Von Schwedenborg,

[72] »nach Anleitung einer zu seinem Andenken von dem Bergrat und Ritter Sandel in einer Versammlung der Königl. Schwedischen Akademie der Wissenschaften zu Stockholm abgelesenen Rede.«


Herr Schwedenborg ist vielen Lesern nur aus seinen letzten Lebensjahren und aus seinen letzten Schriften bekannt. Vermutlich hat eben dies viel dazu beigetragen, daß man mit einem Urteil über diesen Schriftsteller und Menschen so bald fertig ist, und man würde, wenn man mit seinem Leben und mit seinen Schriften die vorhergingen bekannt gewesen wäre, allem Ansehn nach ihn, als er aus dem gewöhnlichen Gleise heraustrat, mit mehr neugierigen und minder flüchtigen Blicken verfolgt haben. Wenigstens sollte man glauben, daß ein Herr Polyhistor oder sein Herr Auditor ihren Machtspruch bis weiter würden zurückgehalten haben und auf die Vermutung eines etwanigen Mißverständnisses geraten sein, wenn sie gewußt hätten, daß Schwedenborg die ganze Gelehrsamkeit des Herrn Polyhistors und des Herrn Auditors an den Kinderschuhen zerrissen hatte.

Also Herr Schwedenborg oder vielmehr Schwedbergsen, den Namen Schwedenborg erhielt er allererst im Jahr 1719 als er geadelt ward, ist geboren in Stockholm den 29. Januar 1688. Er war der zweite Sohn des D. Jaspar Schwedberg Bischofs von Scara, und hatte von Jugend auf gute Gelegenheit mit alledem bekannt zu werden, was man Gelehrsamkeit und Wissenschaften nennt. Er las in seiner Jugend die lateinischen Dichter gern, und machte selbst einige Versuche die mit Beifall aufgenommen wurden. Als er in Upsal einige Jahre studiert und sich den Ruhm eines Mannes von Fleiß und Genie erworben hatte, ging er außer Landes, nach Deutschland, Frankreich und Holland, zu sehen ob er da etwas Neues für seine Wißbegierde fände. Die Abteilung der Gelehrten in Theologen, Philosophen etc. wollte ihm nicht in den Kopf, und er glaubte, daß alle Wissenschaften für einen Menschen und ein Mensch für alle Wissenschaften sei. Indes war sein Lieblingsstudium, außer der Theologie und der Philosophie, die Physik, Chymie, und die mathematischen Wissenschaften. Durch seine Einsicht in die letztern war er in die Bekanntschaft des berühmten Kommerzrat Pelhem gekommen, und König Karl XII. machte ihn in seinem 28. Jahr zum Assessor, mit dem Beding, daß er diesen großen Mathematikus und Mechanikus bei allen seinen Unternehmungen begleite, und beständig um ihn sei. Wie wenig[73] oder wie viel Schwedenborg in der Mechanik konnte, erhellet unter andern aus einem kleinen Manövre, nach welchem er im Jahr 1718 zur Belagerung von Friedrichshall, 2 Galeeren, 5 große Fahrzeuge und 1 Schaluppe anderthalb schwedische Meilen, von Strömstadt nach Ilda-Fial, mit Rollen über Berg und Tal fortschaffte. Im Jahr 1716 fing er an Schriftsteller zu werden, und gab nacheinander heraus: seinen Daedalus hyperboreus, einen Versuch zur Einrichtung der bequemsten Münze und Maße, eine Abhandlung von der Algebra, vom Gange und Stande der Erde und der Planeten, von der Höhe des Wassers und der Abnahme der Ebbe etc. und sonderlich 7 Abhandlungen vom Bergwerkswesen. Die Abhandlungen vom Bergwerkswesen schrieb er auf einer Reise, die er, nachdem er sich in dem Bergbau seines Vaterlandes umgesehen und unterrichtet hatte, nach dem Harz und den Bergwerken in Sachsen und Österreich vornahm, um auch das zu wissen was in andern Ländern in diesem Fach gang und gäbe sei; und darauf gab er 1743 seine großen Opera Philosophica und Mineralia heraus. Aus allen diesen Schriften leuchtet hervor, daß ihr Verfasser nicht zum Nachsprechen gemacht sondern ein Mann war, der selbst denkt und in jedem Fach, dahin er kommt, wie in seinem Eigentum und zu Hause ist. Sie machten ihn auch in und außerhalb Schweden sehr berühmt. Im Jahr 1724 ward ihm eine Professur der höhern Mathematik zu Upsal angeboten, die er aber ausschlug; in ebendem Jahr nahm ihn die Königl. Gelehrte Gesellschaft zu Upsal zu ihrem Mitglied auf, und 1734 die Petersburger zu ihrem Korrespondenten usw.

Als nun Schwedenborg in den Wissenschaften des Jahrhunderts sich umgesehen hatte, und von einzelnen Kennern und ganzen Akademien mit Beifall beehrt worden war, fing er an- Geister zu sehen. Sein Lobredner sagt: er habe die sichtbare Welt und den Verhalt ihrer Teile, als einen Fingerzeig auf die unsichtbare angesehen, und, da er mit der sichtbaren Welt sehr bekannt war, auf die unsichtbare Welt anfangs Mutmaßungen gewagt und nach und nach ein ganzes System aufgeführt. Wenn dem so wäre, so läßt sich absehen, daß dieses System, gesetzt auch es sei wahr, den Leuten, die von der einen Welt wenig und von der andern gar nichts wissen oder wissen wollen, sehr sonderbar in die Augen fallen müsse, und daß es seinen Verfasser mehr als lächerlich machen konnte.

Nil Sacri es, sagte Herkules unwillig, als er irgendwo in einem Tempel eine Statue des Adonis antraf. Man findet in[74] Schwedenborgs Leben und Charakter eine solche Statue des Adonis nicht, der zu Gefallen er, wie der gewöhnliche Lauf der Natur ist, andre und bequemere Meinungen gesucht hätte. Er ist von jeher ein sehr tugendhafter Mann gewesen, und konnte von der Schönheit und Majestät der unsichtbaren Welt sehr gerührt werden.

Ob Schwedenborg würklich Geister oder sonst Neues gesehen, oder ob er ein Narr gewesen, bleibt freilich die Frage. Aber man kann doch nicht wohl umhin zu glauben, daß Geister sind, und Schwedenborg sagte ganz kalt und trocken in seinem Leben, und noch auf seinem Todbette in London, wo er den 24. Sept. 1771 starb, er könne sie sehen und habe sie gesehen.

Weil nun die Neue Welt doch schon vor Herrn Projektmacher Kolumbus ganz richtig und natürlich da war, ob man gleich in Europa kein Wort von ihr wußte, so könnte es auch vielleicht einen Weg zum Geistersehen geben, ob es gleich ein Geheimnis ist, wie die Brille dazu geschliffen werden muß. Und gesetzt auch einer schliffe und schiffte ganz ebenteurlich; nach der Meinung kluger Leute liegt viel Wahrheit im Verborgenen, vielleicht nahe bei uns, aber im Verborgenen, und so sollten uns alle Projekte eines guten Mannes, wenigstens als edles Ringen nach ihr, heilig sein.


(Den Beschluß in den Elysäischen Feldern.)

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 72-75.
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