Viertes Exempel

Viertes Exempel

[226] Stellt das Haus eines berühmten Gelehrten vor, und der bist du wieder versteht sich, und die beiden Herren vor der Tür wollen gern die Ehre haben dir aufzuwarten.

Unter uns gesagt, 's ist eine Schwachheit von den beiden Herren, daß sie den berühmten Gelehrten sehen wollen; denn was ist an so einem armen Sünder zu sehn? Indes sie wollen dich sehen, und du mußt heraus.

Nun supponiere ich: Du bist demütig oder willst es doch gerne sein. Denn wenn du ein vorsätzlich eitler aufgeblasener Mensch bist; so kannst du für dich bleiben, und ich werde wohl meine[226] Exempel mit dir nicht verderben. Also du hast Demut lieb, und es ist die Frage: wie du dich zu komportieren habest, wenn's dein Ernst ist.

Soviel begreifst du vorläufig, daß du nicht immer stehen und dir den Bart streichen mußt. Übrigens kommt es mir lustig vor, daß ich dir vorschreiben soll, wie du aussehen mußt, wenn die beiden Herren hereintreten; und will ich lieber einen Ausfall tun nach einer andern Seite hin. Sieh, man kann eine Tugend lieben und sie auf gewisse Weise auch haben; aber sie ist noch nicht feuerfest. Unter den und jenen Umständen wankt sie und bröckelt ab, und der Feind kuckt durch die Bresche in die Festung. So kannst du nach unserm Exempel zwischen deinen vier Wänden und in deinem Lehnstuhl Demut haben; du kannst würklich überzeugt sein: daß dies und das nichtsbedeutende Dinge sind, wovon die Menschen viel Aufhebens machen; daß nur eins sei das wahrhaftig lobenswert ist, und daß grade dabei Menschenlob am leichtesten entbehrt werden kann, usw. Du kannst, sage ich, davon in deinem Lehnstuhl überzeugt sein, und mit Ehren herauskommen. Wenn dir aber die beiden Herren mit tiefen Verbeugungen erzählen: wie der Schweif deines Ruhms sich von Zenit bis Nadir erstrecke; wenn sie eine Handvoll Räuchwerk nach der andern vor dir abbrennen; so kann von dem langen Schweif und dem vielen Rauch deiner Überzeugung der Kopf schwindlicht werden. In solchem Fall pflegt man nun den ersten den besten Strohhalm von der Erde aufzuheben, um dem Feind eine Diversion zu machen. Wenn du also merkst, daß dir dein Konzept verrückt werden will; so erzähle ihnen geschwind von dem großen Horn das in der Unstrut gefunden worden, oder von dem großen Bankerott in Bassora und daß die Bankerotts gewöhnlich daher kommen, daß mehr ausgegeben als eingenommen wird, usw. Du mußt aber, damit keine Schelmerei daraus werde, sobald die beiden Herren weg sind, mit doppeltem Ernst darangehen, durch neue Verhacke und Palisaden ähnlichen Unglückfällen vorzubauen.

Hast du das alles nicht nötig; desto besser für dich, und auch für die zwei Herren. Denn wahre unverstellte Demut ist sehr lieblich, und wenn sie dir je in deinem Leben vorgekommen ist, mußt du ihre Gebärde noch in frischem Andenken haben.[227]

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 226-228.
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