Marie Louise

[93] Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie –

Ob er ihr auch »Unsterblichkeit« verlieh?

Doch leider waren Immortellen immer

Mir ganz verhaßte Frauenzimmer ...

So wird sie sich zufrieden geben müssen

Mit dieser Welt von blassen Schattenrissen ...


Wenn du mich liebtest –

Nein! Ich verdiente es nicht!


Denn siehe, du Weib,

Das ich liebe mit dem Flammensturm meiner Jugend,

In dem allein

Seit Stunden und Tagen,

In Tagen und bang durchwachten Nächten

Meine Seele lebt, meine Seele atmet –

Denn siehe, du Weib:

Nicht sündlosen Herzens[93]

Kam ich zu dir –

Nicht keuschen Herzens

Hab' ich gepocht

An die Pforte deiner lichthellen Seele –

Siehe! Meine Augen –

Sie brannten so oft schon

In die Dämmertiefen –

In die berückenden Hetärenaugen

Eines anderen Weibes hinab ...

Und meine Lippen

Haben so oft sich verloren

Auf die rotüppigen Lippen

Eines anderen Weibes ...

Und eines anderen Weibes

Nacken und Hüfte

Haben meine Arme umklammert

So oft schon – so oft

In brünstiger Glut ...


Und sündige Gedanken

Haben gehaust

Und haben verpestet

Meiner Jünglingsseele

Demantene Reinheit ...


Und mit den Anderen

Bin ich gegangen,

Die da nachschleichen

In schwülen, berauschenden Mitternächten

Der Sünde, – der Sünde, die schamlos

Entblößt und verschachert[94]

Reize um Reize! ...

Und mit den Anderen hab' ich gelogen

Und habe geleugnet

Frech und schamlos,

Wie die Dirne der Gasse,

Daß noch atme

Eine unangetastete

Frauenseele! ...


Weib! Wenn du mich liebtest –

Nein! Ich verdiente es nicht! ...


Und nun kam ich zu dir

Und nun fand ich dich! ...


Und du bist bei mir,

Wo ich auch bin –

Und du gehst mit mir,

Wohin ich auch gehe –

Nur du – nur du! ...


All meine Gedanken,

All mein Sehnen und Suchen:

Bei dir findet's Heimat,

Bei dir schlägt es Wurzel,

Und um dich kreist es

Mit lautaufrauschendem Flügelschlage,

Du mein Ein und mein Alles,

Du Quell meines Lebens,

Daraus mir entgegen

Springen die Ströme

Der Seelenverjüngung ...
[95]

Denn ja! bei dir,

Da fühl' ich mich gut,

Da fühl' ich mich rein! ...


Wenn eng angeschmiegt

Du neben mir schreitest,

Und ich deines hastigen Atems

Lebenshauch spüre,

Und deiner Augen zartes Goldbraun

Verheißungsvoll mir entgegenblitzt,

Und ich mich verloren

Und nur dich – nur dich fühle:

Dann ist's mir, als risse,

Als klaffte auseinander

Jäh und blendend

Der Vorhang,

Der mir verschleiert des Lebens Tiefen

Immer noch bis heute

Und des Lebens Wert

Und sein wahres Wesen.


Und eine neue

Berückende Wunderwelt

Hebt sich empor

Und durchschauert mein Herz

Mit seligen Träumen,

Mit heiligem Ahnen! ...


Weib! Wenn du mich liebtest –

Nein! Ich verdiene es nicht! ...
[96]

Und doch will ich um dich werben –

Und muß um dich werben,

Denn ich bin ja nicht mehr mein Eigen,

Nicht mehr mein Ich,

Ich lebe ja nur in dir und durch dich! ...


Aber nicht werben kann ich

Mit sanftem Rauschen,

Mit zärtlichem Kosen,

Wie der milde Frühwind

Und der leissingende Abendwind

Wirbt um den Duft

Der Kräuter und Gräser,

Die da wachsen und blühen

Bescheiden und winzig ...


Um dich, um deine Liebe

Muß ich werben,

Wie der Nordsturm wirbt

Um den dröhnenden Nachtgesang

Breitwipfliger Eichenwälder ...

Ueberströmen soll dich

Meiner rebellischen Seele

Jach auflohende Flammenfülle!


Durchfluten sollen dich

Meiner wehrsprengenden Leidenschaft

Wildgehende Wasser! ...


Begraben will ich dich

In die qualsüße Sklaverei der Gewalten,

Die du in mir geweckt[97]

Mit dem Ton deiner Stimme,

Dem Geleucht deiner Augen,

Dem Lächeln deiner Wangen,

Dem Rhythmus deines Leibes –

Mit dem geheimnisvollen

Weben und Walten

Deines einzigen Ichs ...


Denn nicht mehr länger

Kann ich bändigen,

Kann ich dämmen,

Was größer denn ich

Und ungleich stärker,

Als mein machtloser Wille ...


Ist's nicht, Geliebte,

Herrlich und groß denn,

Walten zu lassen

In himmlischer Fülle,

In götterstarkem Drange,

Die schrankenlose,

Majestätische Kraft

Der Elemente?

Darum nicht länger –

Nicht länger säum' ich ...


Und ob du's auch weißt:

Es packt mich, noch einmal

Mit erstickter Stimme

Dir zuzuraunen,

Daß ich dich liebe![98]

So liebe mich wieder! ...


Ich mag nicht betteln

Um deine Liebe,

Mich nicht bescheiden

Mit karger Spende ...


Wie der Nordsturm eingreift

In der Eichenriesen

Knorren und Kronen,

So will ich mich einwühlen

In das Geäst deiner Seele!


Wie ich bei dir bin

Nacht und Tag,

Sollst du bei mir sein

Mit jeder Falte deines reinen Herzens,

Nacht und Tag,

Sollst du mein sein

Mit jeder Fiber deiner keuschen Seele ...


An mich sollst du dich klammern,

Sollst du dich lehnen,

Denn ich bin stark

Und halte dich sicher ...

Denn ich bin stark,

Und von jener Kraft,

Die göttlichen Samens,

Lebt auch in mir

Ein gewaltig Teil –

Und sie ist ewig[99]

Und sie ist Wahrheit

Und Traum und Ahnung ...


Weib! Wenn du mich liebtest,

Ich verdiente es doch,

Weil ich dich liebe,

Wie ich noch nie geliebt! ...

Noch nie geliebt

Ein irdisches Weib! ...

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 93-100.
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