Triumphgesang der Lebendigen

[197] Das Lebend'ge will ich preisen,

Das nach Flammentod sich sehnet.

Goethe.


Nun wogt einher in mächt'gem Geroll,

Der Genesung freistirnige Boten!

Den wir gehegt, den alten Groll,

Wir ließen ihn bei den Toten!

Wir ließen dahinten in Wüstenei'n

Der Verzweiflung Dornengeranke –

Ins Leben führte uns siegreich ein

Der moderne Kampfgedanke!


Die uns zerdrückt, zerwalzt und zerstückt,

Die Dämonen verloren die Bannkraft!

Wir haben uns zu der Freiheit entrückt

Und uns durchpocht nun die Mannkraft!

Sansara dahinten nebelumkreist –

Wir rangen uns zu den Höhen![198]

Lebendig ward uns der neue Geist,

Der da schafft in der Zeiten Wehen! ...


Der da schafft in der Zeiten Dämmerungsschwall

Und ringt zur Frühlingsentfaltung!

Ob seine Botschaft noch vielen Gelall –

Er wächst und ersteht zur Gestaltung!

Und immer tönender wird sein Wort

Und brünstiger wirbt er um Herzen –

Dann reißt er uns alle im Sturme fort

Und begräbt unsere letzten Schmerzen!


Und Freude – Freude so ganz uns füllt –

Es atmet sich köstlich das Leben!

Es hat sich alles – alles enthüllt

Und will sich dem Frühling ergeben!

Der Vergangenheit tränengedüngte Saat

Sproßt auf zu fruchtschweren Halmen,

Und alles Wachsen eint sich zur Tat,

Drin sich die Zweifel zermalmen!


Wir zweifelten – ja! Wir kosteten wohl

Des Zwiestreits bitterste Wunden!

Wir opferten wohl Idol um Idol –

Und hatten doch nimmer gefunden,

Was uns aus unserer Enge erlöst –

Aus der unzulänglichen Kleinheit,

Drin sich der Dinge Wesen entblößt

Zu grenzenloser Gemeinheit!


Wir lagen im Grunde und stöhnten auf –

Kaum rafften wir uns zum Rufen![199]

Und drüber stampfte des Alltags Lauf,

Zertrat uns mit erzenen Hufen!

Und keiner – und keiner, der uns die Hand

Gereicht – die blutenden Wunden

Bewahrt vor herzenzermergelndem Brand –

Der uns zur Freiheit entbunden!


Da endlich – bei Gott! – wie vom Wahnsinn geweckt,

Als ziemten uns Siegerlose! –

Haben wir uns emporgereckt

Zu der Freiheit Gipfelrose!

Da unten umkroch uns ein giftig Gerank,

Das brannte sich ein wie Nesseln,

Umdünstete uns wie mit Pestgestank,

Beschlich uns mit härenen Fesseln! ...


Nun warfen wir von uns das Dornenkleid

Und atmeten brünstig das Licht ein!

Das Auge erlahmte dem kleinlichen Leid

Vor dem weltüberflammenden Lichtschein!

Schmolz auch vor der Sonne das erzene Tor,

Das dem Sinne gewehrt, der befangen,

Des Weltwehs ewigen Trauerflor –

Das stete Vernichtungsverlangen:


In dieser Erkenntnis gebiert sich das Heil –

Aus ihrem Schoße entmündet

Die Freiheit, die nur um Schmerzenfeil

In der sich die Zukunft begründet![200]

Das ist die Botschaft der neuen Zeit:

Wir haben in Schmerzen begriffen

Der Freiheit frohe Glückseligkeit,

Die unsere Schwerter geschliffen!


Nun nahe, du Tag! Nun hebe dich rot –

Blutrot aus der Zukunft Wogen!

Nun künde dein Menschenerlösungsgebot,

Von Friedenstauben umflogen!

Ein jeder von uns ist dein kampffroher Sohn –

Hat deine Mission begriffen –

Hat blank für deine Revolution

Seines Geistes Schwert geschliffen!

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 197-201.
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