14. Triumph des Uebermenschen

[194] Schaust du die Sterne, vergißt du der Wesen,

Die zu Füßen unzählig dir wimmeln:

Unter ewigen, ehernen Himmeln

Wirst du vom Reiche der Schatten genesen!


Schicksalgekrümmter

Staubbestimmter!


Raffe mit kühnen Freierhänden

Ihre Rätsel in deine Brust –

Und du wirst in stolzer Lust

Deines Wanderns Fragmente vollenden!


Sterblicher! Sprich mit der Ewigkeit!

Sterne geben dir ihr Geleit –

Brennen auf deinen Scheitel nieder –

Gießen Ströme des Segens aus:

Daseinsfreude hebt die Lider –

Türmet die Quadern des neuen Baus!


Siehe! Unter dem Baldachine

Ewiger Unermeßlichkeit

Heitert sich des Dulders Miene!

Golgathas blutrotes Schmerzenskleid

Färbt sich zu weißem, bläulichem Glanze –

Himmelsprache: köstlich Kristall,

Drin sich erklären die Stäubchen im Tanze –

Draus sich enthüllt das erlösende All!
[195]

Sterblicher! Hüte den Schatz, den einen,

Drin sich Leben und Tod vermählt –

Drin sich Sünde und Gnade vereinen –

Und deine Schmerzen sind gezählt!


Sterblicher! Deine Schmerzen verfliegen –

Deine Tränen saugt der Sand:

Ueber die Kleinheit wirst du siegen,

Da dich die Größe übermannt!


Glaubst du den Sternen, vergißt du der Schatten,

Die dir zu Füßen in Knäueln sich winden:

Die sich der Kraft nie verloren hatten,

Werden in der Kraft sich nie wiederfinden!

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 194-196.
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