61. Warum das Meerwaßer salzig ist.

[173] Mündlich in Leer und in Hannover.


Es war einmal ein lieber, wackerer Knabe, der hatte weiter nichts auf Erden als eine blinde Großmutter und ein helles Gewißen. Als er nun aus der Schule war, wurde er Schiffsjunge und sollte seine erste Reise antreten. Da sah er, wie alle seine neue Kameraden mit blankem Gelde spielten, und er hatte nichts,[173] auch nicht den geringsten Mutterpfennig. Darüber war er traurig, und er klagte es der Großmutter. Sie besann sich erst ein wenig, dann humpelte sie in ihre Kammer, holte eine kleine alte Mühle heraus, schenkte sie dem Knaben und sprach: »Wenn du zu dieser Mühle sagst:


›Mühle, Mühle, mahle mir

Die und die Sachen gleich allhier!‹


so mahlt sie dir, was du begehrst; und wenn du sprichst:


›Mühle, Mühle, stehe still,

Weil ich nichts mehr haben will!‹


so hört sie auf zu mahlen. Sag aber nichts davon, sonst ist es dein Unglück!« Der Junge bedankte sich, nahm Abschied und gieng aufs Schiff. Als nun wieder die Kameraden mit ihrem blanken Gelde spielten, stellte er sich mit seiner Mühle in einen düstern Winkel und sprach:


»Mühle, Mühle, mahle mir

Rothe Dukaten gleich allhier!«


da mahlte die Mühle lauter rothe Dukaten, die fielen klingend in seine lederne Mütze. Und als die Mütze voll war, sprach er nur:


»Mühle, Mühle, stehe still,

Weil ich nichts mehr haben will!«


da hörte sie auf zu mahlen. Nun war er von allen Kameraden der reichste; und wenn es ihnen an Speise fehlte, indem der Schiffshauptmann sehr geizig war, sprach er nur:


»Mühle, Mühle, mahle mir

Frische Semmeln gleich allhier!«


so mahlte sie so lange, bis er das andere Wort sagte; und was er auch sonst noch begehrte, alles mahlte die kleine Mühle. Nun fragten ihn die Kameraden wohl oft, woher er die schönen Sachen bekomme; doch da er sagte, er dürfe es nicht sagen, drangen sie nicht weiter in ihn, zumal er alles ehrlich mit ihnen theilte.

Es dauerte aber nicht lange, da bekam der böse Schiffshauptmann Wind davon, und das war Waßer auf seine Mühle. Eines Abends rief er den Schiffsjungen in die Kajüte und sprach: »Hole deine Mühle und mahle mir frische Hühner!« Der Knabe[174] gieng und holte einen Korb voll frischer Hühner. Damit jedoch war der gottlose Mensch nicht zufrieden: er schlug den armen Jungen so lange, bis dieser ihm die Mühle holte und ihm sagte, was er sprechen müße, wenn sie mahlen solle; den andern Spruch aber, wenn sie aufhören solle, lehrte er ihn nicht, und der Schiffshauptmann dachte auch nicht daran, ihn darum zu fragen. Als der Junge gleich nachher allein auf dem Verdeck stand, gieng der Hauptmann zu ihm und stieß ihn ins Meer und dachte nicht daran, wie viel Sorge und Mühe er Vater und Mutter gemacht hatte, und wie die blinde Großmutter auf seine Rückkehr hoffte; daran gedachte er nicht, sondern stieß ihn ins Meer und sagte, er sei verunglückt, und meinte, damit sei alles abgethan! Hierauf gieng er in seine Kajüte, und da es eben an Salz fehlte, sagte er zu der kleinen Mühle:


»Mühle, Mühle, mahle mir

Weiße Salzkörner gleich allhier!«


da mahlte sie lauter weiße Salzkörner. Als aber der Napf voll war, sprach der Schiffshauptmann: »Nun ist's genug!« doch sie mahlte immerzu, und er mochte sagen, was er wollte, sie mahlte immerzu, bis die ganze Kajüte voll war. Da faßte er die Mühle an, um sie über Bord zu werfen, erhielt aber einen solchen Schlag, daß er wie betäubt zu Boden fiel. Und sie mahlte immerzu, bis das ganze Schiff voll war und zu sinken begann, und ist nie größere Noth auf einem Schiffe gewesen. Zuletzt faßte der Schiffshauptmann sein gutes Schwert und hieb die Mühle in lauter kleine Stücke; aber siehe! aus jedem kleinen Stück wurde eine kleine Mühle, gerade wie die alte gewesen war, und alle Mühlen mahlten lauter weiße Salzkörner. Da war's bald ums Schiff geschehen: es sank unter mit Mann und Maus und allen Mühlen. Diese aber mahlen unten am Grunde noch immerzu lauter weiße Salzkörner, und wenn du ihnen nun auch den rechten Spruch zuriefest, sie stehen so tief, daß sie es nicht hören würden. Siehe, davon ist das Meerwaßer so salzig.

Quelle:
Carl und Theodor Colshorn: Märchen und Sagen, Hannover 1854, S. 173-175.
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