Herein!

[299] Χαιρετε, τεκνα Διος, και εμην τιμησατ αοιδην


(Melodie des Chors: Bekränzt mit Laub etc.)


Tragiker


Gestalten hab ich, wie der Geist es mir gebot,

Nach meinem Bilde, aus dem Schattenreich hervor

Gerufen, Leben ihnen eingehaucht, und so,

Selbständig und einander widerstrebend, sie

Sich selber überlassen und dem Waltenden.

Sie stürmten unaufhaltsam dem verderblichen,

Zermalmend sie ereilenden Geschicke zu.

Ich trete, kaum aufatmend, tief erschüttert noch

Vor euch: gewährt Aufnahme mir in euren Kreis.


Chor


Herein, herein! du erster unsrer Fürsten,

Das hast du gut gemacht!

Du sollst uns nicht beim frohen Mahle dürsten,

Den Humpen ihm gebracht!


[299] Komiker


Gestalten aus dem Schattenreich hervor

Zu rufen, Leben ihnen einzuhauchen,

Versteh ich auch, ich hab es auch getan;

Nur hab ich sie gesehen närrisch sich,

Wie eben andre Menschen tun, gebärden;

Und doch – es dünkt mich, muß ich frei gestehn,

Wir haben nicht verschiedene Gestalten,

Verschieden wohl dieselben nur geschaut,

Denn alle Menschen sind einander gleich.

Ihr hört, ich bin ein Liberaler, wollt

Mich drum aus eurem Bunde nicht verbannen.


Chor


Herein, herein! du köstlicher Geselle,

Das hast du gut gemacht!

Dir fließe gleich des Weines reichste Quelle;

Den Humpen ihm gebracht!


Mimiker


Ich zeigte Wesen euren Blicken, die

Des Dichters innres Auge nur geschaut,

Und machte seines Hirnes Träume wahr;

Den er gedacht, der war ich. Räumet mir

Den nächsten Sitz zu seiner Linken ein.


Chor


Herein, herein! du bist der Sohn vom Hause,

Das hast du gut gemacht!

Er dürste nicht bei unserm frohen Schmause;

Den Humpen ihm gebracht!


Übersetzer


Ihr staunet ob dem königlichen Gast,

Der stolz erscheint inmitten eurem Rat,

Ein Heim'scher doch, und doch ein Fremder fast.

Ich bin's, und bin ein andrer euch genaht,

Nicht Zepter und nicht Krone rühm ich mein,

Doch führ ich Kron und Zepter in der Tat,

Forscht nicht, und schafft mir Platz in euren Reihn.


[300] Chor


Herein, herein! mit fremder Herrscherkrone,

Das hast du gut gemacht!

Dir fließe Wein, gereift in glühnder Zone;

Den Humpen ihm gebracht!


Lyriker


Gewiegt in ihren weichen Armen,

Gelehnt das Haupt an ihrer Brust,

Da fühlt ich wohlig mich erwarmen,

Da ward Gesang aus süßer Lust.


Es klang wohl gut in dieser Stunde,

Doch, was es war, ich weiß es nicht:

Mein Lohn – ein Kuß von ihrem Munde

Und ihres Auges strahlend Licht.


Ich singe gerne, trinke gerne,

Und liebe wohl, geliebt zu sein:

Mit eurem Lorbeer bleibt mir ferne,

Von euren Weinen schenkt mir ein.


Chor


Herein, herein! du Lieblingskind der Musen,

Das hast du recht gemacht!

Dir wärme Wein den liedervollen Busen;

Den Humpen ihm gebracht!


Maler


Ob ich ein Dichter sei? seht diese Tafel,

Wo Farben Leben werden, und der Geist

Hervor aus schönen Formen strahlt. Ich bin

Ein Glied von eurer Kette. Laßt mich ein.


Chor


Herein, herein! du Dichterfürst der Farben,

Das hast du gut gemacht!

Du darfst uns nicht beim frohen Mahle darben;

Den Humpen ihm gebracht!


[301] Musiker


Rauschend auf Cherubs-

Schwingen getragen,

Verträum ich mein Leben

In Harmonien.

Aber es senkt sich

Der Flug hernieder,

Und in der Halle,

Der festlich erhellten,

Seh ich der Stühle

Viele bereitet,

Und der goldene Nektar blinkt.

Empfangt mich gastlich,

Söhne der Musen,

Reicht mir die Schale,

Trinkt mir die funkelnde zu.


Chor


Herein, herein! Beherrscher du der Töne,

Das hast du gut gemacht!

Ihm fließe Wein, daß er sich hergewöhne;

Den Humpen ihm gebracht!


Leser


Ich habe meine Pflichten treu erfüllt,

Genützt, wie ich gesollt; einheimisch dann

Im schönen Dichterlande, hab ich Ohr

Und Herz dem Zauber eurer Schöpfungen

Geliehn, und nicht den oft verschuldeten,

Den schweren Vorwurf über mich geladen,

Daß ich, was besser ungeschrieben wär

Geblieben, doch geschrieben hätte, – nein,

Ich trete kühn in diesen Kreis, es sind

Die Hände mir von Tinte rein geblieben.


Chor


Herein, herein! du seltenster der Gäste,

Das hast du gut gemacht!

Er dürste nicht bei unserm frohen Feste;

Den Humpen ihm gebracht!
[302]

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 299-303.
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