Ungewitter

[332] Auf hohen Burgeszinnen

Der alte König stand,

Und überschaute düster

Das düster umwölkte Land.


Es zog das Ungewitter

Mit Sturmesgewalt herauf,

Er stützte seine Rechte

Auf seines Schwertes Knauf.


Die Linke, der entsunken

Das goldene Zepter schon,

Hielt noch auf der finstern Stirne

Die schwere goldene Kron.


Da zog ihn seine Buhle

Leis an des Mantels Saum:[332]

»Du hast mich einst geliebet,

Du liebst mich wohl noch kaum?«


»Was Lieb und Lust und Minne?

Laß ab, du süße Gestalt!

Das Ungewitter ziehet

Herauf mit Sturmesgewalt.


Ich bin auf Burgeszinnen

Nicht König mit Schwert und Kron,

Ich bin der empörten Zeiten

Unmächtiger, bangender Sohn.


Was Lieb und Lust und Minne?

Laß ab, du süße Gestalt!

Das Ungewitter ziehet

Herauf mit Sturmesgewalt.«


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 332-333.
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