Lord Byrons letzte Liebe

[360] Byron ist erschienen, der Kamönen

Und des Ares Zögling strahlt, ein Held,

Unter Hellas heldenmüt'gen Söhnen

Auf dem blutgedüngten Freiheitsfeld.


Und ihm schlagen aller Griechen Herzen –

Eines nicht, nach welchem er doch ringt;

Und er schafft sich unablässig Schmerzen,

Wo er selbst das Heil den Völkern bringt.


»Wie mein Volk, so will ich dich verehren!«

Mild, doch ungerührt die Jungfrau spricht:

»Magst die Krone von Byzanz begehren,

Meine Liebe nur begehre nicht!«


Eilig ward er einst zu ihr entboten,

Die der Stern ist seiner innern Nacht;

Stürmend folgt er, ahnungsvoll, dem Boten, –

Welch ein Schreckensbild vor ihm erwacht!


Starr lag, regungslos, die Schmerzenreiche,

Um ein Schwert die rechte Hand geballt;

Langsam richtet sich empor die bleiche,

Geisterartig herrliche Gestalt.


Sie beginnt: »Du sollst es jetzt erfahren:

Frühe traf ich schon der Liebe Wahl,

Gab sein Schwert auch meinem Palikaren,

Als das Vaterland es mir befahl.


Scheidend sprach ich ernst in ernster Stunde:

›Sieg nur oder Tod, das wissen wir;

Auf denn! und ein Wort aus treuem Munde:

Stirbst du unserm Volke, sterb ich dir.‹
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Du nun siehst mich dem Gestorbnen sterben;

Fallend sandt er mir zurück sein Schwert;

Nimm es hin, du Dichterheld, zum Erben

Solchen Gutes bist nur du mir wert!«


Mit Entsetzen forscht er – und gelassen

Spricht sie: »Gift!« – und atmet, merklich kaum,

Und vollbracht ist's; – seine Arme fassen

Erst als Leiche seines Lebens Traum.


Byrons Züge seit der Stunde waren

Trüb und nächtlich, wie sein düstres Los;

Und er nahm das Schwert des Palikaren

Bald mit sich hinab in Grabes Schoß.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 360-361.
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