch viele Lebensjahre, welche viele durch Unmäßigkeit zu verkürzen pflegen.«

Nun trat Don Quixote hinzu und sagte: »Sage mir, du, der du antworten kannst, war es Wahrheit oder war es ein Traum, was ich von dem erzählt habe, was mir in der Höhle des Montesinos begegnet ist?Werden sich die Hiebe meines Stallmeisters Sancho erfüllen? Wird die Entzauberung der Dulcinea zustande kommen?«

»Was die Höhle anbetrifft«, wurde geantwortet, »so läßt sich viel darüber sagen, von allem ist darunter; die Streiche des Sancho werden mit der Zeit vollbracht werden; die Entzauberung der Dulcinea wird in die gehörige Ausübung kommen.«

»Mehr will ich nicht wissen«, sagte Don Quixote, »denn wenn ich Dulcinea nur entzaubert sehe, so bin ich überzeugt, daß mir alles übrige Glück zufallen wird, welches ich mir nur wünschen kann.«

Der letzte Fragende war Sancho, und er fragte folgendes: »Kriege ich vielleicht, Kopf, ein ander Regiment? Werde ich aus der Armseligkeit eines Stallmeisters herauskommen? Werde ich meine Frau und meine Kinder wiedersehen?«

Worauf die Antwort war: »In deinem Hause wirst du das Regiment führen, und wenn du dahin zurückkommst, wirst du deine Frau und Kinder sehen, und wenn du nicht mehr dienst, wirst du aufhören, Stallmeister zu sein.«

»Bei Gott, trefflich«, sagte Sancho Pansa, »das hätte ich sonst auch nicht gewußt, der Prophet Pero Grullo hätte nicht schöner sprechen können.«

»Vieh!« sagte Don Quixote, »was willst du denn für Antworten haben? Ist es denn nicht genug, daß die Antworten, welche dieser Kopf erteilt hat, auf die Fragen passen?«

»Es ist genug«, antwortete Sancho, »aber ich wünschte, er erklärte sich deutlicher und sagte mir etwas mehr.«

Hiermit hörten die Fragen und die Antworten auf; aber nicht die Verwunderung, in welcher sich alle befanden, die beiden Freunde des Don Antonio ausgenommen, welche den Zusammenhang wußten. Diesen will es auch sogleich Cide Hamete Benengeli erklären, um die Welt nicht in der Ungewißheit zu lassen, weil sie sonst glauben könnte, daß es irgendeine Zauberei oder ein außerordentliches Geheimnis mit diesem Kopfe gewesen sei. Er sagt daher, daß Don Antonio Moreno, zur Nachahmung eines andern Kopfes, den er zu Madrid sah, der von einem Künstler gearbeitet war, diesen in seinem Hause einrichtete, um sich zu unterhalten und Unwissende in Erstaunen zu setzen; die Einrichtung aber war folgende. Die Platte des Tisches war von Holz, das wie Jaspis gemalt und lackiert war, der Fuß, der ihn trug, war ebenso, mit vier Adlersklauen, die aus ihm herauskamen, um für die zu tragende Last desto stärker zu sein. Der Kopf, der von Erz schien und wie ein römischer Kaiser aussah, hatte die Farbe von Bronze, er war durchaus hohl, und ebenso die Platte des Tisches, der er so genau eingefugt war, daß man keine Spur der Verbindung sehen konnte. Der Fuß des Tisches war ebenfalls hohl und hing also mit dem Halse und der Brust des Kopfes zusammen; alles aber hing mit einem andern Zimmer zusammen, welches unter dem Gemache war, in welchem der Kopf stand. Durch diese ganze Höhlung des Fußes, Tisches, des Halses und der des Bildes ging eine genau passende Röhre von Blech, die von keinem gesehen werden konnte. In dem untern Zimmer, welches mit dem obern zusammenhing, stand der, welcher antworten wollte, er legte seinen Mund an diese Röhre, so daß, wie durch ein Sprachrohr, die Stimme von oben nach unten und von unten nach oben in deutlichen Tönen ging, wobei es zugleich nicht möglich war, den Betrug zu bemerken. Ein Neffe des Don Antonio, ein kluger und scharfsinniger Student, war der Antwortende; dieser wußte von seinem Oheim, wer an diesem Tage mit ihm in dem Zimmer beim Kopfe sein würde, und darum war es ihm leicht, die erste Frage schnell und passend zu beantworten; auf die übrigen antwortete er aufs Geratewohl und als ein Verständiger verständig. Cide Hamete sagt, daß sich an zehn bis zwölf Tagen diese seltsame Maschine erhalten habe; da es sich aber in der Stadt ausbreitete, daß Don Antonio in seinem Hause einen bezauberten Kopf habe, der auf alles, was man ihn frage, antworte, so fürchtete er, daß es[439] endlich vor die Wächter des heiligen Gerichts kommen könne, darum erklärte er die Sache den Herren Inquisitoren selbst, und sie befahlen ihm, das Ding zu vernichten und nicht fortdauern zu lassen, damit der unwissende Haufe keinen Anstoß daran nehme. In der Meinung des Don Quixote und Sancho Pansa blieb es immer ein bezauberter und antwortender Kopf, doch mehr zur Zufriedenheit des Don Quixote als des Sancho.

Die Ritter in der Stadt, um dem Don Antonio gefällig zu sein und dem Don Quixote eine Schmeichelei zu erzeigen und um ihm Gelegenheit zu geben, seine Albernheit zu entwickeln, wollten nach sechs Tagen ein Ringrennen anstellen, welches aber nicht zustande kam, aus der Ursache, die unten gesagt werden wird.

Don Quixote bekam Lust, gewöhnlich gekleidet und zu Fuß durch die Stadt zu gehen, denn er fürchtete, daß, wenn er zu Pferde wäre, ihn die Jungen wie der verfolgen möchten; deshalb ging er mit Sancho aus, nebst zwei Dienern, die ihm Don Antonio mitgab. Als sie durch eine Straße gingen, erhob Don Quixote zufällig die Augen und sah über einer Tür mit großen Buchstaben geschrieben: Hier werden Bücher gedruckt, worüber er sich sehr freute, weil er bis jetzt noch keine Druckerei gesehen hatte und gern ihre Einrichtung wollte kennenlernen. Er ging mit allen, die ihn begleiteten, hinein und sah auf der einen Seite Bogen abziehen, auf der andern Korrekturen machen, hier setzen, dort die Lettern reinigen, und kurz, alles das geschehen, was man in einer großen Druckerei sehen kann. Don Quixote ging nach einem Kasten und fragte, was dort getan würde; man beschrieb ihm die Verrichtung, er verwunderte sich und ging weiter. Unter andern kam er zu einem, den er fragte, was er tue. Jener antwortete: »Mein Herr, dieser Ritter, der hier zugegen ist« – wobei er auf einen Mann von feinem Anstande und ziemlicher Würde wies –, »hat ein toskanisches Buch in unsere kastilianische Sprache übersetzt, und ich bin jetzt beschäftigt, es zu setzen und es dem Druck zu übergeben.«

»Welchen Titel führt dieses Buch?« fragte Don Quixote.

Worauf der Autor antwortete: »Mein Herr, dieses Buch heißt im Toskanischen ›Le bagatelle‹.«

»Und was bedeutet le bagatelle im Kastilianischen?«, fragte Don Quixote.

»Le bagatelle«, sagte der Autor, »ist das, was wir im Spanischen Kleinigkeiten nennen; aber obgleich das Buch diesen demütigen Titel führt, so enthält es doch treffliche und sehr wichtige Sachen.«

»Ich«, sagte Don Quixote, »verstehe etwas vom Toskanischen und rühme mich, einige Stanzen aus dem Ariosto zu singen. Aber sagt mir doch, mein edler Herr – und ich frage dies nicht, als ob ich Euere Kenntnisse prüfen wollte, sondern aus bloßer Neugier –, habt Ihr in dieser Schrift wohl das Wort pignata gefunden?«

»O ja, oftmals«, antwortete der Autor.

»Und wie übersetzt Ihr es im Kastilianischen?« fragte Don Quixote.

»Wie soll es übersetzt werden«, versetzte der Autor, »außer durch Topf?«

»Bei meinem Leben!« sagte Don Quixote, »ei! wie weit habt Ihr es im toskanischen Idiom gebracht! Ich will eine große Wette anstellen, daß, wenn es im Toskanischen piace heißt, Ihr im Kastilianischen place sagt, und wo piu steht, sagt Ihr mas, für su setzt Ihr arriba und für giu abaxo.«

»Natürlich«, sagte der Autor, »denn dieses sind die eigentlichen Bedeutungen.«

»Ich wollte schwören«, sagte Don Quixote, »daß Ihr nicht in der Welt bekannt seid, die es stets ungern tut, die blühenden Genien zu bekränzen und löbliche Arbeiten zu belohnen. Wie viele Talente sind so untergegangen! Wie manche Genien sind so verloren! Wie viele Tugenden geringgeschätzt! Dessenungeachtet scheint es mir, daß das Übersetzen aus einer Sprache in die andere, wenn es nicht aus den Königinnen der Sprachen, der griechischen und lateinischen, geschieht, sich so verhält, als wenn man die flamändischen[440] Tapeten auf der unrechten Seite sieht, denn ob sich gleich die Figuren zeigen, so sind sie doch voller Fäden, die sie entstellen, und sie zeigen sich nicht in der Schönheit und Vollkommenheit wie auf der rechten Seite; auch beweist das Übersetzen aus leichten Sprachen ebensowenig Talent als Beredsamkeit, sowenig wie der beides zeigen kann, der ein Papier vom andern abschreibt; deswegen aber will ich nicht sagen, daß das Übersetzen keine löbliche Arbeit sei, denn der Mensch kann noch mit andern, schlimmern Dingen seine Zeit zubringen, und die ihm weniger Nutzen gewähren. Von diesem sind aber zwei berühmte Übersetzer ausgenommen, der eine Christoval de Figueroa in seinem ›Pastor Fido‹, und der zweite Don Juan de Xauregui in seinem ›Aminta‹, bei denen man wirklich in Zweifel gerät, welches die Übersetzung und welches das Original sei. Aber sagt mir doch gütigst, laßt Ihr dies Buch auf Eure Kosten drucken, oder habt Ihr den Verlag schon einem Buchhändler verkauft?«

»Ich lasse es auf meine Kosten drucken«, antwortete der Autor, »und denke mit dieser ersten Auflage wenigstens tausend Dukaten zu gewinnen, denn sie besteht aus zweitausend Exemplaren, von denen jedes einzelne im Umsehen für sechs Realen verkauft werden soll.«

»Ihr habt richtig gerechnet«, antwortete Don Quixote; »es scheint aber, Ihr kennt nicht die Schliche und Wege der Buchhändler, und wie genau sie unter sich zusammenhängen. Ich verspreche Euch, daß, wenn Ihr diese zweitausend Exemplare auf dem Halse habt, Ihr von der Last so erdrückt werdet, daß Euch bange wird, wenn das Buch vollends nichts Auffallendes und Pikantes enthält.«

»Aber wollt Ihr denn«, sagte der Autor, »daß ich es einem Buchhändler überlasse, der mir für den Verlag etliche Groschen gibt und noch meint, daß er mir eine Gnade damit erzeigt? Ich drucke meine Bücher nicht, um in der Welt Ruhm zu erwerben, denn ich bin durch meine Werke schon bekannt; den Nutzen suche ich, denn ohne den ist mir der Ruhm keinen Dreier wert.«

»Gott verleihe Euch solchen«, antwortete Don Quixote und begab sich zu einem andern Kasten, wo er sah, daß man den Bogen eines Buches korrigierte, welches den Titel führte: »Licht der Seelen«; als er dies sah, sagte er: »Diese Bücher, obgleich es deren schon viele gibt, müssen gedruckt werden, denn der Sünder, die sie brauchen, sind viele, und unzählig viele Lichter sind für so unzählige in Finsternis Wandelnde nötig.«

Er ging weiter und sah, daß man ein andres Buch korrigierte, worauf er nach dem Titel fragte und man ihm antwortete, es hieße: »Der zweite Teil des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha«, verfaßt von einem Einwohner von Tordesillas. »Ich kenne dieses Buch schon«, sagte Don Quixote, »und in Wahrheit und bei meinem Gewissen, ich glaubte, es sei schon verbrannt und in Asche verwandelt, weil es durchaus unnütz ist; aber es wird schon sein Martinsfest finden, wie jegliches Schwein; denn die ersonnenen Geschichten sind nur dann gut und ergötzlich, wenn sie sich der Wahrheit nähern oder doch den Schein von ihr haben, und die wahrhaftigen sind um so besser, um so wahrhaftiger sie sind.« Und mit diesen Worten und Zeichen eines heftigen Verdrusses verließ er die Druckerei. Auch machte Don Antonio an dem nämlichen Tage Anstalt, mit ihm die Galeeren zu besehen, die auf der Reede lagen, worüber sich Sancho sehr freute, weil er noch in seinem Leben keine gesehen hatte. Don Antonio gab dem Admiral der Galeeren die Nachricht, daß er sie am Abend mit seinem Gaste, dem berühmten Don Quixote von la Mancha, besehen wolle, von dem der Admiral und alle Einwohner der Stadt schon Kundschaft hatten. Und was sich dort mit ihnen zutrug, wollen wir im nächsten Kapitel erzählen.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 431-437,439-441.
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