Schauer

[912] Der Franzensimmer legt die letzte Mahd um. Dann nimmt er einen Büschel des eben geschnittenen Grases, wischt bedächtig seine Sense ab und wetzt sie für die nächste Arbeit; denn es ist um die Heuernte.

Hinter ihm schaffen ein paar Dirnen, werfen an und beuteln das Gras auseinander, daß die Halme fliegen.

Eine drückende Schwüle brütet über der Flur, sengend und dörrend glüht die Sonne hernieder und tut rasche Arbeit auf Feld und Wiesen.

»Bals heunt no aushalt't, 's Wetta, nachha bring ma leicht a fünf, a sechs Fuda hoam«, sagt der Simmer und richtet sich zum Gehen. »I mah jetzt no schnell an Heißenroa, – nachher fang ma o zum schlagln; z'erscht in der Broatwiesen drunt und darnach im Englmoos hint. Und der Sepp und 's Marei könnan da hervorn 's Wendn ofanga. Um zwoa soll der Franzos mit dem erschtn Wagn kemma!«

Darnach geht er mit großen, gemächlichen Mahderschritten dahin – – hinunter zum Heißenrain.

Unterwegs kommt er an einem Kornfeld seines Vaters vorbei.

Da steht er einen Augenblick still, betrachtet die schweren, bleichenden Ähren und murmelt: »Hat scho verblüaht. Schwaare Ähern. Da ham scho Körndl Platz drin.«

Dahinter kommt ein Land Weizen, gleichfalls dem Franzenbauern von Ried gehörend.

Und der Simmer findet auch den Weizen nicht schlecht.

»Steht guat, der Woaz«, sagt er für sich. »A weng nieder – aber sinst guat. Regna sollts halt.«

Dann mäht er den Rain. – – –

Halb zwei Uhr nach alter Zeit; denn der Bauer hälts nicht gern mit Neuerungen. Auch macht ihm dieses sommerliche[912] Vorrücken des Stundenzeigers so viel Rechnerei und Kopfarbeit, daß er lieber nach seiner Winteruhr schafft und werkt und also den Tag von der Sonn und vom Licht messen und in Stunden teilen läßt. –

Der alte Franzenbauer geschirrt die Rösser ein, der Franzos die Ochsen.

Da sagt droben auf der Altane die Großmutter: »Kaschba, i fürcht, ös derfts enk tummeln. A Wetta hängt hint, – a ganz a schiachs!«

Aber ihr Sohn, der Franzenbauer, lacht.

»Ah, was net gar! – Dees laß nur hint steh, Muatta! Dees tuat ins nix mehr. Derweil ham mir lang all's dahoam, was guat is.«

Und zum Franzosen hin murmelt er: »Daß die alt'n Weiber gar allewei epps zum ferchtn und zum schwatzn habn müaßn!«

Aber er werkt doch ganz geschwind, pfeift gellend den Dirndln, die zum Fuderfassen mitmüssen, und zeigt dem Franzosen die Wettertürme und die bräunlichen Nebelstreifen um die Sonne.

»He, Ludwig! – Wetta nix gscheits! – A bißl wite wite! Gel ja! Verschtehst mi schon!«

Und da grad die Maidln auf die Wagen springen und rufen: »Hüa! Fahrts zu!«, so versteht der ganz gut, was er soll; er schwingt sich auf den Wagen, reißt an den Zügeln der Rösser und schreit: »Üa lala! Üa!«

Breitspurig steht er droben, schnalzt mit der Geißel und setzt die Rösser in einen wilden Trab, indes das Dirndl kreischt und lacht und sich mit beiden Händen an den Wagenleitern festhält.

Und der Franzenbauer nimmt das Leitseil, treibt seine Ochsen an und folgt gemächlich hinterdrein.

Derweil richtet die Bäuerin schon einen Truchenwagen zurecht und schiebt ihn vors Haus.[913]

Dann ruft sie hinauf zum Kammerfenster der Großmutter:

»Muatta! He! –«

Die Alte tritt auf die Laube: »Was is's?«

»Muatta, moanst, daß d' a weng ablaaren helfa konnst, bal's erschte Fuada einakimmt? – 's Wetta steht hübsch nahand da.«

Die Großmutter blickt ängstlich nach dem Himmel, der sich immer drohender mit Wetterwolken umzieht.

»Freili stehts scho ganz nahand da!« wiederholt sie; »wenn ma nur no alls guat hoambringan – – und daß 's koa Schauer werd. – Auf die truckene Zeit hi. – Ja, i hilf.«

Also schafft und werkt der ganze Franzenhof, und drüben beim Singer ists das gleiche und beim Wirt und bei allen, die ihr Gut draußen haben auf Feld und Rain, – die den Halm zum Kreuzer machen müssen in sauerem Schweiß – mit vieler Müh.

Immer mehr umdüstert sich der Himmel. Die Sonne verkriecht sich hinter riesenhaften Wettertürmen und macht die Wolken kupferig und schwefelgelb. Eine unheimliche Stille und niederdrückende Schwüle hängt in der Luft.

Nur die Stechmücken und Bremsen schwirren zu Hunderten und Tausenden herum und quälen Mensch und Vieh bis aufs Blut.

Die vom Franzenbauern arbeiten fieberhaft.

Schon fährt der Franzos das erste Fuder heim, die Bäuerin hilft ihm beim Ausgeschirren und Einspannen, – und dahin gehts mit dem Truchenwagen um das dritte Fuder. Denn das zweite macht grad der Franzenbauer fertig.

Drin am Heuboden ist die Hitze schier unerträglich. Das dürre Heu staubt, daß es sich wie ein Krampf auf die Lunge der alten Franzenmutter legt.

Sie hustet trocken und müd.

Aber sie werkt wie die Jüngeren und Jungen und nimmt[914] ihrer Schwiegerin Gabel um Gabel ab, indes der kleine Michl aus all den Gabeln voll den Grund legt zu dem großmächtigen Heustock, der noch an diesem Tag entsteht.

Kaum ist der Wagen leer und draußen aus der Tenne, da kommt schon der Bauer mit dem nächsten Fuder.

»Wieviel fahrts denn hoam?« fragt die Franzin.

»No viere.«

»No viere – des braucht ablaarn.«

»Und hintreraama«, sagt die Alte dazu.

»Und eintrettn!« seufzt der Michl.

Aber der Bauer hört nichts mehr.

Er spannt seine Ochsen an den Leiterwagen, schmiert sie mit dem Bremsenöl ein und tut einen besorgten Blick zum Himmel.

Da ists schier Nacht geworden; und weiter hinten, dort bei den Bergen, da wetterleuchtets und blitzts, daß man möcht blind werden.

»Hüa Braunei, ziag o!«

Ein Geißelhieb sagt erst dem Sattelochsen und dann dem Handigen, daß höchste Eil vonnöten ist. – Es schlägt drei.

Eine Glocke hebt zum Wetterläuten an.

Die auf den Feldern hörens.

Sie sehen über sich – und schlagen ein Kreuz.

»Heunt schaugts grause her.«

»Ja, ganz schiach.«

Und sie arbeiten wie ihre Rösser.

Immer noch kein Lufthauch – kein Tropfen Regen.

Etliche Krähen kreischen auf und fliegen ins Gehölz.

Hoch und schwer steht das Korn auf den Feldern, voll und reich der Weizen.

Die Blitze werden immer greller.

Ein vereinzelter Donnerschlag kracht und zersplittert irgendwo.[915]

Die Rösser jagen mit leeren Wagen hinaus, – Ochsen schinden sich mit dem vierten, fünften Fuder dem Hof zu, – und die Menschen werken wie Riesen, um dem da droben mit seinem Leuchten und Grollen zu entreißen, was er vernichten möchte. – – –

Das letzte Fuder ist auf der Heimfahrt.

Noch sind die drei, der Michl, die Großmutter und die Franzin, beim Ableeren.

Da murmelt die Alte plötzlich: »Jetzt gehts nimmer. Jetzt muaß i a weng schnaufa.« –

Sie fällt wie ein Klotz auf den Heuhaufen.

Da – ein furchtbarer Blitz – ein heulender Windstoß – ein knatterndes Krachen ...

Und dann: tak tak tak – auf die Ziegel des Hausdaches – Steine – Hagel.

»Heilig's Kreuz! Stoa! – Der Schauer!«

Drunten in der Wohnstube brennt die schwarze Wetterkerze von Unserer Frau zu Altötting.

»Im Anfange war das Wort – und das Wort war bei Gott – und Gott war das Wort ...«

Draußen ein Brausen, Heulen, Toben; ein Klirren und Scheppern der Fenster. Das Vieh brüllt – der Mensch erbebt und lernt beten.

Und auf den Feldern liegt der Weizen und das Korn – mit vielen Tropfen Schweißes hergezogen, – das Brot des Landmanns und des Städters, – zermalmt und zerschlagen.-

Am andern Morgen steht der Franzenbauer draußen, schaut mit leerem Blick über die verwüstete Flur und murmelt:

»Ja no, – da kann ma halt nix macha. – Hat ma halt wieder amal umasinst g'arbat.« –

Und die Großmutter mahnt: »Teats Brot sparn, – der Schauer hat g'schlag'n.«[916]

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 912-917.
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