Dritter Brief

[481] Ich soll Dir das weiter auseinandersetzen –.

Edel ist: Ahndung der Heimat; das Gute in Feindesland; der König im Gefängnis. Wer Freude am Guten hat und gerne gut wäre, und mit sich kämpft und streitet, daß er's sei, der ist ein edler Mann.

Was soll ich Dir viel auseinandersetzen? Du weißt ja, besser als ich, wie es geht. Man will gern immer – das Eitle nicht liebhaben, unparteiisch sein, nicht böse werden wenn man beleidigt wird, geistlich gesinnt sein usw.; aber man kann es nicht. Wenn auch auswendig, so geht es doch inwendig nicht rein ab. Und, wenn auch das Feld behalten wird; so ist darum doch kein[481] Friede. Der Feind bleibt im Lande, und man muß mit dem Gefangenen sich placken und plagen.

All Fehd ein Ende, und rein Haus machen: das ist die Weisheit Gottes, welche die Edeln gelüstet zu schauen, die Weisen wissen, und die Toren verachten.

Edel ist also nicht gut; aber es ist darum edel und nichts Gemeines, und ihm gebührt Ehre und Achtung von jedermann, wo es sich sehen läßt.

Von den Mund-Edeln, die nämlich nur von Edel und Gut sprechen und schreiben, tiefgelehrt oder ungelehrt, ist hier die Rede nicht. Die werden gar nicht mitgezählt.

Ohne Kampf und Verleugnung gibt es keinen Adel und wahren Wert für den Menschen, und ohne Kampf kennet er die Kluft nicht, die in unserm Inwendigen zwischen Wollen und Sein, zwischen Edel und Gut, befestiget ist, und kann sie nicht kennen. »Die auf dem Meer fahren, die sagen von seiner Fährlichkeit –. Daselbst sind seltsame Wunder, mancherlei Tiere und Walfische: durch dieselben schiffet man hin.«

Erfahrung machet den Meister. Und nur die, welche sich in den Defileen und Labyrinthen jener großen Kluft versucht, und mit den seltsamen Wundern und mancherlei Ungeheuern vor den Toren des Friedes, gekämpft und sich selbst daran gewagt haben, nur die können wissen: ob es dort Mühe und Fährlichkeit hat, und ob man dort eines heiligen Zweiges bedarf oder nicht. Und es wäre sehr lustig zu sehen, wenn ein Stubenzeichner einen solchen edlen Ritter und Veteran, der unter den Waffen an Ort und Stelle grau geworden ist, aus seinen Landkarten zurechtweisen und eines Bessern belehren wollte.

Du siehst denn, welchen Leuten die Religion gleichgültig und entbehrlich bedünken kann, und welchen Leuten sie unentbehrlich und heilig ist; und daß diese, alle Komplimente beiseite gesetzt, sich ihrer Anhänglichkeit und Achtung nicht zu schämen brauchen.

Leb wohl, Andres.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 481-482.
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