Kleine Geschichtchen

[232] samt was man daraus lernen soll


Es war 'nmal ein König in Persien, der hieß Kulichan, 'n rechter Unhold gegen die Menschen. Den Mogoln, seinen Nachbaren fiel er ins Land, und nahm ihnen alles weg was sie hatten und schleppte es nach Persien.

Die eroberten Schätze machten ihn nicht besser, und er wütete noch ärger wie vor. Als er's nun so gar arg machte, vergaßen einige Große des Landes ihrer Pflicht, machten einen Aufruhr und setzten ihm das Messer an die Kehle. Da hätte er's gerne besser gehabt, und schrie und flehte: »Barmherzigkeit, Barmherzigkeit.« Die Aufrührer gaben ihm aber zur Antwort: »Du hast in deinem Leben keinem Menschen Barmherzigkeit getan; so soll dir, Hund, auch keine widerfahren.« Und damit fuhr das Messer durch die Kehle.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Daß man Barmherzigkeit tun soll, ehe das Messer an der Kehle sitzt.


Es war 'nmal ein ich weiß nicht wer, der war ich weiß nicht wo, und wollte sehen ich weiß nicht was.

Voll so arg ist's nicht, aber sehr viel weiß ich doch würklich von dem Geschichtchen nicht das ich erzählen will. Also[232] Es war 'nmal ein Europäer, der war in Amerika und wollte den berühmten Wasserfall eines gewissen Flusses sehen. Zu dem Ende handelte er mit einem Wilden daß der ihn hinführte, denn das Land war ungebaut und es gingen da keine Ordinari – noch Küchen – Posten. Als die beiden ihren Weg vollendet hatten, und an den Wasserfall hinkamen – machte der Europäer große Augen und untersuchte, und der Wilde legte sich so lang er war auf sein Angesicht nieder, und blieb so eine Zeitlang liegen. Ihn fragte sein Reisegefährt: wozu und für wen er das tue? Und der Wilde gab zur Antwort: für den großen Geist.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Den Unterschied zwischen Natur und Kunst.


Es war 'nmal ein kleiner Konrad des alten Konrads Sohn, der wollte sein väterliches Reich Sizilien, das der dritte Mann einem andern gegeben hatte, mit Gewalt wiedernehmen; verlor aber die Schlacht gegen den andern, Karl genannt, und ward gefangen, und ein Prinz Friederich, der aus Vetter – und Freundschaft mit ihm gezogen war, desgleichen. Karl ließ beide zum Tode verurteilen, und das Urteil ward auf dem Markt zu Neapel vollzogen. Friederich von Österreich mußte zuerst herhalten, und Konradino, der circa 17 Jahr alt war, sahe zu, nahm den abgehauenen Kopf seines Freundes von der Erde auf, und küßte ihn; und ward denn auch enthauptet. Übrigens war er der letzte der Hohenstaufen.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Daß man kein Hohenstaufe sein soll.


Es war 'nmal ein Polycarpus, der war ein Christ und zugleich Bischof von Smyrna, und den verfolgten deswegen die Heiden und schleppten ihn vor den Richter daß er verbrannt würde, und der Richter tat ihm den unverschämten Antrag, daß er Christum lästern sollte. »Ich diene ihm nun sechsundachtzig Jahre«, antwortete Polycarpus, »und er hat mir kein Übels getan. Wie sollt ich denn meinen Herrn und Heiland lästern?« Indes war er's gerne zufrieden, daß er verbrannt würde, und das geschah denn auch.


Was soll man daraus lernen?


Antwort: Daß das eine gute Herrschaft sein muß, für die man nach sechsundachtzigjährigem Dienst noch gerne durchs Feuer gehen will.
[233]

Der geneigte Leser wird vielleicht bemerkt haben oder noch bemerken, daß ich in diesem Teil etwas gelehrter bin als in den vorigen Teilen. Das kommt von den Stunden her, die mein Vetter von Zeit zu Zeit mit mir hält. Damit man seine Methode sehe, will ich doch einer zur Probe hersetzen.


»Guten Morgen, Herr Vetter.«

»Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«

»Recht gut.«

»Nun so wirst du gestern vernünftig gelebt und beschlossen

haben?«

»Ich hoffe ja.«

»Dabei bleib. Es hat's kein Mensch mehr Vorteil als du.

Komm, setze dich her. Wollen Gott danken, daß wir gut schlafen können.«

»Aber ich habe um Mitternacht geträumt.«

»Das hast du gut gemacht. Sieh, gradeso ist das menschliche Leben. Davon sind auch Anfang und Ende nur natürlich, und die Mitte ist Rausch und Traum!

Das übrige morgen. Gehab dich wohl. – – – – Heda, komm zurück.

Αγεωμετρειτος μη εξιτω!

Sieh, da steht ein Hut Zucker unter der Bank, den ich nach dem Frieden gekauft habe. Faites – moi la grâce cher cousin, d'en couper le dessus, und gib's mir her. – Und nun sag mir aus dem Rumpf: wie lang das Stück ist das du mir gegeben hast.«

»Das ist ja leicht.«

»Wenn du's noch weißt, freilich. Wenn man's weiß, ist alles leicht, und wenn man's nicht weiß, nichts. Weißt du's denn aber?«

»Ist die verlangte Länge nicht, die vierte Proportionalgröße minus der Höhe des Rumpfs, zu der Differenz der beiden Semi – Diameter, der Höhe des Rumpfs und dem größern Semi – Diameter?«

»Bravo! Weil du denn so gut kapiert und behalten hast; so nimm den Rumpf. Er soll dein sein.«

»Will der Herr Vetter nicht lieber den Rumpf für sich behalten? Ich habe ja auch die Spitze nur ausgerechnet.«

»Da hast du die Spitze dazu. Ein Dozent der freien Künste muß kein Filz sein.

Der Zuckerhut war dir so zugedacht, itzt hast du ihn verdient, und brauchst mir nicht dafür zu danken.[234]

Qui proficit in litteris et deficit in moribus, plus deficit quam proficit.

Zu deutsch: wer nur die Spitze des Zuckerhutes begehrt, ist besser als wer sie nur ausrechnen kann. Jener soll den Rumpf, und dieser die Spitze haben; wer aber beides kann, dem gebührt der ganze Hut.

Addies. Grüße Frau und Kinder, und komme morgen nicht zu spät. Wir haben wichtige Sachen vor der Hand.«

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 232-235.
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